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taz-Interview mit Martin Schulz„Die politische Mitte ist sediert“

Der SPD-Spitzenkandidat hält Kanzlerin Angela Merkel für „opportunistisch“, die Deutschen für nicht interessiert am Streit. Und die Medien? Entpolitisiert.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz teilte im taz-Interview aus Foto: Bernd Hartung

Berlin taz | SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat in einem Interview mit der taz (Montagsausgabe) Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf angegriffen: „Die Art und Weise, wie sie ihre Positionen revidiert, ist gnadenlos opportunistisch“, sagte er. Als Beispiel führte er das TV-Duell vom letzten Sonntag an: „Als ich forderte, die EU müsse ihre Beitrittsverhandlungen mit Erdogans Türkei abbrechen, hat sie in ein paar Minuten ihre Haltung angepasst. Wahnsinn“, so Schulz weiter.

Merkels Erfolg erklärt Schulz mit der Unlust der meisten Deutschen am politischen Streit. „Meine Frau hat mir gesagt: ,Die Leute wollen in Ruhe gelassen werden. Und Du beunruhigst sie.' Darüber haben wir gestritten. Denn ich glaube: Auch wenn die politische Mitte sediert ist, müssen wir unsere Themen vertreten und für Veränderung werben.“

Auch die Medien kritisierte Schulz: „In Frankreich käme Merkel in die mediale Frikassiermaschine“, sagte er bezüglich Merkels Ankündigung, die Hälfte des Kabinetts mit Frauen zu besetzen. Das hatte Schulz‘ schon ein halbes Jahr zuvor angekündigt. „In Deutschland wird eher darüber geschrieben, welch schlauer Schachzug der Kanzlerin das wieder gewesen sei“, so Schulz weiter.

Es gebe „eine bestimmte Neigung des deutschen Hauptstadtjournalismus zur Entpolitisierung“. Selbst in Brüssel würden „die, die hohe Funktionen inne haben, härter rangenommen als in Berlin“, so Schulz.

Vermögenssteuer ist ein „interessantes Instrument“

Auf die Frage, warum die SPD nicht deutlichere Korrekturen an der Agenda 2010 vorgenommen hat, antwortete Schulz zurückhaltend: „Weil es mir nicht um die Diskussionen der Vergangenheit geht, sondern um die Gestaltung der Zukunft.“ Er habe die Aufgabe, die Partei als relevante Kraft zu erhalten. „Dazu gehört ein integrativer Führungsstil.“

Die SPD drücke sich nicht vor der Umverteilungsfrage. „Die Vermögensteuer ist ein interessantes Instrument, aber sie ist verfassungsrechtlich schwer umzusetzen“, sagte Schulz' weiter. Die SPD werde „aber in der nächsten Wahlperiode die Erbschaftsteuer in Angriff nehmen. Private Erben größerer Vermögen müssen stärker besteuert werden“, sagte Schulz der taz.

Das vollständige Interview lesen sie in der Montagsausgabe der taz und am Montagvormittag auf taz.de.

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10 Kommentare

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  • Mit alter sozialdemokratischer Politik (und dazu gehört auch Grenzsicherung und Rechtssicherheit) hätte die SPD keinerlei Probleme 40+ zu bekommen.

  • Wer von Gerechtigkeit redet, kann sich nicht um die größte Ungerechtigkeit der letzten 20 Jahre herum drücken!!!

     

    Schulz ist nicht in der Lage die eigene Partei vollständig hinter seine Themen zu bekommen, wie will er das dann mit der "sedierten" Mitte schaffen?

     

    Diese sogenannte sedierte Mitte schläft nicht, sondern sie schläft bei den verwaschenen Themen von Schulz ein.

     

    Nichts, aber auch rein Garnichts seiner Themen sind zu ende Gedacht. Alles scheint nur auf die Überschriften reduziert, ohne direkten Bezug auf die Umsetzung dieser Themen.

    Wer den ganzen lieben langen Tag nur Schlagzeilen von sich gibt, kann nicht erwarten, dass Menschen, die sich Gedanken um ihre Zukunft machen, sich davon Beeindrucken lassen.

     

    Schulz ist, zumindest in den letzten Jahren, der Politiker, der die größten und meisten Vorschusslorbeeren bei Kandidatur Antritt bekommen hat.

    Er hat ein Wahlergebnis von 100% bei der Wahl des Parteivorsitzenden erreicht und war nicht in geringsten in der Lage, etwas daraus zu machen!

