Kreativlabore für alle: Kreativer Treibhauseffekt
Offene Labore und Werkstätten bieten neue Gelegenheiten für Innovationen außerhalb der etablierten Forschungseinrichtungen.
„Open Creative Labs“ ist selbst schon eine wissenschaftliche Begriffserfindung, um die Vielfalt der „offenen Kreativlabore“ zusammenzufassen. Sie nennen sich Maker Spaces und Fablabs, offene Werkstätten und Coworking Spaces, wo Bastler, Tüftler, Unternehmer, Gründer und Kreative an ihren technischen Erfindungen und sozialen Innovationen werkeln. „Es handelt sich um lokale Gegenwelten“, erklärt Oliver Ibert vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner bei Berlin.
Nach außen firmieren sie rechtlich als Vereine oder Genossenschaften, nach innen funktionieren die Kreativ-Orte nach eigenen Regeln und Werten („Soziokratie“). „Es sind Orte des Teilens – von teuren Geräten, von Know-how, von Sozialkapital“, beschreibt Ibert. Das Credo lautet: „Alle sind willkommen, die in dieselbe Richtung schauen“.
Am IRS hat Ibert mit seinen Kollegen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erstmals genauer untersucht, wie sich die neue digitale Alternativszene in Deutschland entwickelt und welches Selbstverständnis sie kennzeichnet. Quantitativ wurden in dem dreijährigen Forschungsprojekt 357 offene Kreativlabore ermitteln, die sich in elf Metropolregionen bündeln. Die größte Zahl (100) gibt es in der Region Berlin-Brandenburg, wo auch der wirtschaftliche Effekt mit 3,5 Labs pro 100.000 Erwerbstätigen am höchsten ist. Das Ruhrgebiet kommt auf 51 Labs, gefolgt von den Clustern in Mitteldeutschland, Hamburg und München mit 35 bis 36 Labs. Die Beschäftigtenzahl lässt sich schwer taxieren, weil die personelle Fluktuation sehr hoch ist. Dass der Sektor boomt, belegen auch internationale Zahlen. Wurden 2013 weltweit 3.400 Coworking Space gezählt, waren es zwei Jahre später rund 7.800.
„Open Labs bieten neue Gelegenheiten für Innovationen außerhalb der etablierten Institutionen“, fasst IRS-Projektleiter Ibert die qualitative Charakteristik zusammen. „Sie bieten speziellen Minderheiten eine Nische, in der ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen.“ Vor allem ihre „Offenheit für gesellschaftlich relevante Probleme“ – wie Ernährung, Mobilität, Recycling – macht ihre Bedeutung für die Zukunft aus. Daher warnen die IRS-Forscher in ihren Empfehlungen, mit der staatlichen Förderung achtsam zu sein: „Direkte Formen der politischen Unterstützung können aufgrund des basisdemokratischen und autonomen Charakters von Labs kontrapoduktiv sein.“ Besser wäre die indirekte Unterstützung von Nutzergruppen und Verbänden oder die Bereitstellung kostengünstiger Räumlichkeiten.
Zukunft gestalten
Die IRS-Untersuchung ist eines von 25 Projekten, mit denen das BMBF in den letzten drei Jahren unter dem Titel „Zukünfte erforschen und gestalten“ mit einem Programmvolumen von 6,5 Millionen Euro die Entwicklung einzelner Technikfelder und ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz untersuchen ließ. Schwerpunkte waren die Partizipation in Forschung und Innovation, Chancen und Risiken der Digitalisierung sowie flexible Konsum- und Eigentumsmodelle. Das ITA-Programm des Forschungsministeriums bildet sozusagen das regierungsamtliche Pendant zum Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestags (TAB), das den deutschen Gesetzgeber zu den gleichen Themen berät.
Heraus kam ein Mix von neuen, teils hoch relevanten Erkenntnissen und der Bestätigung von schon Bekanntem. Gern wurden die Möglichkeiten von „Big Data“ genutzt. „Mit den sozialen Medien haben die Sozialwissenschaften ihr neues Teleskop gefunden, mit dem sie gesellschaftlichen Wandel besser und genauer beobachten können“, sagt Tobias Schröder von der Fachhochschule Potsdam. In einem Projekt zur Akzeptanz von neuen Mobilitätsangeboten wurde von ihm neben der klassischen Befragung auch 12.000 Tweets mit dem Stichwort „Autonomes Fahren“ ausgewertet. Fazit: Die Skepsis beim Bürger gegenüber neuen Mobilitätsangeboten überwiegt. „Das von einem Verbrennungsmotor angetriebene Auto gilt weithin als das attraktivste Verkehrsmittel im Alltag.“ Die Nutzung autonomer Fahrzeuge werde „vorsichtig befürwortet, wenn es sich um öffentliche Verkehrsmittel handelt“. Die Bereitschaft aber, das eigene Auto mit anderen Personen zu teilen, sei in der Durchschnittsbevölkerung „kaum ausgeprägt“.
Auch andere Themen des technischen Fortschritts wurden unter die Lupe genommen. Eine Gruppe der Uni Würzburg fand heraus, dass beim Menschen die Distanz zum Roboter wächst, wenn er stark menschenähnlich mit Augen und Gliedmaßen gestaltet wird. „Wer also will, dass sein Serviceroboter akzeptiert wird“, ob in der Pflege oder im Haushalt, schlussfolgern die Forscher, „muss deutlich machen, dass es sich um ein technisches Hilfsmittel handelt, und verzichtet deshalb auf menschliche Züge bei der Maschine“.
Burger aus der Petrischale
Eine größere Offenheit stellten Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) bei der Bereitschaft zum Verzehr von „In-Vitro-Fleisch“ fest. Der „Burger aus der Petrischale“ besteht aus tierischen Muskelstammzellen, ohne dass dafür ein Tier geschlachtet werden musste. Die Mehrheit der Befragten sah darin „eine interessante Alternative zur konventionellen Fleischproduktion“. Eine wirkliche Verbreitung dürfte das Kunstfleisch nach Einschätzung des KIT-Projekts aber nur dann finden, wenn es von einer ethischen Diskussion „über die Probleme der heutigen Fleischproduktion und des Fleischkonsums“ gerahmt wird.
Einige der Forschungsergebnisse gehen direkt in die Praxis über. So untersuchte die TU Berlin, warum das digitale Ticketing für Bus und Bahn in Deutschland so unbeliebt ist, im Unterschied zu anderen Ländern. In einer zweitägigen Veranstaltung („Planungszelle“) wurde von 23 Teilnehmern ein „Bürgergutachten“ verfasst, das dem Berliner Verkehrsunternehmen BVG übergeben wurde. Immerhin, so berichtete Robin Kellermann vom Projekt „Zukunftsticket Berlin“, sollen einige der Empfehlungen – etwa zur längeren Parallelität von analogen Fahrkartenautomaten und der digitalen Abrechnung – vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg übernommen werden.
Dies wäre auch von den Ergebnissen des Projekts „ChaRiSma“ zu wünschen, mit dem die Uni Oldenburg die Folgen von immer mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum und anderen „SmartCams“, die am Körper getragen werden, für den Verlust der Privatheit untersuchte. Hier seien dringend rechtliche Schranken geboten, so die Forscher, um dem Missbrauch der Bilddaten Einhalt zu gebieten. „Damit Gerätehersteller die Anforderungen des neuen EU-Datenschutzrechtes erfüllen können“, so die Oldenburger Forscher, „müssen bei SmartCams diese Lücken in der Technik geschlossen werden“.
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