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Basketballcoach über Saisonvorbereitung„Sommer ist die Zeit des Handelns“

Wie man Transfers einfädelt und wie es ist, mit Menschen zu handeln: Alba-Sportdirektor Himar Ojeda erklärt, wie ein Klub in die neue Saison geht.

Für Ojeda beginnt zum Saisonende die Arbeit erst so richtig Foto: Sebastian Wells
Interview von Christian Siepmann

taz: Herr Ojeda, im Basketball nennt man die entscheidende Phase eines Spiels „Crunch Time“. Für Sie als Sportdirektor ist der Sommer die Crunch Time, oder?

Himar Ojeda: Ja, genau. Nach Saisonende fragen viele: Fahren Sie jetzt in Urlaub? Natürlich nicht!

Warum nicht?

In diesen Wochen stelle ich das neue Team zusammen. Das ganze Jahr über beobachte ich Spieler, die für uns interessant sein könnten. In Europa, in den USA, überall. Der Sommer ist dann die Zeit des Handelns.

Wie funktioniert das, rufen Sie die Spielervermittler an oder melden die sich bei Ihnen?

Beides. Gerade rufen mich ständig Agenten an. Sehr viele übrigens, für Spieler ist Alba attraktiv, wir haben ein gutes Image. Und die Agenten wollen ihre Klienten gern auf einer Bühne in der Mitte Europas platzieren. Aber natürlich rufe auch ich Vermittler an. Meist, weil sie jemanden vertreten, der uns interessiert.

Wie geht es weiter, wenn Sie ein Angebot interessant finden?

Ich überprüfe den Spieler. Am nächsten Tag meldet sich dann der Agent und fragt: Was denken Sie? Bitte geben Sie mir Feedback! Die tun halt auch ihre Arbeit.

Im Interview: Himar Ojeda

Der Spanier, 44, arbeitet seit Februar 2016 als Sportdirektor von Alba Berlin. Er kennt den Basketball von allen Seiten, arbeitete als Trainer, Sportdirektor, Manager, Spieleragent. Bevor Ojeda nach Berlin kam, war er Scouting-Direktor Internationales der Atlanta Hawks.

Die Bundesliga startet am 29. September wieder. Derzeit läuft die Basketball-EM, in der deutschen Nationalmannschaft steht dieses Mal allerdings kein Alba-Spieler.

Und wie überprüfen Sie einen Spieler?

Ich schaue mir sein Profil an, seine Stationen, seine Statistiken. Dann sehe ich mir Videos von ihm an. Die Agenten schicken immer nur Highlight-Videos, aber ich will komplette Szenen sehen. Wie verhält er sich im Angriff, wie in bestimmten Spielzügen? Es gibt ein Onlinetool, in dem man nach Szenen einzelner Spieler suchen kann. Aber das ist nur ein erster Eindruck, bei dem ich es nicht belassen kann.

Was kommt dann?

Wenn ich den Spieler gar nicht kenne, lade ich mir ein komplettes Spiel von ihm herunter. Wenn ich ihn kenne, schaue ich nach, ob ich mir irgendwann mal Aufzeichnungen über ihn gemacht habe. Manchmal finde ich Notizen von vor drei, vier Jahren. Dann nutzen wir unser Netzwerk, um Background-Informationen zur Persönlichkeit, Herkunft und anderen Fragen zu erhalten. Als Letztes spreche ich mit den Trainern: Es gibt hier einen interessanten Spieler, bitte sagt mir eure Meinung. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass wir ihn wollen, machen wir ein Angebot.

Über den Agenten?

Ja, mit ihm halte ich ständig Kontakt. Ich versuche herauszufinden, ob die Gehaltsvorstellung des Spielers für uns realistisch ist oder ob er verrückte Zahlen im Kopf hat.

Charakter ist extrem wichtig. Wenn Spieler nicht miteinander auskommen, können Team und Erfolg darunter leiden

Wie bildet sich ein Spielergehalt?

Das ist ein Marktprozess, und am Ende steht fast immer ein Preis, der dem Wert des Spielers entspricht. Im Frühsommer allerdings haben die noch die ganz großen Zahlen im Kopf. Sie sagen ihren Agenten: Letztes Jahr habe ich 200.000 Euro verdient, nächstes will ich 250.000. Ich bin schließlich gut. Nie sagt übrigens einer: Letztes Jahr war ich nicht so gut, im nächsten will ich nur noch 150.000. Über den Sommer ändert sich dann der Preis. Anfangs glauben alle, dass sie in den größten Teams für viel Geld unterkommen können. Gegen Ende des Sommers gehen sie dann häufig von ihren ursprünglichen Vorstellungen runter.

Und wie laufen die Verhandlungen mit den Agenten?

Klassische Verhandlung eben. Die Agenten fragen: Wie viel könnt ihr zahlen? Darauf antworte ich nie, denn wenn ich eine Zahl nenne, werden sich die Verhandlungen um sie drehen. Irgendwann nennen die Agenten selbst eine Zahl. Manchmal ist die in Ordnung, meistens zu hoch, dann müssen wir sehen, ob wir zusammenkommen.

Es heißt ja, je größer Spieler sind, desto teurer werden sie. Mehr Zentimeter, mehr Euros also. Stimmt das?

Ganz so ist es nicht. Aber es gibt einfach wenige sehr gute, große Spieler. Deshalb können die, die es gibt, ihre starke Verhandlungsposition nutzen.

taz.am wochenende

40 Jahre Deutscher Herbst: Am 5. September 1977 entführten RAF-Terroristen Hanns Martin Schleyer, um ihre Führungsspitze freizupressen, die in Stammheim inhaftiert war. 91 Geiseln kamen hinzu, als die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt wurde. Die Bundesregierung zeigte sich unbeugsam, Schleyer wurde ermordet, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nahmen sich das Leben. Zeitzeugen und Nachgeborene rechnen mit der RAF ab – auf 14 Seiten. Am Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

In der Bundesliga gibt es eine Deutschenquote. Macht ein deutscher Pass einen Bundesligaspieler deshalb teurer?

Ja, auf jeden Fall. Es gibt noch nicht genug Deutsche auf Top-Niveau. Um die wenigen kämpfen die Klubs mit hohen Gehältern.

Was verdient denn ein deutscher Spieler im Schnitt?

Es gibt zwei deutsche Klubs, die sehr hohe Gehälter zahlen: Bamberg und München. Wenn die für Top-Ausländer bieten, geht es schnell um 800.000 Euro Nettogehalt. Deshalb sind da 200.000 für einen starken Deutschen ein Klacks.

Und in welcher Größenordnung liegen die Gehälter bei Alba?

Kommt drauf an. In jedem Fall deutlich unter den Summen, die in Bamberg und München gezahlt werden können.

Mehr Geld pro Zentimeter, Passbonus für Deutsche – finden Sie es nicht seltsam, dass auf dem Transfermarkt der Mensch als Ware gehandelt wird?

Ich sehe das anders. Die Spieler können ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen und erhalten dafür – nach normalen Maßstäben – sehr viel Geld. Sie sind bei uns beschäftigt, so wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Sie führen ein tolles Leben. Ich glaube nicht, dass man Basketballspieler bedauern muss. Die Bundesliga ist ja nicht die NBA. Dort kann es passieren, dass Spieler morgens zur Arbeit gehen und gesagt bekommen: Tut mir leid, aber wir haben die Rechte an dir nach ­Oklahoma verkauft. Pack deine Sachen! Das gibt es bei uns nicht.

Es kommt vor, dass Sie viel Zeit und Engagement in die Entwicklung eines Spielers investieren – und wenn er dann herausragend gut wird, wechselt er zu einem anderen Klub. Sind Sie dann enttäuscht?

Früher war ich das. Als ich in Spanien als Sportdirektor angefangen habe, habe ich viele Spieler entdeckt, und wir haben sie entwickelt. Dann sind sie für großes Geld weg. Irgendwann habe ich verstanden: Es war ganz normal, dass Top-Spieler gingen. Wir müssen die Realität akzeptieren. Heute freuen wir uns für die, die die nächste Stufe erreichen. Und wir suchen dann eben wieder. Das geht übrigens im Sport fast allen Klubs so, bis auf eine kleine Gruppe.

Das ist so eine Art unausgesprochener Abmachung zwischen Klub und Spieler?

Ja, genau das. Wenn ein Basketballer wirklich das Potenzial für die NBA hat, wird er es möglicherweise tatsächlich dorthin schaffen. Klub und Spieler müssen also zu einem Zeitpunkt zusammenkommen, zu dem sie gut zueinanderpassen.

Umgekehrt kommt es vor, dass Sie Spieler feuern. So etwas ist auch schon mitten in der Saison passiert. Wie läuft so etwas ab?

Wir halten uns an abgeschlossene Verträge. Anders verhält sich das, wenn es überhaupt nicht passt oder Vertragsverlängerungen anstehen. Alle Beteiligten wissen, wie unser Geschäft funktioniert. Deswegen ist das eher keine große Sache. Normalerweise haben Spieler ein feines Gespür dafür, ob sie erfüllen, was Klub und Team von ihnen erwarten.

Da fließen keine Tränen?

