Sicherheit und Persönlichkeitsrechte: Härter, schärfer, weiter
Union und SPD fordern Law & Order, dabei wurden in der letzten Legislaturperiode Sicherheitsmaßnahmen drastisch ausgeweitet. Eine traurige Bilanz.
Die Terroranschläge im vergangenen Jahr hätten die Sicherheitsbehörden auch vor „technische Herausforderungen“ gestellt, sagt de Maizière. Eine davon: das verschlüsselte Kommunizieren von Verdächtigen etwa über Whatsapp oder Telegram. Bis zu 400 Experten sollen bei Zitis nun für Polizei und Verfassungsschutz Techniken zur Entschlüsselung von Chats und zur Überwachung von Massendaten entwickeln. Problem nur: Bisher hat die Behörde laut Bundesinnenministerium nur 17 Mitarbeiter gefunden.
Die Opposition übt auch so heftige Kritik. Einen „Frontalangriff auf die Integrität und Vertraulichkeit digitaler Kommunikation“ nennen die Grünen Zitis. Auch „Reporter ohne Grenzen“ spricht von einem „Paradigmenwechsel“: „Weil der Staat erstmals systematisch Kommunikation und Endgeräte angreifen wird.“
Indes: Zitis bildet nur den Endpunkt einer ganzen Reihe von Überwachungsmaßnahmen, welche die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode auf den Weg brachte. Im folgenden eine Bilanz, eine traurige.
Gesichtserkennung via Kamera
Es ist der jüngste Streich. Seit August läuft am Berliner Bahnhof Südkreuz ein Probebetrieb: Ein halbes Jahr werden Softwares getestet, die mit Überwachungskameras Gesichter automatisch erkennen sollen – vorerst nur von Testpersonen, die ihre Fotos freiwillig für eine Datenbank übergeben haben. „Unsere öffentlichen Plätze müssen sicher sein“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Man teste, „was auf der Grundlage der heute vorhandenen Technik möglich ist“.
Inzwischen gibt es breite Kritik. Offen ist auch, ob die Transponder der Teilnehmer nicht noch mehr Daten erheben als bekannt. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff fordert, das Projekt auszusetzen. Und warnt: Werde die Gesichtserkennung flächendeckend eingesetzt, stelle das einen „erheblichen Grundrechtseingriff“ dar.
Staatstrojaner
Der Beschluss kam im Hauruckverfahren: Seit Juli darf die Polizei verdeckt ein Spähprogramm, den „Staatstrojaner“, auf Computer oder Smartphones installieren, um so Kommunikation abzufangen, bevor sie verschlüsselt wird, etwa via WhatsApp. Bei einer Onlinedurchsuchung darf der Trojaner noch mehr: Die Polizei kann den gesamten Inhalt einer Festplatte ausforschen. Bei Terrorverdacht war der Polizei das auch vorher schon gestattet, nun gilt es auch bei Mord oder Raub, bei der Entschlüsselung auch schon bei Drogendelikten oder Steuerhinterziehung.
Noch aber besteht kaum Gefahr: Die Ermittler bekommen den Trojaner technisch nicht hin. Die Datenschutzinitiative „Digitalcourage“ hat bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die Maßnahmen angekündigt: Der Eingriff in die Grundrechte sei unverhältnismäßig, das Gesetz sei „klar verfassungswidrig“.
Neuer BKA-Datenpool
Als „Zeitenwende“ lobt de Maizière das neue BKA-Gesetz. Damit wird die Polizei-IT grundsätzlich modernisiert. Künftig gibt es nun aber auch eine zentrale Datenbank, in der – vom Mörder bis zum Fahrraddieb – alle Tatverdächtigen und Delikte erfasst sind und auf die alle Ermittler Zugriff haben. Vom „Ende des polizeilichen Datenschutzes“ sprechen die Grünen.
