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Kolumne Wir retten die WeltHurrikan Harvey trifft die Falschen

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Der Ölstaat Texas, der Klimaschutz blockiert, säuft ab. Klammheimliche Freude? Desaster schaden vor allem den Armen. Bei uns und weltweit.

Flucht mit Sack und Pack vor den Fluten in Houston Foto: Reuters

W as genau ist eigentlich Ironie?“, fragte meine Tochter letztens, als sie über ihren Deutsch-Hausarbeiten saß. „Und was ist Zynismus?“ Ich kam ins Schwitzen. Heute würde ich sagen: Ironie ist, wenn ein Sturm durch den Klimawandel so heftig wird, dass er die Welthauptstadt der Ölbarone und Gasgangster lahm legt. Wenn der US-Staat absäuft, der seit Jahrzehnten den Klimaschutz verhindert.

Und Zynismus ist es, wenn man sich darüber freut.

Ich gebe es zu: Ein kleiner Teufel im schwärzesten Bereich meiner Seele flüstert: „Endlich trifft es mal die Richtigen!“ Ich erinnere mich an meine letzte Recherche in Texas, an hilflose Klimawissenschaftler, verzweifelte Umweltschützer und vor allem an arrogante, stinkreiche und ignorante Ölgötzen in Washington und Houston. Klimawandel? Gibt's nicht, ist schlecht fürs Geschäft. Wer danach fragt, hat sie nicht mehr alle.

Der linke US-Ökonom Jeffrey Sachs fordert, der Gouverneur von Texas solle zurücktreten, die texanischen Politiker in Washington müssten sich bei den Amerikanern und der Welt entschuldigen. Erst bekämpften sie die Wissenschaft, „und dann kommen sie und betteln um Hilfe“.

Wenn stinkreiche Ölgötzen Umweltschutz verhindern

Allerdings: Wenn man die Bilder aus Houston sieht, dann betteln andere Menschen um Hilfe. Es sind zum größten Teil die Armen, die unter dem Sturm „Harvey“ am meisten leiden. Bibbernde schwarze Kinder in Schlauchbooten, Familien ohne Versicherung für ihre zerstörten Häuser. Es ist das Fußvolk der Ölbohrer, denen das Wasser bis zum Hals steht. Es sind nicht die Bosse, Manager, Banker, Experten und Lobbyisten, denen alles davonschwimmt. Die haben Rücklagen, Versicherungen, die werden sich an der Hilfe aus Washington gesundstoßen, wie es immer bei Katastrophen passiert. Und die werden über ihre Investments noch davon profitieren, dass der Benzinpreis steigt, weil die Raffinerien dicht sind.

Die Bilder erinnern uns daran, dass der Klimawandel eine Macht- und Klassenfrage ist. Um es mal ganz grob zu vereinfachen: Wer national und global betrachtet reich ist, der verursacht das Problem und schützt sich auch noch gegen die Konsequenzen. Wer arm und ohnmächtig ist, verliert sein Eigentum, seinen Job (als Farmer oder Ölarbeiter) und manchmal sein Leben.

Wer Gerechtigkeit will oder auch nur effizienten Klimaschutz, der muss dafür sorgen, dass die Täter nicht weiter geschützt werden und die Opfer nicht immer wieder draufzahlen. Also, nein: Harvey trifft nicht die Richtigen, sondern liefert höchstens den Opfern einen Anlass, sich zu wehren. Wenn sie denn mal wieder an etwas anderes denken können als eine sichere Unterkunft und eine warme Mahlzeit.

„Ironie heißt, etwas zu sagen und das Gegenteil zu meinen“, habe ich versucht, meiner Tochter zu erklären. Aber die Lügen der Öllobby und ihrer Politiker sind nicht ironisch, sondern zynisch, weil sie Aufklärung und eine Änderung der Zustände verhindern. Genauso zynisch wie unsere Öffentlichkeit, die die Toten und die Schäden von Houston auf die Titelseiten hebt – und als Kurzmeldung abhandelt, wenn bei ebensolchen Regenstürmen in Indien, Pakistan, Bangladesch, Sierra Leone, Nigeria, Niger, Kamerun und Sudan ganze Landstriche untergehen und tausende Menschen sterben. Der Sturm beutelt die Falschen. Aber auch unser Blick auf das Problem ist ein Problem.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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8 Kommentare

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  • ist doch bizarr, oder? wir werden tonnenweise mit chemikalien ueberschuettet, unsere aecker, unsere felder, unsere nahrung, und wenn dann doch mal 40 - 50% der bevoelkerung ihren krebs bekommen, dann profitieren von der chemotherapie ganz massiv wieder die gleichen konzerne.. ist das jetzt ironisch, zynisch, lustig oder einfach nur ulkig?

