piwik no script img

Kolumne Wir retten die WeltDas letzte Tabu

Hannes Koch
Kolumne
von Hannes Koch

Wer nicht über privates Vermögen redet, der schweigt auch zu öffentlichen Finanzen. Das ist ungünstig. Man erkennt schlechter, was schiefläuft.

Über Geld redet man nicht Foto: reuters

M ein 17-jähriger Sohn überrascht mich mit der Nachricht, dass William H. Gates III, wie Microsoft-Gründer Bill Gates sich nennt, bald der erste Billionär der Welt werden könnte. Er besäße dann ein Vermögen von einer Billion Euro – 1.000 Milliarden. Ganz schön viel für eine einzelne Person, finde ich. Zurückgelehnt erklärt dagegen mein Sprössling: „Bill Gates hat die Welt verändert. Und er hat doch keinem etwas weggenommen.“

Ich sehe das anderes. Jemand, der soviel Kapital besitzt, hat wohl zu wenig Steuern bezahlt. Über den mittlerweile riesigen Abstand von Arm und Reich kann ich mich wunderbar aufregen. Seit der Einführung von Hartz IV vor 13 Jahren führt dieses Land eine Gerechtigkeitsdebatte. Seltsamerweise spielt das Thema im Wahlkampf aber fast keine Rolle.

Die Sozial-Thesen von SPD-Kandidat Martin Schulz zünden nicht. Sahra Wagenknecht und den Nationalbolschewisten bei den Linken ist ihre Ideologie wichtiger, als sich mit praktischer Politik in einer rot-rot-grünen Koalition die Hände schmutzig zu machen. Und die Grünen haben aus der Wahlniederlage 2013 den Schluss gezogen, ihrer wohlhabenden Klientel lieber keine Opfer abzuverlangen.

Der tiefere Grund für das Unvermögen, gesellschaftlich über Gerechtigkeit zu diskutieren, ist jedoch ein anderer. Sex ist kein Tabu mehr – Geld sehr wohl. Wer wie viel verdient und wie viel besitzt, spielt in Gesprächen kaum eine Rolle. Am Arbeitsplatz soll oder darf man darüber nicht reden, weil die Firmen ihre Beschäftigten und die Männer die schlechter verdienenden Frauen auf diese Art einfacher beherrschen.

Auch privat verzichtet man meist darauf, um keinen Neid auszulösen oder weniger betuchte Freunde nicht zu beschämen. Unlängst trank ich mit einer Bekannten die Nacht durch. Ich plapperte dies und das und erzählte, dass ich ordentlich verdiene. Nicht um rumzuprotzen, sondern weil ich finde, die Bedeutung des Mammons darf man nicht ignorieren. Sie meinte dazu brüsk: „Ich habe keine Lust, mit dir über Geld zu sprechen.“

Das ist ein Problem. Wer die privaten Finanzen beschweigt, wird den öffentlichen Haushalt nicht verstehen. Ein Beispiel: Nach dem Fall der Mauer, bekam meine Mutter einen halben Bauernhof in Sachsen-Anhalt plus Land geschenkt. Er hatte einem Onkel gehört und war in der 1950er Jahren kollektiviert worden. „Rückgabe vor Entschädigung“ hieß das Prinzip. 200.000 Euro davon investierte ich in eine Eigentumswohnung in Berlin-Kreuzberg. Von meinem damaligen Gehalt im journalistischen Niedriglohnsektor hätte ich mir die Hütte, die mittlerweile gut das Doppelte wert ist, niemals leisten können. Weil mir jedoch die Erbschaft in den Schoß fiel, gehöre ich nun zu den reichsten 15 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung. Interessanterweise bezahle ich für diese Kapitalvermehrung fast keine Steuer. Vierteljährlich zieht das Finanzamt 53 Euro Grundsteuer ein.

Sex ist kein Tabu mehr – Geld sehr wohl. Wer wie viel verdient und wie viel besitzt, spielt in Gesprächen kaum eine Rolle.

