Diskriminierender Zugang: Deutschsprachige zuerst

Der Bremen-Pass benachteiligt viele Kinder. Denn den Antrag dafür und aktuelles Info-Material zum Pass gibt es nur auf Deutsch

Kinder ohne Bremenpass und Ticket im Schulbus? Da kommt die Polizei Foto: Wolfgang Weihs (dpa)

BREMEN taz | Was ist in Bremen wichtiger: korrekte Müllentsorgung oder günstiger öffentlicher Nahverkehr für Schulkinder aus ärmeren Familien? Richtig geraten: Es ist natürlich die Müllentsorgung. Den Flyer „Ab in die Tonne – Müllentsorgung korrekt“ der Bremerhavener Entsorgungsbetriebe gibt es in Übersetzungen auf elf Sprachen. Eine Broschüre über den Bremen-Pass, der immerhin Bildung und Teilhabe für Hartz-IV-BezieherInnen und AsylbewerberInnen beinhalten soll, gibt es nur auf Deutsch, Englisch und Französisch, wie der Senat im Mai auf Nachfrage der Linken mitteilte.

„Die Idee des Bremen-Pass ist der diskriminierungsfreie Zugang“, sagt David Lukaßen, Sprecher der Sozialbehörde. Klassenfahrt und Schulessen sind mit dem Pass billiger, außerdem kann der Gang ins Theater oder eine Mitgliedschaft im Sportverein mit zehn Euro monatlich bezuschusst werden.

Kompliziertes Amtsdeutsch

Der Antrag dafür ist in kompliziertem Amtsdeutsch. Das in der Senatsantwort beschriebene Informationsmaterial ist auf der Website der Stadt nicht zu finden. Und das bereitet dort Probleme, wo viele Menschen den Bremen-Pass benötigen: In Schulsekretariaten in Bremen-Nord etwa oder in Sportvereinen in Osterholz-Tenever.

Dort herrscht regelmäßig Chaos: Eltern, die schlecht oder kein Deutsch verstehen, wissen nicht genau, was und wofür der Bremen-Pass ist, geschweige denn, wie man ihn beantragt. Sie stehen Schlange in den Schulsekretariaten oder bei Vereinen. Mit zahlreichen Fragen löchern sie die SekretärInnen, die mit dem Andrang überfordert sind und nicht genügend Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben.

Monika Fuchs*, Schulsekretärin einer Grundschule in Bremen-Nord, sagt gegenüber der taz: „Im vergangenen Jahr wurden Kinder, denen eigentlich Fahrkarten über den Bremen-Pass zustehen, im Bus ohne gültige Fahrkarte erwischt.“ Die Kontrolleure hätten die Polizei gerufen: „Die Kinder ohne Bremen-Pass wurden von der Polizei in die Schule gebracht. Das ist total furchtbar für die Kinder.“

Mit voller Härte

Andere Grundschüler hätten von Kontrolleuren Strafgeld von 40 Euro aufgebrummt bekommen – alles nur, weil die Eltern mangels Informationen den Bremen-Pass nicht rechtzeitig beantragt hatten.

Es fehle Informationsmaterial in den Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Türkisch, Farsi, Dari, Arabisch, Kurdisch, Polnisch und Russisch, sagt Fuchs. Sie habe nur Flyer auf Deutsch: „Ich verschwende sehr viel Zeit damit, zu erklären, wie der Bremen-Pass funktioniert und was er bedeutet.“

Oftmals verstünden es die Eltern aufgrund der Sprachbarriere trotzdem nicht. „Seit dem Frühjahr 2016 habe ich sowohl bei der Bildungsbehörde als auch bei Soziales mehrfach per Mail die Problemlage geschildert und um die Übersetzung des deutschsprachigen Flyers gebeten.“

Der Vorgang liegt beimStaatrat auf dem Tisch

Die Bildungsbehörde habe die Probleme an die Sozialbehörde weitergeleitet, aber „Soziales mauert“, sagt Fuchs. Auf ihre Nachfrage hieß es, dass der Vorgang auf dem Tisch von Sozialstaatsrat Fries läge und später dann, dass der Flyer „im Moment nicht neu aufgelegt wird“. Immer noch bilden sich Schlangen vor ihrem Büro. Fuchs sagt: „Mir tut das alles leid.“

Bei Sportvereinen bietet sich ein ähnliches Bild: Stephanie Brunzel ist die Geschäftsführerin des TSV Osterholz-Tenever, dort haben 400 Vereinsmitglieder den Bremen-Pass. Es könnten mehr sein. Auch hier stehen Kinder und Eltern Schlange, um den Bremen-Pass zu beantragen, obwohl sie den eigentlich im Jobcenter beantragen müssten – Info-Material über den Pass haben sie nicht.

Brunzel sagt: „Unsere Kollegin hat eine Engelsgeduld, irgendwie bekommt sie es erklärt – mit Händen und Füßen.“ Sechs Stunden wöchentlich gingen nur für diese „Beratungen“ drauf. Einige Kinder ohne Bremen-Pass mussten sie wieder wegschicken.

Die Vereine baden's aus

„Wir haben den Anspruch, die Kinder von der Straße zu bekommen. Wir finden irgendwie Lösungen, manchmal übernimmt der Verein einfach die Mitgliedsbeiträge, aber das geht nicht immer“, sagt Brunzel.

Im Jobcenter kennt man das Problem, ist jedoch nicht zuständig. Jobcenter-Sprecherin Katrin Demedts sagt: „Der Bremen-Pass wird von der Stadtgemeinde umgesetzt. Die Antragsvordrucke sind von der Stadt. Wir halten den Antrag aber auch für zu kompliziert.“

Derzeit werde daran gearbeitet, dass der Antrag, „vereinfacht und bürgerfreundlicher“ werde. „In den nächsten Wochen“ soll zumindest der Antrag überholt werden. Einen Flyer auf verschiedenen Sprachen sei derzeit jedoch nicht in Bearbeitung. „Es gibt verschiedensprachiges Informationsmaterial. Dort heißt der Bremen Pass aber noch ‚blaue Karte‘“, sagt Lukaßen. Ansonsten habe sich nichts geändert, das alte Info-Material sei eigentlich noch gültig.

Er räumt allerdings ein: „Wir müssen gucken, dass wir das Material da haben, wo es gebraucht wird.“ Und wenn jemand Hilfe brauche, gebe es zudem die Möglichkeit , sich im Amt für soziale Dienste bei Beantragung und dem Ausfüllen Hilfe zu holen.

Neues Informationsmaterial sei auch eine Frage der Kapazität, aber man nehme die Anfrage „jetzt noch mal als Anlass, um zu gucken, welches Material wir haben und ob und wie das überarbeitet werden muss“, sagt Lukaßen. Die erste Beschwerde-Mail von Monika Fuchs ist jetzt eineinhalb Jahre her.

*Name geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.