  • Es wird wieder viel über die "stinkreichen Ölgötzen" geschimpft.

    Aber wer macht diese reich?

    Jeder, der heute wieder in sein schickes PS-starkes Auto steigt, die neue Flugreise plant, shoppen geht und einfach weiter ignoriert daß unserer westlicher Lebensstil drei - bis fünfmalsoviel Recourcen verschluckt wie jedem Einzelnen von Natur aus zur Verfügung stände, der sollte schleunigst über sein eigenes Handeln nachdenken.

  • "Hurrikan Harvey trifft die Falschen"

     

    Der Autor sorgt sich anscheinend um gewisse Gerechtigkeit der Natur und die Bestrafung der Übeltäter, die unseren armen Planeten ständig anheizen.

    http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/china-stoesst-weitaus-mehr-co2-aus-als-bekannt-a-1061018.html

    http://www.climatechangenews.com/2017/03/31/chinese-co2-emissions-really-peaked/

     

    Vielleicht kann er diese klammheimliche Freude beim nächsten Taifun in China ausleben.

     

    Sorry, eine Naturkatastrophe für eine Klimapredigt zu nutzen ist einfach nur schäbig.

     

    BTW, Jeffrey Sachs ist kein "linker Ökonom" - in jedem Land wo er ran durfte waren seine Reformen extrem wirtschaftsliberal ohne Rücksicht auf soziale Kosten. Dass er bisschen über Klima, Armut etc. doziert, macht ihn noch lange nicht "links".

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Sie können indessen der 1500 Monsunopfer in Indien und Bangladesh gedenken.

    Und was den Rest angeht (Ihre Freude), es kann nur besser werden mit Ihnen, geben Sie die Hoffnung nicht auf

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @61321 (Profil gelöscht):

      @HANUMAN o.c.

  • KLAMMHEIMLICH...

    freue ich mich - unter den gewissensbissen ihrer guten kolumne - schon, dass der schöpfer den gläubigen - und abergläubischen - in "god's own country" einmal mehr eins auf die freche schnauze gesetzt hat. meine oma hat mich gelehrt: wer nicht hören will, muss fühlen - also: god bless america !

  • Komisch ist das ganze schon. Aber der Wirbelsturm wurde nicht von Politiker sondern von der Natur geleitet

  • 3G
    35887 (Profil gelöscht)

    Danke für den Artikel Herr Pötter. Der Unterschied zwischen Arm und Reich war heute schön auf der Onlineseite eines großen Hamburger Wochenmagazins mit Vorher-Nachher-Bildpaaren aus Houston zu besichtigen:

     

    Eine absolute Nobelsiedlung in Houston in der Flut; freistehende Häuser der Multimillionen-Dollar-Klasse in einem Neubaugebiet. Die Umgebung einschließlich der Zufahrtsstraße steht unter Wasser, selbst die halbkreisförmigen Erschließungsstraßen sind überflutet. Nur die Häuser nicht, jedes sitzt auf seiner eigenen, wahrscheinlich teuer aufgeschütteten, Hallig. Nicht einmal die Autos der Besitzer haben nasse Füße auf den erhöhten Zufahrten. Die Developer werden doch nicht etwa etwas gewußt haben, als sie diese Halligen aufgeschüttet haben?

     

    In einem eher ärmlichen aber dennoch gepflegtem Bezirk in tieferer Lage (floodplains/Überflutungsgebiet) dagegen Hoffnungslosigkeit: Das Haus samt Inventar, das wahrscheinlich alles war, was die Bewohner sich in ihrem Leben je leisten konnten, bis fast zur Dachkante unter Wasser. Ein Schwarzer, dem das Wasser bis über die Brust reicht, watet mit einem Plastiksack auf dem Kopf durch die Fluten. Wahrscheinlich enthält der Sack alles, was ihm geblieben ist.

     

    Jegliche Art von Schadenfreude verbietet sich bei einem derartigen Anblick. Zumal Trump, Mercer, Bannon, Koch Brothers, Tea Party und Co. sich von solchen Kinkerlitzchen wie Harvey ohnehin nicht in ihrer verqueren Sicht auf die Dinge beirren lassen werden.