piwik no script img

Wohin mit meiner Stimme?

LEICHTE SPRACHEFatma Aydemir ist 30 Jahre alt und nimmt zum ersten Mal an einer Bundestags-Wahl teil.Aber welche Partei passt zu ihr?

Fatma Aydemir Foto: Karsten Thielker

von Fatma Aydemir

Fatma Aydemir sagt: Ich bin 30 Jahre alt und wähle zum ersten Mal. Bisher durfte ich das nicht. Warum? Meine Eltern sind vor vielen Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Ich bin in Deutschland geboren, doch den deutschen Pass habe ich erst vor 2 Jahren bekommen. Nur wer einen deutschen Pass hat, darf in Deutschland wählen.

Welche Partei soll ich wählen? Das ist eine wichtige Entscheidung. Ich muss mich fragen: Welche Politik will ich? Und wie will ich in Deutschland leben?

Kaum Unterschiede zwischen den Parteien

Mein Problem ist: Die Parteien unterscheiden sich kaum. Es gibt die FDP, CDU, SPD, Linke und Grüne. Dochkeinevon den großen Parteien hat ein klares Thema, für das sie sich einsetzt. Deshalb kann ichnichteindeutig sagen: Das finde ich an der einen Partei gut! Oder das finde ich an der anderen Partei schlecht!

Soll ich überhaupt wählen?

Ich frage mich: Soll ich überhaupt wählen gehen, wenn ich keinenUnterschied zwischen den Parteien sehe? Oder lieber zu Hause bleiben? Lieber Fernsehen gucken? Nein, das geht natürlich nicht.

Schon aus diesem Grund muss ich wählen: Niemandaus meiner Familie oder meinem engen Freundes-Kreis darf wählen.Sie alle haben keinendeutschen Pass. Ich sollte mein Wahl-Recht also nutzen. Deshalb schaue ich mir einige Parteien genauer an.

Passt die Partei Die Linke zu mir?

Ich wünsche mir eine linke Politik. Ich wünsche mir zum Beispiel mehr soziale Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich: Dass es allen Menschen in Deutschland gut geht und alle Menschen die gleichen Rechte haben.Egal, wie viel Geld sie verdienen. Egal, welches Geschlecht sie haben. Egal, aus welchem Land sie kommen. Die Partei Die Linke setzt sich für soziale Gerechtigkeit ein.

Ich habe aber mit der Partei Die Linke dieses Problem: Ich mag ihre Spitzen-Kandidatin nicht.Die Spitzen-Kandidatin heißt Sahra Wagenknecht und spricht schlecht über Flüchtlinge, um Wähler-Stimmen zu gewinnen.Menschen wegen ihrer Herkunft zu verurteilen,ist für michnichtlinks.

Soll ich die Partei Die Grünen wählen?

Vor einigen Jahren waren die Grünen anders als heute. Sie haben eine Politik gemacht, die mir gefiel. Sie wollten die Welt verändern. Sie wollten mehr Umwelt-Schutz. Und auch sie wollten mehr soziale Gerechtigkeit. Heute sind die Grünen aber eine „Besserverdiener-Partei“. Das bedeutet:Sie wollen Wähler-Stimmen von Menschen, die gut verdienen. Diese Menschen brauchenkeinesoziale Gerechtigkeit. Diesen Menschen geht es schon gut.

Und was ist mit der Partei SPD?

Ich möchte die SPD gerne gut finden. Ich weiß aber nicht, für welche Politik ihr Spitzen-Kandidat Martin Schulz steht. Auch er hat mal gesagt, er will mehr soziale Gerechtigkeit. Er hat aber niegenau gesagt, was soziale Gerechtigkeit für ihn bedeutet. Und er hatniegenau gesagt, mit welchen Mitteln er soziale Gerechtigkeit erreichen will.

Ich weiß also immer noch nicht, welche Partei ich wählen soll.

Ich rufe meine Mutter an. Welche Partei würde meine Mutter wählen, wenn sie wählen dürfte? Meine Mutter sagt: Sie würde heute Angela Merkel wählen.

Die Antwort von meiner Mutter gefällt mir nicht. Früher hat mir meine Mutter erzählt: Die Politiker von der CDU gehören zu den Bösen. Die CDU vertritt altmodische Werte und Ziele. Die CDU wählt man nicht. Das war die Meinung meiner Mutter vor 25 Jahren.

Heute sagt meine Mutter: Das waren damals andere Zeiten. Heute gibt es gute Gründe, um Angela Merkel und ihre Partei CDU zu wählen. Zum Beispiel diese Gründe:

Angela Merkel wird als Bundes-Kanzlerin von anderen Ländern und Politikern in der Welt geachtet.

Angela Merkel hatte den Mut, viele Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.

Und der deutschen Wirtschaft geht es gut.

Ich entscheide mich trotzdem gegen Angela Merkel. Es gibt gute Gründe, sie zu wählen. Aber es gibt ebenso gute Gründe, sie nichtzu wählen.

Ich entscheide ich mich für eine andere Lösung. Ich schreibe eine Nachricht an meine Freunde, die nichtwählen dürfen. Sie sollen mir schreiben, welche Partei sie wählen würden. Bei der Bundestags-Wahl wähle ich dann die Partei, die meine Freunde für die richtige Partei halten.

Original-Text: Fatma Aydemir

Übersetzung:Christine Stöckel und Belinda Grasnick

Prüfung: capito Berlin, Büro für barrierefreie Information

Original: In nicht so leichter Sprache lesen Sie den Text hier: taz.de/ersteWahl

Das Projekt:Die Übersetzungen in Leichte Sprache von unserem Projekt taz.leicht erscheinen einmal in der Woche auch in der Wahl-taz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen