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Kolumne Helden der BewegungRumpelstilzchen mit Fahne

Kolumne
von Frederic Valin

Fußballer Deniz Naki ist ein Quell der Unordnung, einer, der nur eine Richtung kennt: nach vorn. Und er geht gerne dahin, wo es nicht so schön ist.

Auch jenseits des Platzes ganz vorn: Deniz Naki spricht nach einem Prozess mit Pressevertretern Foto: dpa

D ie Uefa möchte zur EM 2024 keine politischen Demonstrationen in Stadionnähe dulden. Und zwar aus Prinzip, denn Sport und Politik sollten nicht vermengt werden. Das ist die traditionell arschbequeme Argumentation, auf die Fußballfunktionäre schon allzu oft zurückgefallen sind. Es soll halt alles schön sein.

1973 boykottierte die Sowjetunion wegen des Putsches von Pinochet ein WM-Qualifikationsspiel in Santiago de Chile. Der damalige Fifa-Generalsekretär Helmut Käser bereiste das Land, um festzustellen, ob eine Durchführung der Partie möglich sei. Kaum zurück, erklärte er, das Stadion sei sehr schön gelegen, mitten in gartenähnlichen Anlagen. Dass in diesem Stadion kurz zuvor gefoltert und gemordet worden sei, dafür habe er keinen Beweis gesehen.

Also ließ er die Partie stattfinden; im Stadion befanden sich nur vom Regime geladene Gäste, viele davon Soldaten. Und auf dem Rasen standen die elf chilenischen Spieler, aber kein Gegner. Der Schiedsrichter pfiff an, Chile schob den Ball ins Tor, der Schiedsrichter pfiff ab. Chile hatte sich qualifiziert. Es hatte alles seine Ordnung gehabt, genauso, wie es Käser zuvor von „Leuten, die – wie soll ich sagen – die Regierung verkörpern“, garantiert worden war.

Deniz Naki ist ein Quell der Unordnung, ein Rumpelstilzchen, einer, der nur eine Richtung kennt: vorne. Zumindest war er das, als er für St. Pauli spielte; es ist inzwischen sehr schwer, Deniz Naki spielen zu sehen. Er ist bei Amed SK unter Vertrag, dem Verein aus jener Stadt, die in der Türkei offiziell Diyarbakır heißt und die die inoffizielle Hauptstadt Kurdistans ist.

Er wurde dieses Jahr wegen „Terrorpropaganda“ verurteilt, auf Bewährung, nachdem er auf Facebook der Opfer des türkisch-kurdischen Konfliktes gedachte. Auf seinem Unterarm hat er sich breit „AZADI“ tätowieren lassen, „Freiheit“ heißt das, auf Kurdisch. Wenn Amed SK auswärts spielt, wehen überall türkische Flaggen auf den Rängen, und alle hassen ihn.

Ein Instinktfußballer

Ungestüm und robust. Und mit Sinn für symbolische Gesten. Das war Deniz Naki bei St. Pauli bereits. Es sind zwei Szenen, an die man zuerst denkt, wenn sein Name fällt. Einerseits, als er 2009 nach einem Tor gegen Hansa Rostock seinen Daumen über die Kehle zog; und andererseits, als er im gleichen Spiel nach dem Abpfiff eine St.-Pauli-Fahne in den Rasen des Ostseestadions rammte.

Der Verein ließ wissen, dass das Trainerteam die Spieler dazu aufgefordert habe, professionell zu handeln und kühlen Kopf zu bewahren. Naki wurde vom DFB für drei Spiele gesperrt, es wurde von Vereinsseite eine Geldstrafe ausgesprochen, die selbstverständlich „empfindlich“ gewesen ist. Dann herrschte Ruhe. Ordnung.

Oder zumindest fast: Für seinen Torjubel, das Halsabschneiden, hat sich Deniz Naki schnell entschuldigt. So was, sagte er, mache er nie wieder. Das mit der Fahne allerdings jederzeit. Im nächsten Heimspiel rief die Kurve bei der Aufstellung nach jedem Vornamen „Naki“. Der DFB ermittelte, irgendwer dort hatte „Nazi“ verstanden.

Deniz Naki hat beteuert, dass er sich das nicht vorgenommen hat, sondern in der Situation handelte, intuitiv; ein Instinktfußballer, hier passt das Wort mal. Nach seiner Verurteilung in der Türkei – er bekam fünf Jahre auf Bewährung aufgebrummt – sagte er auch, er sei sich sicher, dass er noch ins Gefängnis müsse irgendwann, weil er nicht schweigen werde, wenn er Menschen leiden sähe. Dass er das sieht, liegt daran, dass er hinschaut; anders als Helmut Käser damals.

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