Über so etwas muss man sich unterhalten. Dann ist es leichter zu erkennen, ob etwas schief läuft. Vermutlich ist vielen Angehörigen der sogenannten, selbst empfundenen Mittelschicht nicht klar, dass sie tatsächlich am oberen Ende der gesellschaftlichen Hierarchie stehen. Ein paar hundert Euro mehr Grundsteuer würden mir finanziell nicht das Genick brechen. Das Geld-Tabu verhindert solche Debatten. Zuletzt kam ich deshalb auf einen verwegenen Gedanken: Ich veröffentliche meine Steuererklärung, um andere ebenfalls dazu zu animieren. Das birgt aber auch ein Risiko: Ich will meine Brötchengeber ja nicht auf dumme Gedanken bringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Wer über private Vermögen nicht reden will, der tut sehr gut daran, öffentliche Haushalte nicht zu verstehen. Er muss sich ja sonst schämen.

     

    Übrigens: Ich bin jetzt alt genug um zu wissen, dass es den neuen Menschen längst gibt. Wir täten also gut daran, ihm zu vertrauen, sonst verkrümelt er sich nämlich wieder.

  • "Ein paar hundert Euro mehr Grundsteuer würden mir finanziell nicht das Genick brechen."

     

    Eine selbstgenutzte(?) Wohnung/Haus ist sowas wie ein Grundbedürfnis. Man kann - als normaler - Bürger nicht auf der Straße schlafen. 53€ an den Staat ist da doch ganz ok.

     

    Wenn Sie ein schlechtes Gefühl damit haben, räumen Sie ein Zimmer für einen Obdachlosen aus Osteuropa, der auf der Sreaße lebt und in d nichts erben kann. Das wäre gelebte Solidarität mit wi8rklich Armen.

  • Kann man mit Hilfe von öffentlichen Finanzen das Leben von Armut gefährdeten Menschengruppen gem. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und Menschen, die bereits arm sind, deutlich verbessern?

     

    Sicher! Da gibt es Gestaltungsspielräume!

     

    So gibt es beispielsweise in der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2016 einen Posten beim Vermögen, der heißt: „Guthaben bei Banken und anderen Geldanstalten“.

     

    Guthaben am 01.01.2016 betrug 4.129.384.184,22 €. Am Ende des Jahres 2016 stieg dieses Guthaben enorm auf den Geldbetrag 19.165.245.710,85 €. Der Unterschied zum Anfang des Jahres betrug somit rund 15 Milliarden Euro im positiven Bereich bei diesem Posten.

     

    Bei solchen finanziellen Dimensionen und Möglichkeiten kann man bestimmt Deutschland verändern bzw. unseren Sozialstaat noch sozialer machen!

  • Kann man mit Hilfe von öffentlichen Finanzen das Leben von Armut gefährdeten Menschengruppen gem. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und Menschen, die bereits arm sind, deutlich verbessern?

     

    Sicher! Da gibt es Gestaltungsspielräume!

     

    So gibt es beispielsweise in der Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2016 einen Posten beim Vermögen, der heißt: „Guthaben bei Banken und anderen Geldanstalten“.

     

    Guthaben am 01.01.2016 betrug 4.129.384.184,22 €. Am Ende des Jahres 2016 stieg dieses Guthaben enorm auf den Geldbetrag 19.165.245.710,85 €. Der Unterschied zum Anfang des Jahres betrug somit rund 15 Milliarden Euro im positiven Bereich bei diesem Posten.

     

    Bei solchen finanziellen Dimensionen und Möglichkeiten kann man bestimmt Deutschland verändern bzw. unseren Sozialstaat noch sozialer machen!

  • Beispielsweise unter anderem Frankfurter Rundschau (auch eine unabhängige Zeitung) resümierte betreffend Deutschland:

     

    „ASOZIALSTAAT. Rente, Gesundheit, Pflege: Wie wir von UNTEN nach OBEN verteilen...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Klassenkampf von oben.

    Wer über Geld reden will, muss auch darüber reden, wo es herkommt.

    Alle Vermögen und Einkommen offenlegen, Schweden ist Vorbild!

    Ohne Information gibt es keine gerechte Wirtschaft.

     

    Der Sohn des Verfassers hat mt 17 Jahren immer noch keine Ahnung, wo Profite herkommen und meint, Bill Gates hätte den Arbeitern nicht eine Billion wegnehmen müssen, um so reich zu werden.

