Dokumentarfilm über Werner Nekes: Kino mit Sinn fürs Kindische
Ein Porträt des Avantgardefilmers als alter Mann: „Werner Nekes – Das Leben zwischen den Bildern“ von Ulrike Pfeiffer.
„Das Leben zwischen den Bildern“, Ulrike Pfeiffers Hommage an den Avantgardefilmer und Sehmaschinen-Sammler Werner Nekes ist unverhofft ein Nachruf geworden. Ihr Streifzug durch sein farbverrücktes malerisches Filmwerk und seine pralle Wunderkammer voller zauberhafter alter Bilder-Spielsachen aus der Vorzeit der analogen Fotografie und Filmwelt feierte seine Premiere ohne den Protagonisten. Werner Nekes starb im Januar 2017.
Die Hamburger Fotografin und Filmemacherin kam dem versponnenen Planeten Werner Nekes über Jahre intensiver Auseinandersetzung nah. Auf ihrer Homepage findet sich ein langes Gespräch mit dem „Bildernarr“, das 2005 anlässlich einer Ausstellung seiner Sammelobjekte entstand. Damals träumte Nekes noch von einem neuen Projekt, einem Tanzfilm, in dem er noch einmal einen Film der puren Gegenwart, ohne Botschaft, ohne Fixierung auf Narration verwirklichen wollte.
Da nämlich sah Werner Nekes, der von der Malerei zum Film gekommen war, das tatsächliche Potenzial der Bewegtbilder. Bis heute, war er überzeugt, sei das Dispositiv in seinen Kinderschuhen steckengeblieben. Das gängige narrative Kino lullt das Bewusstsein ein, anstatt es zur Produktion eigener Fantasie anzuregen.
Das Projekt kam nicht mehr zustande, auch weil sich Werner Nekes eingestand, seit je mit der Drehbuch- und Förderantragschreiberei auf Kriegsfuß zu stehen. Ulrike Pfeiffers Porträtfilm zeigt ihn in einer späten, durch Krankheit gezeichneten Lebensphase, in der er zurückschaut, den Sommer in seiner schwedischen Hütte, wo einige seiner Filme entstanden, genießt beziehungsweise mit Freunden an seinem Mülheimer Wohnort inmitten seiner Sammlung die Stationen seiner Karriere rekapituliert oder kleine Lectures zur Anthropologie der Wahrnehmung hält.
Medienarchäologe und Wahrnehmungsforscher
Der Mann wirkt angeschlagen, bewegt sich minimal, hat jedoch selbst die skurrilsten Herkunftsgeschichten und Kontexte der zahlreichen historischen Trompe-l’œil-Objekte parat, die er der Kamera ausbreitet und zum Anlass nimmt, sein reiches Wissen als Medienarchäologe und Wahrnehmungsforscher hellwach auszubreiten.
So abgestimmt auf die Präsenz des gealterten Künstlers und die Stichworte seiner Weggefährten, liegt über Ulrike Pfeiffers Film die Stimmung melancholischer Impressionen, die eher intim und beiläufig von der Zeit eines anderen Kinos im vergangenen analogen Jahrhundert erzählen.
Nekes’ biografische Ursprünge und seine Zeit als junger Maler werden nur gestreift. Auch der Einfluss, den die deutsch-amerikanische Künstlerin Eva Hesse auf Werner Nekes’ Entwicklung zum Avantgarde-Filmer ausübte, kommt nur kurz zur Sprache. Wie ihre aus Kordelschnur geformten Arte-povera-Objekte zu Nekes’ Ansatz führten, die Filmleinwand wie ein malerisches Bild zu betrachten, hätte ich mir ausführlicher gewünscht.
Mainstreamresistentes Augenöffner-Kino
Nur in schönen Schwarz-Weiß-Fotografien kommt Werner Nekes’ künstlerische Zusammenarbeit mit seiner ersten Frau Dore O. ins Bild. Vor fünfzig Jahren schuf das Paar mit Freunden aus der Hamburger Experimentalfilmszene ein mainstreamresistentes Augenöffner-Kino, in dem beide als autonome Produzenten, Verleiher und Vorführer tätig waren.
Seither wird über der filmhistorischen Kanonisierung von Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Werner Herzog und einer Handvoll anderer vergessen, dass das aus Mülheim an der Ruhr nach Hamburg ausgewanderte Filmemacher-Paar mithalf, den neuen deutschen Film an die Avantgarde-Kunst und das Expanded Cinema der 1960er Jahre anzuschließen.
„Werner Nekes – Das Leben zwischen den Bildern“. Regie: Ulrike Pfeiffer. Deutschland 2017, 88 Min.
Angesichts der Explosion optischer Sinnestäuschungen im digitalen (Musik-)Film lohnt es sich heute, über den kulturkritischen Kern ihrer visuellen Gestaltungsprinzipien nachzudenken. Ohne die Ausbeutung der Vorbilder wäre die Entwicklung kaum möglich.
