Linker Sachse über Bundestagsmandat: „Mein Sieg ist nur ein kleiner Trost“
Sören Pellmann wurde als Direktkandidat der Linken in der AfD-Hochburg Sachsen in den Bundestag gewählt und von vielen gefeiert. Setzt ihn das unter Druck?
taz: Herr Pellmann, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Sieg. Hat Ihnen Herr Feist von der CDU auch gratuliert?
Sören Pellmann: Bis jetzt noch nicht. Die MitbewerberInnen von den Grünen und der SPD haben gratuliert, aber Herr Feist hat sich nicht bei mir gemeldet.
Thomas Feist saß acht Jahre lang für Ihren Wahlkreis im Bundestag. Wie ist es Ihnen gelungen, ihm das Direktmandat jetzt abzuluchsen?
Zum einen war seine Politik für Leipzig nicht wirklich überzeugend. Das Zweite ist, dass wir im Wahlkampf die richtigen Themen gesetzt haben. Und zum Dritten konnten wir die WählerInnen aus dem linken Spektrum, also der SPD, Grünen und Linken, bei der Erststimme vereinen. Wenn man strategisch wählt, kann es also reichen, ein linkes Mandat nach Berlin zu schicken. Wirklich damit gerechnet hab ich aber nicht. Es hat tatsächlich ein paar Tage gedauert zu realisieren, was da eigentlich passiert ist.
Passiert ist auch, dass die AfD in Sachsen die meisten Zweitstimmen bekommen hat. Wie war Ihre Reaktion am Wahlabend – hat die Freude oder die Sorge überwogen?
Die Freude wurde schon ein Stück weit dadurch getrübt. Da war mein Sieg nur ein kleiner Trost.
Sie sind in Grünau aufgewachsen und arbeiten als Förderschullehrer im Leipziger Norden – beides Bereiche, in denen die AfD viele Stimmen geholt hat.
Ja, wo ich arbeite, ist die AfD auf 40 Prozent gekommen.
Was läuft dort anders als etwa im Süden Leipzigs, wo Sie gewonnen haben?
Im Süden konnten wir mit dem Miet-Thema punkten. In den Gebieten, wo es soziale Verdrängung und Gentrifizierung gibt, haben wir besonders viele Stimmen bekommen – in der Südvorstadt, Schleußig, Plagwitz, zum Teil auch Neustadt-Neuschönefeld, wo das gerade beginnt. Da sind ganz viele Fragen, Ängste und Nöte auch von Menschen, die eigentlich der Mittelschicht angehören.
Das Thema Mieten spüren doch aber auch die Menschen in Grünau.
Richtig. Wenn Menschen aus ihren Stadtteilen verdrängt werden, ziehen sie an die Stadtränder. Dann wird dort wiederum der Wohnraum knapp und teurer.
Warum konnten Sie dann die Leute in Grünau nicht erreichen? Die Linke hat viele Stimmen an die AfD verloren.
Das stimmt, gerade in Grünau haben wir deutlich an die AfD abgegeben. Das tut mir persönlich besonders weh, weil ich dort viel Zeit und Aufmerksamkeit im Stadtrat investiert habe. Kommunalpolitisch hat das offensichtlich gezogen, aber auf Bundesebene nicht. Ich glaube, jetzt war es vor allem Protest: Jetzt zeigen wir’s Angela Merkel und denen da oben. Wenn ich mir die Wählerschaft der AfD anschaue, sind das zum Teil die Abgehängten, die Arbeitslosen. Wenn die sich tatsächlich mal das AfD-Programm anschauen würden, können sie die AfD eigentlich nicht aus inhaltlicher Überzeugung wählen: weitere Sanktionen im Hartz-IV-Bereich, längeres Arbeiten, geringere Löhne – das können die nicht wirklich wollen.
ist Förderschullehrer und sitzt für die Linke im Stadtrat. Bei der Bundestagswahl erreichte der 40-Jährige im Wahlkreis Leipzig II mit 25,3 Prozent das beste Erststimmenergebnis.
Wenn Sie Ihre Arbeit im Bundestag aufnehmen, sitzt da auch die AfD. Wie wollen Sie mit der Partei umgehen?
Von der Partei an sich und deren Inhalten halte ich nichts. Aber sie sind jetzt eine gewählte Partei und es gibt sie nun mal im aktuellen Parteienspektrum. Deswegen sollten wir sie nicht kritisieren, weil sie die AfD sind, sondern sollten sie inhaltlich stellen. Man muss den Leuten ganz klar transparent machen: Dafür steht die Linke, dafür steht die AfD. Im Sozialbereich etwa, da ist es tatsächlich gruselig. Was dann im Bundestag hinter verschlossenen Türen diskutiert wird, muss man für die Leute draußen auch übersetzen.
Sie waren letzte Woche das erste Mal in Berlin im Bundestag. Wie war die Stimmung in der Fraktion?
Tatsächlich sehr kämpferisch und fröhlich. Ich bin sehr herzlich empfangen worden. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass man aus Berlin Direktmandate kannte, aus Sachsen jedoch nicht. Überhaupt ist das außerhalb von Berlin bisher nur in zwei Wahlkreisen gelungen.
Als linker Sieger eines Direktmandats in der AfD-Hochburg Sachsen werden Sie gerade in Leipzig von vielen Menschen gefeiert. Setzt Sie das unter Druck?
Es ist eher ein angenehmes Gefühl. Noch werde ich von niemandem mit Forderungen bombardiert – mich erreichen nur mehrere hundert E-Mails, SMS und WhatsApp-Nachrichten von Menschen, die das ganz toll finden und Unterstützung anbieten. Aber die auch sagen: Jetzt lassen wir dich erst mal ankommen, aber danach lass uns miteinander ins Gespräch kommen.
Was können Sie im Bundestag erreichen, das Ihnen im Stadtrat nicht gelungen ist?
Zum Beispiel die gesamte Fördermittelpolitik. Der Bund gibt Geld, der Stadtrat ist Empfänger – aber mit Umleitung über das Land. Im öffentlichen Personennahverkehr gibt der Bund zweistellige Millionenbeträge für die Stadt Leipzig an den Freistaat Sachsen. Davon kommt nur ein einstelliger Millionenbetrag hier an. Wo die restlichen 22 Millionen bleiben, ist nicht wirklich transparent. Mit dem Bund könnte man verhandeln, dass das Geld direkt fließt.
Leipzig-Politik bleibt für Sie wichtiger als Bundespolitik?
Ich bin hier geboren, hier aufgewachsen, habe hier studiert und habe meine Freunde und Familie hier. Und ich bin von den WählerInnen aus meiner Heimatstadt gewählt, nicht von irgendjemanden. Von daher spüre ich die Verpflichtung, für diese Stadt zu wirken.
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
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Was möchten Sie sich dafür im Bundestag auf die Fahne schreiben?
Sich einfach zu überlegen, was man machen will, und dann bekommt man diese Aufgabe – so läuft das da nicht. Ich durfte drei Wünsche äußern, davon werden einer oder zwei erfüllt. Am liebsten würde ich mich auf Bildungspolitik konzentrieren, denn das hat etwas mit meinem Job zu tun.
… zu dem Sie nach Ihrer Zeit im Bundestag auch wieder zurückkehren möchten.
Ich bin jetzt für vier Jahre gewählt, da gebe ich Vollgas. Wenn ich wiedergewählt werde, wären es acht Jahre. Aber danach möchte ich wieder in die Schule zurückkehren. Auch für mich selbst – dahin zurück, wo meine Wurzeln liegen.
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