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Kommentar Flüchtlingspolitik in EuropaNichts sehen, nichts hören, nichts tun

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die meisten Fliehenden bleiben nahe ihrer Heimat. Im Kongo steigen die Flüchtlingszahlen. Die Krise verschärft sich, die EU bleibt ignorant.

Die UN-Friedensmission ist gescheitert, das Land ist auf sich allein gestellt Foto: dpa

I n den deutschen und europäischen Diskussionen über die richtige Flüchtlingspolitik wird ein Aspekt meist übersehen: Die allermeisten Fliehenden und Verjagten der Welt bleiben so nahe an ihrer Heimat, wie es geht. Entweder wollen sie einfach möglichst schnell wieder zurück nach Hause, oder sie haben gar nicht die Möglichkeit, weiter zu reisen als einen Fußmarsch. Oder aber Terror und Gewalt hindern sie daran, sich in Sicherheit zu begeben. Die schlimmsten Flüchtlingsdramen der Welt sind daher auch oft die unsichtbarsten – und spielen in der politischen Debatte keine Rolle.

Nirgends auf der Welt steigt die Zahl der Binnenflüchtlinge derzeit so rasant an wie in der Demokratischen Republik Kongo: 3,8 Millionen waren es vor einem Monat, annähernd 4 Millionen dürften es mittlerweile sein. Die Hälfte davon ist seit Sommer 2016 dazugekommen. Und ein Ende ist nicht abzusehen: Jeden Monat werden es gut 100.000 mehr. In immer mehr Teilen des riesigen Landes mit 80 Millionen Einwohnern auf der Fläche Westeuropas breiten sich Konflikte aus, bei denen Terror gegen die Zivilbevölkerung das beliebteste Kriegsmittel ist. Inzwischen steigt auch die Zahl der Unterernährten im Kongo deutlich an – derzeit 7,7 Millionen, es werden immer mehr, und das in einem der fruchtbarsten Länder der Erde.

Zusammen mit ähnlichen Krisen minderer Größenordnung in Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik offenbart sich hier ein länderübergreifendes Scheitern der internationalen Friedenssicherung. Im Kongo steht nämlich auch die größte UN-Friedenstruppe der Welt. Bisherige Friedensstrategien bauen darauf auf, den kongolesischen Staat zu stärken, weil Staatszerfall als Grund für die verbreitete Gewalt gesehen wird. Aber wenn staatliche Akteure selbst Gewaltakteure sind und staatliche Organe nicht neutral agieren, sondern Konflikte mit anheizen, fördert diese Strategie die Instabilität, statt sie einzudämmen.

Unter diesem Aspekt ist das ganze Gerede von Fluchtursachenbekämpfung und Unterstützung für Afrikaner, damit sie zu Hause bleiben, ziemlich sinnfrei. Die Kongolesen – und die Südsudanesen und Zentralafrikaner – bleiben ja zu Hause. In Elendsquartieren – in Sichtweite ihrer Heimat und in Schussweite ihrer Feinde. Und genau deswegen schert sich der Rest der Welt nicht im geringsten um ihr Überleben.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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17 Kommentare

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  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    In den deutschen und europäischen Diskussionen über die richtige Flüchtlingspolitik wird auch ein anderer Aspekt,

    die Bevölkerungsentwicklung in Afrika, ausgeblendet. Leider auch in diesem Artikel. Es wird zwar die steigende

    Zahl der Binnenflüchtlinge (100.000 pro Monat neu) und unterernährten Personen erwähnt, nicht aber das Wachstum der

    Bevölkerung.

     

    Hier mal die Bevölkerungszahlen der DR Kongo aus [1]:

     

    DR Kongo 1950: 12 Mio, 2015: 76 Mio

     

    Macht also eine Versechsfachung der Bevölkerung der DR Kongo in etwas mehr als zwei Generationen.

    Die 1,2 Mio neuen Binnenflüchtlinge pro Jahr sind übrigens etwa die Hälft des Bevölkerungszuwaches 2014/2015.

     

    Dass staatliche Strukturen im Kongo bei diesem Wachstum nicht die medizinische Versorgung, Bildung, Infrastruktur

    und Justiz bereitstellen können, ist für mich nicht überraschend. Ich denke auch nicht, dass die Industrienationen

    in der Lage sind, die Situation von außen alleine zu "reparieren". Zur externen Hilfe müsste noch eine konsequente

    Ein-Kindpolitik kommen. Bei beidem habe ich nur wenig Hoffnung, dass es umgesetzt werden kann.

     

    [1] https://esa.un.org/unpd/wpp/DVD/Files/1_Indicators%20(Standard)/EXCEL_FILES/1_Population/WPP2017_POP_F01_1_TOTAL_POPULATION_BOTH_SEXES.xlsx

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Auch wenn das alles gar nichts mit dem obigen Artikel zu tun hat: 1. könnten Sie feststellen, dass im gesamten Afrika und auch speziell in der DR Kongo seit um die Jahrtausend-Wende die Fertilität beständig abnimmt.

      2. Wär zu sagen, dass die Bevölkerungsdichte dort noch bei Weitem nicht an die in Deutschland heranreicht. Ja, es fehlt an Infrastruktur und allem. Aber dieses Problem lässt sich nun mal nicht von der durch Kolonialisierung und Rohstoffraub geprägten Geschichte des Landes trennen. Übrigens hat die Christianisierung sicher auch nicht unwesentlich zu diesem Bevölkerungswachstum beigetragen.

    • @83492 (Profil gelöscht):

      Die Frage wär jetzt nur mal, was das Ganze mit dem obigen Artikel zu tun hat? Die DR Kongo hat trotzdem genug fruchtbares Land und Wasser, um alle Einwohner zu ernähren. Was die aktuelle Situation geschaffen hat, sind Kolonialisierung und Rohstoffbedarf der modernen Industrieländer. Auch wenn SIE sowas wiederum nicht hören oder lesen wollen. Ist natürlich bequem, von den Ureinwohnern Afrikas zu verlangen, dass die gefälligst Platz machen sollen für unsere Bedürfnisse.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @83492 (Profil gelöscht):

      Sie sprechen einen Punkt an, der, wenn er erwähnt wird einigen hier in den Kommentarspalten rauf und runter gleichsam eine Muleta ist.

      Setzen Sie vorsorglich mal einen Fahradhelm auf.

      • @61321 (Profil gelöscht):

        Ich glaub, den Fahrradhelm brauch eher ich, weil mir regelmäßig der Hut hoch geht, wenn ich solche Kommentare lese!

  • Na klar, Deutschland soll, nachdem es relativ erfogreich geschfft hat in den letzen beiden Kriegen die Welt kaputt zu machen, jetzt jeden Konflikt und jede Not in der Welt heilen und retten. Dabei interessieren uns gerade die Afrikaner am meisten, weil die uns durch Migrantenströme bedrohen. Das Elend in Mittel und Südamerika, in Jemen, in Südostasien, Indien, Bagladesh etc. ist uns desewgen gerade egal. Warum lassen wir nicht die ganze Welt zu uns? 65 Mio Flüchtende gibt es gerade in der Welt. Das macht auf jeden Deutsche nicht mal einen. Das schaffen wir. Soll doch jeder ein bisschen zusammenrücken und ein Plätzchen im Wohnzimmer freiräumen und dann passt das schon. Wer das alles bezahlen soll, auch kein Problem, wir haben doch die Reichen, die wir mit Vermögenssteuern aus dem Land treiben können, oder Unternehmen, die wir mit Unternehmenssteuern in die Unwirtschaftlichkeit zwingen. Alles kein Problem, Geld dafür wird ja in Frankfurt genug gedruckt, seit Super Mario keinen Respekt vor dem drohenen Kollaps kennt. Also los gehts...am Besten verstaalichen wir die Air Berlin und fliegen die ganze arme und hungernde Welt direkt per Flugzeug zum BER. Das bisschen fehlender Brandschutz ist denen ja sowieso wurscht, Haupsache in Deutschland...Hurra!!!

    Das Beste ist, dass sich das Problem danach von alleine lösen wird, weil spätestens dann ist Deutschland auf das Niveau von Entwicklungsländern heruntergewirtschaftet und die Leute gehen von ganz alleine wieder, weil wonaders ist es ja dann sicher besser...

  • Meine spontane Idee dazu: Da die bisherige Politik der UNO zur Stabilisierung eines Staates gescheitert ist, sollte Deutschland ein neues Konzept entwerfen. Die Hochschulen der Bundeswehr sollten einen neuen Auftrag erhalten: Wie kann die Weltengemeinschaft einen zusammen gebrochenen Staat auf demokratischem Weg wiederherstellen? Ein erfolgreiches Konzept würde sicher einen großen Teil der Fluchtursachen beseitigen.

    • @Reinhard Muth:

      Toll. Zufälligerweise ist dieser große, zusammengebrochene Staat in Berlin am Reißbrett entstanden, was für die derzeitigen Probleme sicherlich nicht ganz unerheblich ist. Fragt sich, was Sie sich nun unter einem "erfolgreichen Konzept" vorstellen. Vielleicht einfach alle Menschen irgendwo ansiedeln, wo es keine Rohstoffe gibt, damit die dann ungehindert von diversen Konzernen ausgebeutet werden können, ohne dass Leute im Weg sind? Das wär wohl die Sorte von Konzept, die diesen Staat geschaffen hat.

  • Mir fehlt in dem Artikel irgendwie die Afrikanische Union. Warum bleibt die AU ignorant?

     

    Die EU wird im Kongo wenig ausrichten können. Ein militärisches Eingreifen wäre nicht erfolgreich. Finanzmittel würden vermutlich in den Kassen der Warlords verschwinden. Diplomatischen Einfluss der EU kann ich nicht erkennen.

     

    Zentralafrika wird nicht am europäischen Wesen genesen. Eigentlich hätte nur die AU die regionale Kompetenz, um auf die Konfliktparteien einzuwirken. Wo ist sie?

    • @rero:

      Vor gar nicht allzu langer Zeit haben AU und Monusco tatkräftig eingegriffen, um eine rebellierende Gruppe von Soldaten unschädlich zu machen. Gab viel Lob anschließend, aber genutzt hat's, insgesamt betrachtet und auf weitere Sicht, so viel, dass Kabila wieder fest im Sattel saß, bis jetzt.

      http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-11/kongo-m23-hintergrund

  • Die Lage im Kongo ist noch vor Syrien seit 1998 die größte humanitäre Krise.

    es gab Millionen Tote.

    Ich kann den Menschen dort nur Wege zum Frieden wünschen.

    Landrechte und transparente Institutionen spielen glaube ich eine große Rolle.

    Im Osten Kongos sind 2-3 Kriege in einander verschachtelt (gewesen).

    Neben den FDLR / Hutu-Truppen aus Rwanda auch zahlreiche lokale Konflikte.

    Und dazu die Diktatur in Kinshasa.

  • Besonders dringend ist im Kongo der Schutz der Rechte der muslimischen Minderheit (10%), die unter die Räder zu geraten droht. Wir müssen sicher stellen, dass unsere kongolesischen Glaubensbrüder nach dem Krieg ihr Land und ihre Moscheen wieder zurück bekommen und für das erlittene Unheil grosszügig finanziell und mit Land entschädigt werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Christen das Land der Muslime unter den Nagel reissen!

    • @Maike123:

      ?? Na Sie haben Probleme! Von wegen großzügige Entschädigung der Muslime in der DR Kongo. Welchen Krieg meinen Sie überhaupt? Das Land befindet sich im Zustand permanenter Unsicherheit und eines Konfliktes, bei dem es oft keine klaren Fronten gibt. Opfer sind die schwächsten, unbewaffnete Bürger, unabhängig von Religion. Schade wenn jetzt noch jemand daher kommt und "religiöse Konflikte" herbeiredet. Kann es sein, dass Sie da einfach was verwechseln? (z.B. DR Kongo und Zentralafrikanische Republik?)

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Da es ja so ist, daß Frau Merkel allen Ernstes das 'Schlepperunwesen' als 'Fluchtursache' betrachtet oder zumindest verkaufen will, nicht etwa die fehlenden Handelsbeziehungen, die Ausbeutung afrikanischer Bodenschätze, die Klimaprobleme und die Waffenlieferungen, solange wird sich nichts ändern.

    Mit dem extrem schwachen Kommissionspräsidenten Juncker und der Fehlkonstruktion Europa, und zusätzlich Frau Merkel, die nichts mehr fürchtet, als daß Seehofer ihr die Gefolgschaft aufkündigt, läßt sich für Afrika keine große Hilfe aus Europa erwarten.

    Lieber schickt man warscheinlich eine Milliarde nach Texas.

    • @4932 (Profil gelöscht):

      "Lieber schickt man warscheinlich eine Milliarde nach Texas."

       

      Besser wärs. Geld ist im Prinzip ein Gutschein für Arbeitsleistung. Das letzte was Afrika braucht ist, dass Europa Afrika Arbeiten abnimmt.

      • 4G
        4932 (Profil gelöscht)
        @A. Müllermilch:

        Ich habe den letzten Satz angefügt, um zu sagen, daß Europa warscheinlich eher dem reichen Land USA Geld schenkt, statt in Afrika zu helfen. Denn, wenn man in Afrika helfen wollte, dann müsste man eine ganze Menge an europäischen Gewohnheiten und wirtschaftlicher Ausbeutung aufgeben (Siehe der heutige Presseclub).

        Zu Ihrem zweiten Absatz: Das erste, was Afrika bräuchte, ist die brutale Einmischung des Westens (Der immer noch existente Kolonialismus durch Europa) zu stoppen und die Ausbeutung der Bodenschätze und Ressourcen sofort zu beenden.

        Aber der Westen richtet lieber Unheil an, statt die bisherigen Schäden zu bereinigen. Z.B. Die USA haben gerne Ghaddafi und sein Land Libyen und den Irak zerschlagen, wollen aber jetzt nichts mehr davon wissen.

        Ist ja auch einfacher.

        • @4932 (Profil gelöscht):

          "Das erste, was Afrika bräuchte, ist die brutale Einmischung des Westens zu stoppen."

           

          Völlig einverstanden - wobei auch sogenannte "Hilfe" Einmischung ist. Selbst gut gemeinte Ratschläge sind Einmischung.