: Rekordjahr für das Sozialgericht
Immer mehr Hartz-IV-Beziehende klagen wegen gekürzter oder abgelehnter Leistungen. Die Jobcenter sehen hierfür keine triftigen Gründe. Laut Beratungsstellen steigt der Druck
Herbert Thomsen, Erwerbslosenverband
Von Paula Högermeyer
Das Jahr 2016 ist ein Rekordjahr für das Bremer Sozialgericht gewesen. 4.866 Klagen und Eilanträge gingen im vergangenen Jahr beim Sozialgericht ein. Das sind 13 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Jede zweite Klage richtet sich hierbei gegen das Jobcenter.
Laut dem Geschäftsbericht des Gerichts aus 2016 verklagen derzeit 2.600 Hartz-IV-Beziehende im Land das Jobcenter wegen abgelehnter Leistungen, beanstandeten Bescheiden oder Kürzungen: Im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs der Klagen durch Hartz-IV-Empfänger*innen von 19 Prozent.
Das sind so viele Klagen wie nie zuvor in der Geschichte des Sozialgerichts. Gerichtssprecher Christian König erklärte: „Jeder Richter hat im Durchschnitt 353 unbearbeitete Fälle auf seinem Schreibtisch liegen“.
Herbert Thomsen, Geschäftsführer des Bremer Erwerbslosenverbands, sagte: „Die Klagen gegen das Jobcenter nehmen zu, weil der Druck steigt und die angebotenen Arbeitsverhältnisse schlechter werden“. Oft streite man sich über die unterschiedliche Auffassung von „zumutbarer Arbeit“, so Thomsen. Dies betreffe vor allem ältere Menschen und Hartz-IV-Empfänger*innen, die unausgebildet für die Besetzung von Mangelberufen einbezogen würden.
Dagegen verwahrt sich der Sprecher des Bremer Jobcenters, Christian Ludwig: „Die Verfahren vor dem Sozialgericht gegen das Jobcenter Bremen haben im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr nicht zugenommen.“
Vielmehr sei die vom Bremer Jobcenter betreute Anzahl der Bedarfsgemeinschaften um mehr als 2.250 Personen angestiegen. Wenn geklagt würde, läge dies laut Ludwig nicht an fehlerhaften Bescheiden oder Kürzungen der Leistungen für Harz-IV-Empfänger*innen, sondern an „unterschiedlichen Rechtsauffassungen und zahlreichen Gesetzesänderungen“.
Auch in Bremerhaven gibt es eine Zunahme der Klagen gegen das Jobcenter. Dies konnte der Sprecher des Bremerhavener Jobcenters, Phillip Henschel, zwar bestätigen, jedoch keine Gründe für die Zunahme nennen.
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