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Lesungen im NordenAus dem Inneren der Bestie

In seinem Krimi „Der Block“ spielt Jérôme Leroy durch, wie in Frankreich die extreme Rechte an die Macht gekommen ist. Nun erscheint das Buch auf Deutsch.

Die besondere Perspektive: Jérôme Leroy engagiert sich gegen Rechtspopulismus Foto: Patrice Normand/Leemage

Monatelang kommt es zu Unruhen in französischen Vorstädten, Hunderte Menschen sind bereits zu Tode gekommen, und weder Politik noch Polizei bekommen die Lage in den Griff. Dann sieht die Regierung in Jérôme Leroys Thriller „Der Block“ nur noch eine Lösung: Die faschistische Partei „Bloc patriotique“ bekommt zehn Ministerien zugesprochen, um mit ihren paramilitärischen Truppen den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern.

Leroy erzählt die Nacht vor der Verkündung der Kapitulation der demokratischen Ordnung aus der Sicht von Antoine Maynard, Ehemann der Parteivorsitzenden, und seinem Weggefährten Stanko, einem brutalen Proleten, der im Zuge der Etablierung der Partei nun aus dem Weg geräumt werden soll. Maynard in seiner Luxuswohnung und Stanko in einem abgeranzten Hotelzimmer rekapitulieren in dieser Nacht den Aufstieg der Partei über die vergangenen 25 Jahre. Ihren Aufstieg Anfang der 70er-Jahre mithilfe eines charismatischen Vorsitzenden, der es geschafft hat, die verfeindeten faschistischen Splittergruppen zu vereinen und die extreme Rechte gesellschaftsfähig zu machen. Die Parallelen zu Jean-Marine Le Pen, seiner Tochter Marine und dem Front National sind eindeutig.

Fast könnte man meinen, Leroy habe mit „Der Block“ den Gegenentwurf zu Michel Houllebecqs Bestseller „Unterwerfung“ geschrieben. Nur ist es hier nicht der Islam, sondern der Faschismus, der die bürgerlich-liberale Gesellschaft überrollt. „In meinen Augen sind es zwei Seiten derselben Realität“, sagt Leroy, „auch wenn ich denke, dass Frankreich stärker durch den Anstieg des Populismus bedroht wird als durch den Islamismus.“ Es sei bequem, den Islamismus zum Feind zu machen, findet er, weil das verhindere, sich damit zu beschäftigen, was im Kern unserer Gesellschaft nicht stimme.

„Selbst wenn Marine Le Pen sich am Ende geschlagen geben musste: Sie hat elf Millionen Stimmen bekommen, so viel Zustimmung hatte der Front National in seiner ganzen Geschichte noch nicht“, sagt Leroy. Und zweifelt daran, dass Macron die Beseitigung der sozialen Ungleichheit in den Griff bekommt – die Gefahr einer Präsidentschaft der extremen Rechten hält er für alles andere als gebannt.

„Der Block“ ist der erste Roman des ehemaligen Französischlehrers, der ins Deutsche übersetzt wurde. Er führte im April die Krimibestenliste an. Ähnlich wie Didier Eribons Essay „Rückkehr nach Reims“, in dem der Soziologieprofessor beschreibt, wie seine proletarischen Eltern, ehemals treue Sozialisten, zum Front National übergewechselt sind, ist auch „Der Block“ mit einigen Jahren Verzögerung auf dem deutschen Markt veröffentlicht worden.

Leroy wohnt in der nordfranzösischen Industriestadt Lille, wo im ersten Wahlgang 45 Prozent der Wähler für Le Pen gestimmt hatten. Er ist ein begeisterter Vertreter des Roman noir, einer speziell in Frankreich kultivierten Untergattung des Kriminalromans, die sich am Film Noir orientiert und sich seit den späten 1970er-Jahren verstärkt politischen Themen zugewandt hat.

„Mir fällt kein geeigneteres Genre als der Roman noir ein, um über dieses Thema zu schrei­ben“, sagt Leroy. Ihm sei wichtig gewesen, Rechtspopulismus aus der Innenperspektive zu beschreiben und sich selbst eines Urteils zu enthalten. Antoine Maynard und Stanko sprechen zu lassen, habe ihm erlaubt, nicht in die Falle des guten Gewissens zu tappen. „Es ist zu einfach, zu sagen: Wir, die aufgeklärten linken Demokraten, sind die Guten, und die Rechten sind die Bösen.“

Die Banalisierung des Faschismus ist noch beängstigender als die Brutalität einer faschistischen Minderheit

Autor Jérôme Leroy

Leroys Erzählweise ist verführerisch und spannend. Man beginnt, mit Antoine Maynard und Stanko mitzufiebern, um gleich darauf wieder zurückzuschrecken vor der Brutalität und dem Zynismus der Parallelwelt der Rechten, die sich ihren Weg in die vom Einsturz bedrohte Zivilisation bahnt. Leroy selbst ist seit Langem antifaschistisch engagiert und hat den Aufstieg der Rechten aus der Perspektive des politischen Gegners erlebt. „Für mich hat das Schreiben bedeutet, einem Albtraum den Teufel auszutreiben“, sagt er.

Die Ausschreitungen, die er beschreibt, erinnern – mit dem entscheidenden Unterschied, dass es hier keine Toten gab – an die Ausbrüche in Hamburg während des G20-Gipfels, die anscheinend nicht nur von Autonomen, sondern auch von rechten Gruppen gezielt provoziert wurden. „Aber die Wut, die in Hamburg ausgebrochen ist, hat sich punktuell auf ein politisches Ereignis konzentriert“, meint Leroy. „Ich habe beim Schrei­ben an die Ausschreitungen in den Banlieues 2005 gedacht, die keinen präzisen politischen Grund hatten.“

Nach dem Unfalltod zweier migrantischer Jugendlicher auf der Flucht vor der Polizei kam es in Pariser Vororten zu monatelangen Randalen. „Das hat gezeigt, in was für einem Zustand der Anspannung und unterschwelligen Brutalität die französische Gesellschaft gewesen ist, immer kurz vorm Gewaltausbruch“, ist Leroy überzeugt. „Die Situation, die ich in ‚Der Block‘ beschreibe, ist die von 2005 – wenn sie richtig schlecht ausgegangen wäre.“

Es ist kein Zufall, dass viele Figuren Leroys aus dem paramilitärischen Zweig des „Bloc patriotique“ vom Balkan kommen. „Einmal ist das Verhältnis der französischen Rechten zum Balkan aus historischen Gründen interessant, weil die katholischen Ultras während des Balkankonflikts auf Seiten der Kroaten standen und die meisten anderen auf der Seite der Serben“, erklärt Leroy. Aber es sei auch eine Parabel darauf, wie schnell wir vergessen hätten, dass in unserer Nachbarschaft vor nicht allzu langer Zeit ein westliches, modernes Land über ethnische und Identitätskonflikte in einen zerstörerischen Bürgerkrieg geraten sei.

Als „Der Block“ im Jahr 2011 erschien, wollte der belgische Regisseur Lucas Belvaux den Roman verfilmen, was aber aus finanziellen Gründen scheiterte. Vier Jahre später beschlossen Belvaux und Leroy, die Geschichte des „Blocks“ aus einer anderen Perspektive zu erzählen: „Chez nous“, der unter dem Titel „Das ist unser Land“ am 24. Oktober in die Kinos kommt, erzählt die Geschichte der Krankenschwester Pauline. Die lässt sich, frustriert von den sozialen Missständen, mit denen sie täglich konfrontiert wird, von den populistischen Versprechen des „Bloc patriotique“ verführen und manipulieren. „Wir wollten weitergehen und die aktuellen Entwicklungen des Rechtsextremismus beschreiben“, sagt Leroy. „Die Banalisierung des Rechtsextremismus: Da, wo ich wohne, kann im Prinzip jeder Wähler des Front National sein. Diese Leute sehen sich noch nicht einmal als Rassisten, sie sehen für sich einfach nur keine andere politische Lösung.“

Überzeugte Faschisten wie Antoine Maynard oder Stanko gebe es immer, aber nun drohe die Bewegung, auf die Masse überzuschwappen: „Die Banalisierung des Faschismus ist noch beängstigender als die Brutalität einer faschistischen Minderheit.“

Jérôme Leroy: „Der Block“, Edition Nautilus 2017, 320 S., 19,90 Euro

Lesung und Gespräch mit Jérôme Leroy in Hamburg: Mi, 30. 8., 20 Uhr, Buchladen in der Osterstraße; Kiel: Mo, 4. 9., 20 Uhr, Centre Culturel Français; Bad Bevensen: Di, 5. 9., 19.30 Uhr, Buchhandlung Patz

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