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Bahnindustrie im UmbruchTGV und ICE nun aus einem Haus

Die Mobilitätssparten von Siemens und Alstom aus Frankreich fusionieren. Auch Gewerkschafter sehen das Bündnis als unausweichlich an.

Die Hochgeschwindigkeitszüge sind wohl die bekanntesten Produkte der Mobilitätssparten von Alstom und Siemens Foto: dpa

Berlin taz | Wenn Alstom und Siemens doch noch zusammenfinden, muss es wohl ein wenig Pathos sein. „Der europäische Geist lebt“, versicherte Siemens-Chef Joe Kaeser, als er die nun beschlossene Fusion der Mobilitätssparten des Münchner Konzerns mit denen von Alstom aus Frankreich verkündete. „Wir setzen die europäische Idee in die Tat um“, so Kaeser. Für ihn ist der Zusammenschluss auch ein Zeichen gegen den wachsenden nationalen Populismus.

Siemens und Alstom setzen sich so zusammen mit an die Spitze der weltweiten Bahnindustrie. Sie stellen nicht nur Schienenfahrzeuge oder die beiden Hochgeschwindigkeitszüge TGV und ICE her. Auch in der Bahntechnik wie den Signalsteuerungen oder der Digitalisierung von Mobilitätsangeboten sind beide vorne dabei. Zum gemeinsamen Umsatz von rund 15 Milliarden Euro im Jahr tragen beide Firmen etwa die Hälfte bei. In den Büchern stehen noch Aufträge für rund 60 Milliarden Euro.

Kaesers französischer Kollege Henri Poupart-Lafarge wird das Gemeinschaftsunternehmen künftig von Paris aus leiten. Doch das Sagen hat trotz des Pariser Sitzes im Zweifel Siemens. Die Münchner übernehmen etwas mehr als 50 Prozent der Anteile des Gemeinschaftsunternehmens.

Noch vor wenigen Jahren waren sich deutsche und französische Bahnhersteller alles andere als grün. Geändert hat das ein neuer Wettbewerber, der die internationalen Märkte durch schiere Größe schnell dominieren könnte. 2015 sind die beiden größten chinesischen Branchenfirmen unter dem Namen CRRC zusammengeführt worden. Mit 18 Milliarden Euro Umsatz liegt CRRC an der Spitze der Anbieter von Bahnen und Technik. Die Chinesen drängen auch auf den europäischen Stammmarkt von Siemens und Alstom.

Der Zusammenschluss von Alstom und Siemens ist eine Reaktion auf die veränderte Marktlage. Auch Konkurrenten aus Korea und Japan sehen sich inzwischen international nach Aufträgen um.

Die europäische und deutsche Bahnindustrie ist im Umbruch

Jürgen Kerner, IG Metall

Die Arbeitnehmer begrüßen die Fusion. „Der globale Wettbewerb verschärft sich, die europäische und deutsche Bahnindustrie ist im Umbruch“, stellt IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner fest. Der Zusammenschluss könne ein Schritt in die richtige Richtung werden. Dazu gehören für die Metaller auch Beschäftigungsgarantien.

Im Vorfeld der Entscheidung wurden hier bereits Nägel mit Köpfen gemacht. Die Standorte und Arbeitsplätze konnten für die nächsten vier Jahre in beiden Ländern abgesichert werden, ebenso die Mitbestimmung. Danach aber wird man um gewisse Einschnitte vorwiegend in der Verwaltung kaum herumkommen.

Die französische Gewerkschaft CFE-CGC nannte die Fusion „unumgänglich“, äußerte zugleich aber „große Sorgen“ über die sozialen Konsequenzen. Im Sommer kommenden Jahres segnen die Aktionäre von Alstom die freiwillige Fusion endgültig ab.

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1 Kommentar

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  • Typisch für die deutsche Bahnpolitik ist, dass hier mehr über die Beförderung von Mitarbeitern als über Klimaschutz und Umweltpolitik gesprochen wird. Schienenfahrzeuge müssen besser und günstiger werden. Das System Schiene hat gegenüber der Straße viele ökologische und strategische Vorteile. Wenn allerdings das selbstfahrende Auto gegen eine Eisenbahn aus dem letzten Jahrhundert antritt, wäre das ökologisch fatal. Die europäische Bahnpolitik hat hier viel verkehrt gemacht - von dem Totalversager Dobrindt ganz zu schweigen.

    Gibt es ein Quasimonopol in Europa, so müssen wir künftig Züge auch aus Fernost einkaufen. Sonst gibt es keinen Wettbewerb. Das Ziel europäischer Verkehrspolitik darf nicht die Subventionierung der Fahrzeughersteller oder die Gewinnmaximierung der Deutschen Bahn sein. Es muss vielmehr ein gutes und ökologisches Angebot sein.