    Dass die Linke in Thüringen die Wirtschaft noch nicht zugrunde gerichtet hat, ist für den Verfasser wohl so schockierend, dass er es ignoriert.

     

    Das Bolschewistentum und die Zentralisierung der Wirtschaft hat die Linke aufgegeben. Da verwechselt der Verfasser sie mit der MLPD.

    Die Landesanteile von VW in eine Stiftung zu übertragen, die von den Arbeitern kontrolliert wird, wie Sarah Wagenknecht es gefordert hat, ist das genaue Gegenteil vom Bolschewistentum. Eher schon hat der Status Quo mit dem Staatseigentum an den Produktionsmitteln etwas Bolschewistisches an sich.

    Solches Geschmiere kann sich ein "Qualitätsjournalist" sparen.

     

    Da er bei der Erziehung seines Sohnes wohl auch versagt hat, was ethische Grundkompetenzen angeht, sei ihm ans Herz gelegt, gemeinsam mit seinem Sohn mal Marx zu lesen oder eine Zusammenfassung seiner ökonomischen Theorie.

    Sie ist nicht in allen Punkten richtig (weil es empirische Werte ohne Wertdiskurs, d.h. Gelddiskurs, nicht gibt), aber die Frage, wo der Profit herkommt, wird sehr gut erkannt. Da wiederhole ich nur das, was die geschätzte Wirtschaftsexpertin der taz hier vor kurzem auch geschrieben hat.

     

    Die Ideen von Sarah Wagenknecht muss man nicht mögen, aber bolschewistisch sind sie nicht. Hat der Verfasser mal was von ihr gelesen?

  • "Sahra Wagenknecht und den Nationalbolschewisten bei den Linken ist ihre Ideologie wichtiger, als sich mit praktischer Politik in einer rot-rot-grünen Koalition die Hände schmutzig zu machen." Ist total daneben. Die Linke incl. Frau Wagenknecht macht praktische Politik für die Verbesserung der Lage in D. Da haben Sie wohl etwas in den letzten 4 Jahren nicht mitbekommen. Wer hat denn die Koalition mit der Linken kategorisch ausgeschlossen, und war sich sogar für Öppositionsarbeit zu fein? Schauen Sie sich doch mal an, was die ach so pragmatische SPD in der GroKo tatsächlich erreicht hat. Einen Mindestlohn, der trotzdem den Bezug von ALG2 nicht unnötig macht. Sanktionen blieben, die Leiharbeit wird unterstüthzt, Firmenerben werden entlastet. All das hätte die SPD mit der Linken zusammen besser machen können, wenn sie gewollt hätte.

  • Beim Kauf haben Sie bereits Grunderwerbssteuern (aktuell 6 % in Berlin) gezahlt. Dazu kommen weitere Nebenkosten. Bei einem Altbausollten Sie pro Jahr 11,- €/qm pro Jahr als Instandshaltungsrücklage verbuchen. Beim Verkauf innerhalb von 10 Jahren versteuern Sie den (Spekulations)Gewinn mit Ihrem persönlichen Steuersatz.

    Eine Erhöhung der Grundsteuern trifft Mieter genauso; diese Steuer ist umlagefähig.

     

    Im Übrigen halte ich es für moralisch geboten, dass unser Land gestohlenes Eigentum an seine rechtmäßigen Besitzer (deren Erben) zurückgibt, bzw. diese entschädigt. Ob das nun Bauernhöfe oder (Gurlitt....)-Gemälde sind.

  • In Deutschland gibt es keine Vermögenssteuer. Auch gibt es für viele Kapitalerträge keine Steuer. Viele andere Länder besteuern beides. Sicher gibt es da noch die von den Consulting-Gesellschaften organisierten Steuerschlupflöcher für globale Unternehmen. In Deutschland haben wir dagegen eine hohe Besteuerung von mittleren Einkommen. Diese Schieflage führt dazu, dass die Mittelschicht schrumpft. Durch Arbeit ein kleines Vermögen anzusammeln ist sehr schwierig geworden.