Fußfessel für Gefährder
Auch das ist Teil des neuen BKA-Gesetzes: Gefährdern und verurteilten Extremisten können künftig elektronische Fußfesseln angelegt werden, um ihre Aufenthaltsorte zu kontrollieren. Nötig sind dafür eine richterliche Anordnung und Hinweise, die Person könnte einen Anschlag begehen. Das Problem: Wer Gefährder ist, legt die Polizei für sich fest, eine klare Definition gibt es nicht.
Und Straftaten muss dieser bisher auch nicht begangen haben – ein Verdacht genügt. Bisher werden alle Gefährder allerdings von den Ländern beobachtet: Das Bundesgesetz hat praktisch also bisher keine Auswirkung. Einige Länder wollen die Fußfessel aber nun ebenfalls einführen.
Speicherung von Fluggastdaten
Ab Mai 2018 soll es losgehen: Dann sind Airlines verpflichtet, von ihren Passagieren für sechs Monate die Namen, Kreditkartennummern, Gepäckstücke, Mitreisende oder auch den Essenswunsch an das BKA weiterzuleiten. Danach werden diese Daten anonymisiert und weitere fünf Jahre gespeichert. Wie genau damit Terroristen und Kriminelle erkannt werden sollen, ist offen.
De Maizière hatte das Projekt lange gefordert, Ende April verabschiedete es der Bundestag. Damit setzt Deutschland mit als erstes eine entsprechende EU-Richtlinie um. Ob sie wirklich kommt, ist ungewiss: Erst kürzlich kippte der Europäische Gerichtshof die Weitergabe von Fluggastdaten der EU an Kanada.
Kameras für Polizisten
Demnächst können Bundespolizisten mit Schulterkameras auf Streife gehen: den Bodycams. Die Kameras werden an der Uniform getragen, sie sollen Straftäter filmen und abschrecken. Einige Länder erproben die Bodycams bereits. Datenschützer sind nicht begeistert: Die Kameras stellten einen „nicht unerheblichen Eingriff“ in das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung dar, so etwa die NRW-Datenschutzbeauftragte.
Mehr Videokameras im öffentlichen Raum
Im März beschloss der Bundestag: Künftig sollen private Einkaufszentren, Sportarenen oder öffentliche Anlagen mit Kameras überwacht werden. Zwar dürfen Datenschutzbehörden dies auch weiterhin prüfen, allerdings müssen sie nun „Sicherheitsbelange in ihrer Abwägung stärker berücksichtigen“. Diese gelten jetzt „als besonders wichtiges Interesse“. Der Richterbund hat Bedenken: Mit der Maßnahme würden „ganz überwiegend Personen überwacht, die selbst keinen Anlass dafür geben“. Durch immer mehr Kameras entstehe ein „diffuses Gefühl des permanenten Überwachtwerdens“.
Kennzeichenlesesysteme
Auch das darf die Bundespolizei jetzt: Nummernschilder von Autos auf Autobahnen automatisch erfassen. Die Fahndung nach über die Grenzen hinweg aktiven Kriminellen soll so verbessert werden, heißt es im Bundesinnenministerium. Stattfinden soll sie nur „anlassbezogen“: Wenn es Straftaten gab oder „erhebliche Gefahren für Leib und Leben“ zu befürchten seien.
Vorratsdatenspeicherung
Es ist fast schon vergessen: Bereits 2015 beschloss die GroKo die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die SPD hatte sich lange dagegen gesträubt, dann knickte sie ein. Zehn Wochen lang soll nun gespeichert werden, wer wann mit wem wie lange telefonierte oder SMS schrieb. Die Standortdaten von Handygesprächen sollen für vier Wochen aufbewahrt werden.
Im Juli sollte das große Speichern eigentlich losgehen. Dann aber erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster die Vorratsdatenspeicherung als unvereinbar mit EU-Recht. Die Bundesnetzagentur setzte den Speicherzwang für die Internet- und Telefonanbieter daraufhin aus. Die Opposition fordert nun die Vorratsdatenspeicherung „ein für alle Mal zu beerdigen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus