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Aydan Ösoğuz über soziale Gerechtigkeit„Dieser Leitkultur-Populismus ärgert mich“

Die Hamburger SPD-Spitzenkandidatin Aydan Ösoğuz will nach der Wahl zur Integrationsministerin aufsteigen und setzt auf das Thema soziale Gerechtigkeit

„Eine übergeordnete Stelle mit klaren Kompetenzen“: Aydan Ösoğuz hätte am liebsten ein eigenes Ministerium. Dazu heißt es aber erstmal Daumendrücken für die SPD Foto: Sebstian Gollnow/dpa
Interview von Sven-Michael Veit

taz: Frau Özoğ uz, Sie arbeiten als Staatsministerin direkt im Kanzleramt. Wie ist Ihr Kontakt zur Kanzlerin?

Aydan Özoğuz: Der Arbeitskontakt ist gut. Da ich aber eine unabhängige Beauftragte bin, arbeite ich auch sehr unabhängig. Wir machen unsere Projekte alle selbständig.

Heißt das, Sie werden gar nicht wahrgenommen?

Nein. Aber das Kanzleramt hat sich 2015 entschieden, parallel zu meinem Stab einen weiteren Flüchtlingsstab aufzubauen. Das hat die Arbeit intern nicht erleichtert.

Eine Konkurrenzsituation?

Das weniger. Denn wir sind als unabhängige Stelle mit der Querschnittsaufgabe Integration bei allen Gesetzesvorhaben dabei. Insofern reden wir bei allem mit, zum Beispiel beim Integrationsgesetz, bei dem das Innen- und das Arbeitsministerium federführend waren. Bei solchen Gesetzen werden wir sehr eingebunden und bringen wichtige Expertise ein.

Wäre ein eigenständiges Integrationsministerium nicht sinnvoller?

Ja, natürlich. Ich habe das schon vor eineinhalb Jahren gefordert. Es gibt kein Ressort, das mit Integration nichts zu tun hat, ob Familie, Bildung, Arbeit, Wirtschaft oder Inneres. Aber es gibt keine Stelle, wo die Themen Migration und Integration stringent gebündelt und federführend aufbereitet werden. Wir haben in dieser Frage gewissermaßen die zwei Pole globale Entwicklungszusammenarbeit vor Ort und Integrationspolitik hier. Dieses breite Themenspektrum sollte von einer zuständigen Stelle, von einem Ministerium, bearbeitet werden.

Würde die SPD, wenn sie wieder mitregierte, auf einem Integrationsministerium bestehen?

Es besteht Einigkeit in der Parteiführung, dass es künftig eine übergeordnete Stelle mit klaren Kompetenzen geben muss. Das muss kein Ministerium sein, kann aber. Ein Ministerium entsteht aber auch nicht über Nacht, sondern muss natürlich sehr ordentlich vorbereitet werden.

Die Migrations- und Flüchtlingspolitik ist ein ewiges Streitthema in der Koalition und auch in der Union. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) forderte jüngst die Besinnung auf eine „deutsche Leitkultur“. Für Sie unerträglich?

Dieses Thema nervt mich vor allem, weil es in Wahlkämpfen immer wieder rausgekramt, aber nie mit konkreten Inhalten beantwortet wird, und nach der Wahl wieder in der Mottenkiste verschwindet. Dieser Populismus ärgert mich. Wir brauchen stattdessen eine ehrliche Debatte darüber, was wir von Einwanderern erwarten und was nicht. Aber Leitkultur bedeutet ja die Überhöhung von irgendetwas spezifisch Deutschem, ohne es konkret zu benennen.

Wie könnte das konkreter sein?

Klar ist doch: Die Basis ist das Grundgesetz und seine Werteordnung. Und darauf aufbauend müssen wir uns gemeinsam über viele Dinge verständigen, um Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Das ist ein Gesellschaftsvertrag, den wir in Wahrheit brauchen.

Die CSU fordert Obergrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Reiner Populismus?

Ich finde diesen Streit in der Union schon skurril. Frau Merkel sagt Nein, Herr Seehofer sagt für Bayern Ja. Die sind sich überhaupt nicht einig in der Union, die WählerInnen wissen deshalb nicht, was sie bekommen. Aus unserer Sicht ist eine Obergrenze vollkommen unrealistisch, deshalb ist sie für die SPD kein Thema.

Sie kandidieren bei der Bundestagswahl am 24. September zum zweiten Mal als Spitzenkandidatin der Hamburger SPD. Was sind die Wahlziele?

Mehr Gerechtigkeit auf allen Ebenen. Das fängt an bei der Bekämpfung von Armut speziell bei Frauen und Senioren hier in Deutschland durch neue Steuermodelle und höhere Renten und geht bis zum Einsatz für mehr Frieden im Nahen Osten und anderen Krisengebieten dieser Welt. Ganz wichtig ist auch kostenlose Bildung von der Kita bis zum Meister- oder Studienabschluss – und dabei ist ein ganz zentraler Punkt die Stärkung der beruflichen Ausbildung.

Um Wahlziele zu erreichen, muss man regieren – mit wem will die SPD?

Also erst einmal muss man die Wahl gewinnen und so stark werden, dass man sich den Koalitionspartner aussuchen kann.

Wenn wir im Bereich der Realpolitik bleiben, kann die SPD nur als Juniorpartner der CDU an der Regierung bleiben.

Abwarten. Im Bereich der Realpolitik kämpfe ich für eine starke SPD.

Als stellvertretende Bundesvorsitzende kennen Sie doch die internen strategischen Diskussionen. Wo steht die SPD als Alternative zur CDU?

Das Ergebnis dieser Diskussionen ist, dass an einer starken SPD kein Weg vorbeigehen darf.

Könnte aber doch passieren. Kann Martin Schulz Parteichef bleiben, wenn er die Wahl vergeigt hat?

Die Frage stellt sich nicht.

Und wenn doch, kommt dann als letzte Rettung Olaf Scholz?

Die Frage stellt sich logischerweise auch nicht.

Wenn aber doch, bekäme Hamburg dann im Tausch nicht nur erstmals eine Bürgermeisterin, sondern auch gleich eine muslimische?

Das ist ganz sicher nicht mehr im Bereich der Realpolitik.

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1 Kommentar

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  • Die letzte Frage war vollkommen überflüssig. Hätte Sven-Michael Veit nicht nur führen – also fragen – wollen, sondern auch zuhören, hätte er sich das denken können. Aydan Özoğuz will nicht Bürgermeisterin werden, sondern Ministerin. Sie könnte ja sonst gleich „unabhängige Beauftragte“ mit guten „Arbeitskontakten“ zur Kanzlerin bleiben.

     

    Nicht nur SPD-KandidatInnenen mit Hintergrund träumen den Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg an die Pyramidenspitze. Die aber auch. Sogar mit gutem Gewissen. Schließlich wollen sie ja angeblich das Beste nicht nur für sich selber, sondern auch für all jene Menschen aus der eigenen "Community", die nie eine Chance haben werden. Stellvertreter und Vormund – make immigrant-woman great. First.

     

    Mag ja sein, dass man dumm ist, wenn man dummes tut. Groß(artig) aber wird man nur, indem man sich einen Posten übertragen lässt. Das scheint auch Aydan Özoğuz zu wissen. Sie hätte sonst schon längst versucht, jene noch nicht existierende „Stelle, wo die Themen Migration und Integration stringent gebündelt und federführend aufbereitet werden“, zu schaffen. Und zwar im eigenen Zuständigkeitsbereich. Gehindert hätte sie sicherlich niemand. Offenbar jedoch glaubt sie, die Arbeit erst machen zu können, wenn man sie zur Ministerin ernannt hat.

     

    Ich nenne das ein Pokerspiel (wenn nicht Erpressung). Dass sich das KanzlerInnenamt dagegen mit der Installation eines Konkurrenz-Stabs zu wehren versucht, verstehe ich. Es gefällt mir bloß nicht. Schließlich gibt es noch zu viel zu tun, als dass Zeit wäre zu trödeln. Es sollte weniger um Alpha-Egos gehen, als um die „Querschnittsaufgabe“, die nun vermutlich wieder hinten runter fällt. Sehr schade, das. Von Leuten, die sich mit Verweis auf ihr Geschlecht und ihre Herkunft als Alternative inszenieren, erwarte ich einfach mehr.