     

    Seine Strategie für Gerechtigkeit zu sorgen hätte aufgehen können, wenn er sich denn auch mit Themen eingedeckt hätte, die eben diese verbessern hätte können!

    Aber er verhaspelte sich immer weiter in mehr oder weniger aufgezwungene Themen, die bereits von allen anderen Parteien bis zum Erbrechen behandelt werden und wurden! Diese hatten dann meist auch genau die gleichen Lösungsansätze wie Schulz, so dass das alles nur als aufgewärmter Kaffee von ihm rüber kam.

    Er hat es absolut verpasst sich mit dem Thema Gerechtigkeit zu profilieren.

    Schulz hat die unteren 40% der Bevölkerung vollkommen hängen gelassen, diese 40% wären aber genau diese gewesen, die ihm die Wahl an ehesten ermöglicht hätten.

     

    Wer sich, so wie die deutsche Politik im allgemeinen, von den Lobbyverbänden, bzw. Lobbyisten abhängig zeigt, kann nicht erwarten, das die Menschen, sprich Hartz IV Empfänger, die keine Lobby haben, einen Mann wählen, der sie aus ihrer Sicht im Stich lässt!!!

  • Es ist sedierend, von sozialer Gerechtigkeit zu reden und dabei nicht zu sagen wie man das angehen will, nur weil es einige vor den Kopf stossen würde. Schulz (und mit ihm die SPD) hatte eine Chance, und er hat sie versiebt.

     

    Im Bewusstsein Vieler ist die Merkel-CDU linker als die Schulz-SPD und spätestens die brüderliche Umarmung von Schröder hat das nochmal unterstrichen. Schröder war der Anfang vom Ende der SPD, da hätte Schulz den Mut zum Königsmord aufbringen müssen, aber den hatte er nicht. Hätte er Schröder schlicht ausgeladen, das wäre ein Anfang gewesen.

     

    Die SPD muss erst durch ein Feuer gehen und Schulz ist kein Feuer, er ist nur ein Räucherstäbchen.

  • Die politische Mitte ist hellwach. Das Problem von Schulz ist, dass er nicht aufzeigen kann, wieso es der politischen Mitte besser ginge mit ihm als Kanzler.

    Das Thema Bildungsgerechtigkeit ist in der politischen Mitte ein Problem von anderen, kommt aber im eigenen Erleben nicht vor.

    53% eines Jahrgangs sind studienberechtigt, die Unternehmen suchen händeringend Auszubildende, der Anteil der Mädchen auf dem Gymnasium liegt bei 52%.

    Es gibt aber ein großes Gespür für Gefahren und Risiken für den eigenen Lebensstandard. Und da hat Schulz keine guten Antworten.

  • Herr Schulz hat festgestellt, dass "die politische Mitte sediert ist." Aha !

    Sediert zu Sedimenten also, wo die Schichten so starr zusammengebacken sind, dass seine "Werbung für Veränderung" nichts und niemand bewegen kann.

     

    Wie kann denn eine SPD, die alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um Baukonzernen, Versicherungen und anonymen Hedge-Fonds unsere Autobahnen abschnittsweise für 30 Jahre als bombensichere Rendite zuzuschanzen, für noch mehr Veränderungen werben ?

  • „Die Art und Weise, wie sie ihre Positionen revidiert, ist gnadenlos opportunistisch“, sagte [schulz]

     

    Tja - Merkel hat keine Positionen, sie hatte auch nie welche!

    Beispiele:

    "Multikulti ist gescheitert" (2003)

    Kernenergie? Ja! Nach Fukushima dann: Nein.

    "Ehe für Alle" - Merkel stimmt mit Nein!

    "Eurobonds" - Niemals - die EZB macht genau das unter anderem Namen.

     

    Die Liste ist beliebig lang, das wichtigste für den Parteikader ist nur: Hoffen, dass Merkel niemals

    "voll hinter einem steht!"

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Sedierend wirkt vor allem der wandelnde Sprachfehler.

  • Alle Startrek Fans kennen die "Borgs".

    Genau so ist Merkel.

  • Die Beantwortung der Frage nach Agenda 2010 ist der so typische Wischiwaschi, den man von Schulz gewohnt ist; Schön umschiffen. Wir befassen uns nicht mit Vergangenheit (weil´s in Zukunft auch nichts anderes serviert gibt). Dazu fällt mir der diesbezüglich geistreiche Satz von Santayana ein. Adeus SPD!

  • Als Parlamentspräsident in Brüssel hat Martin Schulz durch eine paneuropäische GroKo diese Sedierung maßgeblich mit betrieben.