Länderchefs ziehen die Grenzen: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE
Die elf Unions-Ministerpräsidenten haben Angela Merkel gestern die Treue geschworen. Alle ziehen an einem Strang – so soll es jedenfalls aussehen. Fragt sich allerdings, wie viele der elf bei diesem Schwur die Finger hinter dem Rücken gekreuzt haben.
Nein, der Machtkampf in der Union ist noch nicht vorbei. Als Merkels Steuerexperte Kirchhof zum Risiko wurde, holten drei Ministerkandidaten eilends den stillgelegten Friedrich Merz aus der Versenkung. Wenn also der Sieg wackelt, ist Merkel nicht mehr die Herrin des Verfahrens. Gewinnt Schwarz-Gelb, können wir uns nicht nur auf viel Unerfreuliches, sondern auch auf vergnügliche Palastrevolten einrichten.
Interessant an dem beherzten „Wahlaufruf der Ministerpräsidenten von CDU und CSU“ ist dabei nicht, was drin steht, sondern was fehlt. Von Mehrwertsteuererhöhung und Steuersenkung, zwei zentralen Anliegen der Union, kein Wort – aus gutem Grund. Merkel will das Geld, das die Mehrwertsteuer einbringt, allein für den Bund, und die versprochenen Steuersenkungen gehen zulasten der Länder. Wenn Schwarz-Gelb siegt, haben sie weniger in der Kasse.
Das ist kein Detail. Es führt geradewegs ins Konfliktzentrum der möglichen schwarz-gelben Republik. Merkel und Westerwelle zielen auf den kompletten Umbau des deutschen Systems: weg vom Sozialstaat, hin zu britischen, sogar US-amerikanischen Verhältnissen. Dabei gibt es zwei Widerstandskerne. Bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes sind dies die Gewerkschaften – wobei zweifelhaft ist, ob sie noch in der Lage sind, soziale Gegenmacht zu organisieren. Bei den radikalen Steuersenkungen à la Kirchhof sitzt der Gegner hingegen im eigenen Boot. Es sind die CDU-Ministerpräsidenten, allen voran Oettinger aus Baden-Württemberg und Koch aus Hessen, die nicht dulden wollen, dass die Löcher in ihren Haushalten tiefer und tiefer werden.
Merkels anvisierte neoliberale Revolte wird nicht am machtlosen Arbeitnehmerflügel der CDU scheitern – sie wird gegen solide denkende Länderfinanzminister mit CDU-Parteibuch kämpfen müssen. Wenn ihr Durchmarsch à la Thatcher stecken bleibt, dann werden wir dies dem deutschen Föderalismus zu verdanken haben.
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