    • @Velofisch:

      Die Steuerschlupflöcher sind das eine Problem. Das viel größere liegt jedoch daran, dass all die Geschäfte, die Sie ausgezählt haben, nicht nur keine Steuern, sondern vor allem keine Abgaben zahlen; d.h. dass die Sozialsysteme ausschließlich aus Löhnen bestritten werden muss.

       

      Da kann eigentlich nur das Schweizer Modell als erprobte Lösung herhalten...

    • @Velofisch:

      Für welche Kapitalerträge gibt es denn KEINE Steuer?

      • @Tom Tailor:

        Würde mich auch interessieren.

    • @Velofisch:

      Es liegt nicht nur an den Steuern. Die unteren Lohngruppen haben dank Agenda 2010 ca 20% weniger Reallohn, dafür aber mehr Ausgaben für KV und RV bei zusammengestrichenen Leistungen.

      • @Martin_25:

        "Es liegt nicht nur an den Steuern. ... mehr Ausgaben für KV und RV"

         

        Stimmt nur bedingt. Sozialabgaben swind nur zum Teil "Versicherungsleistungen", bei denen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehen muss. Ein großer Teil davon ist eine Umlage zur Tragung von Lasten der Allgemeinheit - also eine verkappte Steuer.

         

        Das hat zur Folge, dass "die unteren Lohngruppen" mit Steuern prozentual höher belastet werden, als Gutverdiener.

         

        Das Erstaunliche ist, dass sich darüber -außer mir- niemand aufregt.

  • Vielleicht ist das Geldtabu so ausgeprägt, weil sich niemand angreifbar machen möchte, weder der ängstliche Mensch ohne Rente, der überleben will, noch der solidarische, aber manchmal arme Mensch, der sich kaum abschotten kann (z.b. wenn die Ämter den beschämenden Einblick erzwingen), oder ein (e) besser oder schlechter verdienende Kollege/in bzw. Schuldner/in.

    Neid oder Unkenntnisse führen leicht zu wahnsinnigen Projektionen gegenüber Leuten mit einem ungewöhnlichen finanziellen Profil, z.B. sehr asketisch lebenden Menschen, Leuten mit starken Schwankungen beim Einkommen wie Künstler oder plötzliche Erben mit viel Kapital, aber wenig Einkommen oder Erfahrung im Geldumgang.

    Dagegen helfen Gespräche, die Geld zum Thema machen, Teilen und Tauschen, kleine Gruppen, Handel und Großzügigkeit, vor allem: Das Geld fließen lassen, es nicht horten. Mir haben diese und andere Artikel in der Taz und die klugen VWL-Bücher von Ulrike Hermann oder psycholog. Geldseminare weitergeholfen.

    Was die typische Taz-Millionärin angeht, so hat sie schon lange ihre Kohle vom Siechtum auf irgendwelchen Deposit-Accounts befreit. Banken können sehr gut ohne sie Geld aus dem Nichts generieren.

    Deshalb: Werft euch hinein ins Chaos und ihr werdet leben. Practise random acts of kindness and senseless acts of beauty. Vor Angst sterben könnt ihr später.

  • Ich verstehe den dritten Absatz nicht ganz. An DIE LINKE kann man wirklich viel Kritik anbringen, aber die hier vom Autor unterstellte nicht. Denn diese Partei will doch per Steuern endlich etwas gerechter umverteilen...oder?

    • @BeobachterHH:

      Mir hat das sofort eingeleuchtet. Die "Raus aus der NATO" Forderung für Koalitionsverhandlungen vom Frühjahr hat mich davon überzeugt das die Linke real gar keine Lust hat in Regierungsverantwortung zu kommen.

      • @E. Fahle:

        Die NATO war das Gegenstück zum Warschauer Pakt. Der ist Geschichte. die NATO hat sich überlebt. Bei den vorherigen Parteiprogrammen der SPD legten eigentlich eine Unterstützung der Position der Linken nahe. Ich kann da keinen Hinderungsgrund für eine Zusaemmenarbeit sehen. Die Nato will 2% vom BIP, hilft aber in keiner Weise Konflikte zu entschärfen. Es wäre Zeit an etwas besserem zu arbeiten. Danach kann die NATO verschwinden.

        • @Martin_25:

          die NATO hat sich überlebt.

           

          ??