: Mindestlohn ist oft nur Theorie
Zoll leitet 37 Ermittlungsverfahren wegen nicht gezahlter Mindestlöhne ein, Gewerkschaft sieht Dunkelziffer
Von André Zuschlag
Seit fast drei Jahren gilt bundesweit der gesetzliche Mindestlohn, in Hamburg hat er sich aber immer noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Das Hamburger Hauptzollamt hat in den ersten sechs Monaten 2017 insgesamt 37 Ermittlungsverfahren wegen nicht gezahlter Mindestlöhne eingeleitet. Die Dunkelziffer dürfte ungleich höher liegen.
Für Silke Kettner von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) steht fest: „Jeder Verstoß ist einer zu viel. Es kann nicht angehen, dass sich auch Jahre nach seiner Einführung noch immer nicht alle Betriebe an den gesetzlichen Mindestlohn halten.“ Die Gewerkschaft beruft sich auf Zahlen des Bundesfinanzministeriums.
Insbesondere in der Gastronomie sei der NGG zufolge die Dunkelziffer deutlich höher. „Wir kriegen das aus den Beratungsgesprächen mit. Viele ArbeitnehmerInnen trauen sich aber nicht, ihre ChefInnen zu verklagen“, sagt Kettner.
Dass es sich um Einzelfälle handelt, glaubt Kettner nicht, aber eine genaue Anzahl von nicht gezahlten Mindestlöhnen ließe sich kaum ermitteln. Das liege auch daran, dass nicht flächendeckend kontrolliert werde. In der Gastronomie gab es etwa im ersten Halbjahr 2017 lediglich 29 Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Zollämter .
„Je mehr Kontrollen, umso größer das Risiko für Unternehmen, bei schmutzigen Praktiken erwischt zu werden“, sagt Kettner. Aber die Strategie der Zollämter habe sich verändert: Statt vieler Kontrollen wollen sie gezielter große Betrugsfälle aufdecken. Hinzu kommt, dass die Prüfungen von Mindestlohnpflichten der Arbeitgeber zeitlich aufwendig seien.
Gerade Hamburgs Gastronomie-Branche steht derzeit ohnehin in der Kritik, weil sie oft nur Mini-Jobber anstellt und davon profitiert, dass viele Menschen im Hauptjob nicht genug verdienen und nur mit dem Kellnern über die Runden kommen. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl dieser Fälle in Hamburg um 116 Prozent auf mehr als 10.000 Betroffene gestiegen (taz berichtete). Auch die Schwarzarbeit sei laut Kettner in der Gastronomie ein unverändert großes Problem.
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