: „Bitte ehrlich, bitte janz ehrlich!“
Die Wahl ist gelaufen, OHRENZEUGEN BERICHTEN exklusiv. Gestern jedenfalls, kurz vor Verriegelung der Wahllokale, spielten sich in der Zentrale der CDU Szenen ab, wie man sie spannender kaum erfinden könnte. Denn Angela Merkel hatte zur Feier des Tages nur die Allervertrautesten eingeladen
VON ALBERT HEFELE
Was soll man sagen? So was von Spannung gab’s noch niemals in der Geschichte der Republik. So was von auf die Spitze getrieben, so was von Kribbeln in den Beinen und vor Aufregung in der Nase bohren war noch nie! Ein Land kaut an den Fingernägeln. Angela Merkel auch, besonders in den letzten Minuten vor der ersten Hochrechnung. In diesen Minuten will sie allein sein – fast allein sein. Nur ihre engsten Vertrauten sollen um sie sein. Ihr treu ergebener Figaro Udo Walz. Ihr Förderer und Mentor Dr. Kohl und Werner Eisenmann, ein Cousin zweiten Grades, der zufällig hereingeschneit ist.
Nur diese mehr oder weniger bedeutsamen Begleiter auf dem langen Weg an die Macht möchte sie um sich haben, bevor sie die große Bühne betritt und das Votum der Wähler vernimmt.
Dr. Kohl (mächtig im Sessel thronend): Asso meine Lipp’n. Ich hap ja schon so diss ’n dass erlept – app’r disse Spannung – asso, d’ss is doch wie ’n Krimmi von d’m Dings … d’m nna, d’m Dings …
Udo Walz (hilfreich): Tscheems Bond?
Dr. Kohl (Finger schnippend): Naaiiin, nit d’Pond. De Dings, der mit’n Froschagg’n.
Frau Merkel (stark abgelenkt die Frisur zausend): Udooo, kuck doch mal bitte. Is allet in Ordnung? Wie seh ick denn aus? Bitte ehrlich, bitte janz ehrlich! Ick seh doch wieder aus wie ’ne Wasserleiche!
Udo Walz (souverän mit der Spraydose hantierend): Braav, Entschiii, keine Sorgään, des isch alles wund’rbaar. Mit diesäm Sprää sitzt die Frissur wie gemaisält.
Dr. Kohl (am Resthaar zupfend): Wenn zi schon grad d’bei sint, könn’ Sie ruhik noch amal aff die Tupe drück’n. Dss wird aine heisse Sache heut Nacht. Da möchte ich ach nit im Frai’n steh’n – opp’nrumm.
Udo Walz (großzügig auch den Altkanzler besprühend): Aaabr gärne, Herr Kahl – ähä – Kooohl wollt ich nadierlich sagän.
Werner Eisenmann (gurgelnd): Grrrraschlosch! Hitlerjunge und so weiter – urrrppps!
Dr. Kohl (träge): W’ss? W’ss saggt d’ Bubb?
Udo Walz (aufmerksam): Des war was mit Hiddlerjungää. Waren sie Hiddlerjungää, Herr Kaahl, äh, Koohl?
Frau Merkel (eifrig dazwischengehend): Da muss ick was zu sajen. Also der Werner, mein Kusäng aus Vorpommern, mit dem hab ick jar nich jerechnet – kann ihn doch nich rausjagen …
Werner Einsemann (vorwurfsvoll): … Ich bin nämlich behindert.
Udo Walz (verständnisvoll): Ach soo. Eine Verwandtschaft. Des kenn ich, die kommen allweil ungäläägen. Schöön, Sie kennen zu lernen, Herr Eisenmann …
Werner Eisenmann (eifrig): Ganz meinerseits. Es ist eine große Ehre für mich als Behinderter … grrrraschloch Sauerrreidrecksack … hüstel, hüstel … Sie alle kennen zu lernen.
Udo Walz (etwas ratlos): Ganz meinerseits.
Dr. Kohl (maulend): Saubub … hatt’n der kaine Kint’rstuppe nit?
Frau Merkel (begütigend wedelnd): Das wollt ick ooch noch saijen – äh – mein Kusäng hat also so’n kleinet Problem.
Werner Eisenmann (wichtig aufzeigend): Ich leide unter dem Tourette-Syndrom. Da sagt man manchmal komische Sachen. Es ist aber nicht so gemeint.
Dr. Kohl (misstrauisch): D’ss kann jeder sagg’n.
Frau Merkel (amtlich): Der Werner – nich Werner? – hat allet von Arzt wejen bestätigt. Er kann überhaupt nischt dafür. Nicht, Werner?
Werner Eisenmann (stolz): Überhaupt nichts. Ich bin sozusagen in einem schweren Schicksal gefangen, Ssssauschwanzzipfel! Fickfickfick!
Frau Merkel (ihn tätschelnd): Da hört ihr’s.
Udo Walz (interessiert die Nasenlöcher stellend): Intäräässant. Wirklich wahr. Sagen Sie doch noch mal was, Herr Kuusäng.
Werner Eisenmann (konzentriert): Ääääoouhhhgrrrlobetden Herrn Ratzi alter Hurrenbock …
Dr. Kohl (die Watschenhand ausfahrend): Unglabblich. Ich hau dem Bubb’m gleich aine rissengrosse …
Udo Walz (ihn wissenschaftlich unterbrechend): Es ischt aber doch aine Krankheit. Da muss man doch Verschtändnis habän, Herr Kahl.
Dr. Kohl (aufgebracht): Krankheit, Krankheit. Saupante alle mitnand’r. D’steckt doch d’Lafontänn d’hinter.
Werner Eisenmann (aufmüpfig): Es tut mir Leid, es ist aber – gurgelgurgel Hitlerhurehitlerhure – schließlich eine amtlich bestätigte Krankheit und im Namen aller Tourette-Behinderten möchte ich dich, Angela, hiermit auffordern …
Frau Merkel hat jetzt aber wirklich keine Zeit mehr, sich um solche Kleinigkeiten zu kümmern, denn von draußen hört man schon die Kommandos des Regisseurs: „Frau Merkel, noch zwei Minuten!“
Frau Mekel (bebend): Bitte, Udo, ick brauch noch mal kräftig Spray. Volle Kanne!
Udo Walz (sie besprühend): Alles okee. Des sitzt wie geschmiiert. Der grooße Moment kann komäään!
Stimme aus dem Off: Frau Merkel, Ihr Auftritt!
Werner Eisenmann (störrisch): Sehr gut! Ich habe eine Bittschrift vorbereitet, die ich anschließend … Grdrecksack fickfick …verlesen werde.
Dr. Kohl (streng): D’s glabbst ach bloß du – Hundsbubb.
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