Nein, wirklich nicht. Früher sind Spieler auch mal zehn Jahre bei einem Klub geblieben, aber unser Sport hat sich globalisiert, wie die Arbeitswelt insgesamt auch. Es ist heute eher selten, dass ein Spieler drei Jahre oder länger bleibt. Trotzdem versuchen wir das.

Für mache Spieler, besonders aus den USA, ist Sport ein Mittel, um der Armut zu entfliehen. Ist es nicht schlimm, so jemanden zu entlassen?

Die Realität sieht anders aus. Auf dem Niveau, auf dem Alba sich bewegt, gibt es solche Fälle nicht. Da muss niemand die Armut fürchten, das kann ich Ihnen versichern. Wenn jemand gern Profi werden möchte, aber irgendwann merkt, dass er damit nicht ausreichend Geld verdient, wird er mit Basketball aufhören und eine Alternative suchen – zumindest in Europa.

Gibt es das in Deutschland: arm und Basketball?

In der Dritten Liga findet man US-Spieler, die unbedingt in diesem Beruf arbeiten möchten und bei ihren Klubs vielleicht 700 Euro im Monat verdienen. Vielleicht bekommen sie noch eine Wohnung gestellt. Vor ­denen habe ich höchsten Respekt. Sie entscheiden sich für dieses Leben – statt einfach zu Hause einen anderen Job zu suchen.

Im Mannschaftssport kommt es besonders auf den Charakter eines Menschen an. Wie prüfen Sie den?

Das ist extrem wichtig, die Spieler werden mindestens zehn Monate lang sehr eng zusammenleben. Wenn sie nicht miteinander auskommen, können das ganze Team und der Erfolg darunter leiden. Charakter sieht man nicht auf Video, aber ein paar Sachen lassen sich erkennen: Reaktionen zum Beispiel, wenn ein Spieler nicht am Ball ist. Aber besser ist es, jemanden live zu beobachten. Ich habe mal in den USA ein Spiel besucht, um einen großen, sehr talentierten Spieler zu sehen. Viele Scouts waren seinetwegen gekommen. Im Spiel hat er dann aber einen Fehler gemacht, sein Gegenspieler nahm ihm den Ball ab – und unser Talent hat nach ihm geschlagen. Die Kameras blieben natürlich auf dem Ball. In einem Video hätte ich seinen Ausraster nicht gesehen.

Würden Sie so jemanden verpflichten?

Ich versuche immer, nahe an der Bank zu sitzen, schaue, ob sie dem Trainer Widerworte geben oder über ihn lästern, ob sie für das Team denken oder eher unbeteiligt sind.

Schauen Sie sich auch abseits des Spielfelds um?

Ja, da habe ich ein gutes Beispiel. Vor einigen Jahren habe ich Jaycee Carroll, einen Amerikaner, nach Spanien geholt. Er spielt heute bei Real Madrid und verdient sehr viel Geld. Ich habe ihn bei einer US-Sommerliga beobachtet und traf ihn zufällig auf dem Kabinengang. Es stellte sich heraus, dass er spanisch sprach, weil er als Mormone in Chile auf Mission gewesen war. Da wusste ich, dass er gut nach Spanien passen würde. Hinzu kam: Das Turnier war in Las Vegas, wo es bekanntlich viele Versuchungen gibt. Carroll aber war mit seiner Freundin, deren Eltern und seinen Eltern angereist, und er blieb die ganze Zeit mit ihnen zusammen. Da wusste ich: Der feiert nicht die Nächte durch.

Wie finden Sie solche Details sonst heraus?

Wir haben bei Alba ein sehr großes, über die Jahre entwickeltes Netzwerk, dazu sehr erfahrene Leute. Und natürlich habe auch ich viele Kontakte durch meine früheren Tätigkeiten als Trainer, Sportdirektor, Manager, NBA-Scout zur Verfügung, die es zu pflegen und auszubauen gilt. Nur so erfährt man das Kleingedruckte.

Die vergangene Saison war für Alba nicht gerade sehr erfolgreich. Im Kader gab es viel Unruhe, dann haben Sie kurz vor den Bundesliga-Playoffs den damaligen Cheftrainer, Ahmet Caki, entlassen, am Ende stand das Aus in der ersten Playoff-Runde. Wie fühlt sich Scheitern für Sie an?

Niemand scheitert gern. Im letzten Jahr lief es nicht so, wie wir es uns gewünscht haben. Deswegen war es gerade diesen Sommer stressig. Unsere Arbeit im Sommer entscheidet wesentlich darüber, was wir während der Saison bekommen. Ich denke wir sind auf einem guten Weg, denn wir konnten unser Profil personell umsetzen.

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