Statements der überlebenden Helden
Werner Nekes’ erste Filme in Zusammenarbeit mit Dore O. und das kreative Umfeld der Hamburger Filmmacher-Kooperative werden in Ulrike Pfeiffers Film in Statements der überlebenden Helden jener Ära, darunter Klaus Wyborny, Helmut Herbst und Bernd Upnmoor, gewürdigt.
Auch von seiner unakademischen, sehr persönlichen Herangehensweise als Filmprofessor in Hamburg und Offenbach ist die Rede, und Nekes’ Leidenschaft, die Wechselwirkung zwischen den Erfindungen immer neuer mechanischer Bildmedien und der menschlichen Wahrnehmungskompetenz zu erforschen, ist in jedem seiner Statements lebendig.
Dennoch tut sich der Film schwer mit einer Reflexion seiner Lebensleistung. Man sieht den Mann im ewiggleichen Sakko und der charakteristischen Aussteigerfrisur der 60er Jahre, wie er geschwächt, aber gelassen an der Zigarette ziehend inmitten eines Kabinetts voller technischer Wunderdinge sitzt und offensichtlich darin wohnt. Seine Frau Ursula Richert-Nekes wird als die Leiterin seiner Sammlung eingeführt und bei einem Besuch von Filmstudierenden als kundige Erklärerin gezeigt.
Das Farbenspiel von Prismen
Kinder aus Nekes’ Familie amüsieren sich zusammen mit dem stets im Connaisseur-Duktus sprechenden Meister über das Farbenspiel von Prismen und allerlei kinetischem Taumatrop-Spielzeug. Einen sinnlichen Eindruck vom schieren Umfang der rund 40.000 Sammelobjekte und der archivarischen Organisation, die Nekes zum gefragten Leihgeber werden ließ, bekommt man leider nicht.
Lange kämpfte Werner Nekes um einen angemessenen Ausstellungsort in seiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr, was trotz anfänglicher Zusagen an kommunalen Intrigen scheiterte. Die internationale Nachfrage nach seinen Ausstellungsstücken ist groß, viele Jahre bestritt Nekes damit sein Einkommen. Die Zukunft der Sammlung ist ungeklärt.
Ulrike Pfeiffers Film konzentriert sich auf die Rückschau aus der Innensicht früherer Weggefährten. Es dominiert ein Club der alten Herrn: Nekes’ einstiger Kameramann Bernd Upnmoor schwärmt von dessen technischen Erfindungen, mit denen etwa raffinierte Mehrfachbelichtungen möglich wurden. Die Filmemacher Klaus Wyborny und Helmut Herbst kommentieren anschaulich die einstige Hamburger Experimentalfilmszene, in der das legendäre Film-in, eine 72-stündige Filmschau in einem ehemaligen Laden in der Hamburger Brüderstraße, für Aufsehen sorgte.
Anti-Hitparaden-Film
Helge Schneider, den Nekes in „Johnnie Flash“, einem nerdigen Anti-Hitparaden-Film, für die Leinwand entdeckte, spielt mit dem Meister Schach und murmelt nette Worte: Von Nekes’ Bilderschichten „wird einem ja teilweise schlecht“, aber trotzdem „hinterlassen die Eindruck, […] dass man sich angespornt fühlt.“
Alexander Kluge fungiert in „Das Leben zwischen den Bildern“ als Gesprächspartner, berauscht von den eigenen Kommentaren. Mit ihm dringt Werner Nekes zum Kern seiner Medientheorie vor. In der „Transportphase“ der analogen Filmbilder im Projektor passiere die entscheidende Unterbrechung, der Bruchteil einer Sekunde Schwarz zwischen den Bildern mache den Bewegtbild-Eindruck in der Wahrnehmung erst möglich, erklärt Werner Nekes.
Christoph Schlingensiefs Meister/Schüler-Verhältnis zu Nekes bleibt mit wenigen Fotos und einem Clip nur eine Skizze, die Helge Schneiders Blick auf den Sinn fürs „Kindische“ bei Nekes und seinen Freunden bestätigt.
Pornografische Assoziationen fröhlich unterlaufen
Filmclips blenden in Nekes’ farbenfrohe, die Sehkonvention unterlaufende Bilderwelt zurück. Da ist „Jüm Jüm“, Dore O.s vielfach unterschnittene Performance auf einer Kinderschaukel, bei der sie vor einem Gemälde mit einem abstrakten Phallus hin und her schaukelt und pornografische Assoziationen fröhlich unterläuft. Da ist eine andere „Augenmusik“ à la Nekes, der 360-Grad-Reißschwenk über die Landschaft vor seinem schwedischen Haus, pure „Lichteratur“ (Nekes’ Begriff).
Viel Stoff und noch mehr schwarze Löcher: Warum bleibt der weibliche Anteil an Werner Nekes’ Universum in Ulrike Pfeiffers Zeitreise ausgeblendet?
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