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Linken-Kandidatin über Arroganz großer Parteien„Männer drängeln sich nach vorne“

Pia Zimmermann kandidiert erneut für den Bundestag. Die Linke über die Quotenregel und wieso sie Fußballerinnen in den Bundestag einlud

Die erste weibliche Spitzenkandidatin der Linken in Niedersachsen: Pia Zimmermann Foto: Christian Wyrwa
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Frau Zimmermann, warum haben Sie eine Fußballmannschaft in den Bundestag eingeladen?

Pia Zimmermann: Ich fand es unglaublich, dass die Frauen des VfL Wolfsburg Meister werden und das nicht feiern durften. Das muss man sich mal umgekehrt vorstellen: Die Männer dürfen nicht feiern, weil die Frauen noch in der Relegation stecken? Unvorstellbar. Da wollte ich ein Zeichen setzen.

Wann kommen die Fußballerinnen?

Leider hat es bisher nicht geklappt, weil viele in den Urlaub gefahren sind, nachdem sie erfahren haben, dass sie nicht feiern dürfen.

Im Interview: Pia Zimmermann

60, die Bundestagsabgeordnete der Linken kandidiert als niedersächsische Spitzenkandidatin auf Listenplatz 1 für die Wiederwahl. Bis 2013 war sie Landtagsabgeordnete in Hannover. Sie lebt in Wolfsburg und hat als Sozialpädagogin in einer Langzeiteinrichtung für Menschen mit Behinderung gearbeitet.

Sind Sie Fan der Mannschaft?

Ja, auf jeden Fall. Ich war schon oft mit meiner Enkelin im Stadion und habe selbst als Jugendliche Fußball im Verein gespielt.

Ist das eine typische Ungleichbehandlung in unserer Gesellschaft?

Ja. Frauen verdienen weniger, haben die schlechteren Jobs und Arbeitszeiten, sind mehr von Altersarmut bedroht. Frauen sind im Wesentlichen diejenigen, die die Sorge- und Pflegearbeit verrichten müssen und die Kinder erziehen. Das ist eine große Ungerechtigkeit.

Sind Sie selbst auch zu Hause geblieben, um sich um Ihre drei Kinder zu kümmern?

Bei meinem dritten Kind bin ich für ein Jahr in Erziehungsurlaub gegangen. Bei den anderen beiden habe ich es nicht gemacht, weil ich studiert habe. Ich war aber eine Zeit lang arbeitslos.

Warum das?

Das war unfreiwillig. Ich habe mich viel beworben und hatte auch viele Bewerbungsgespräche und bin fast immer in die letzte Runde gekommen. Aber damals haben die Arbeitge­berInnen schon gegoogelt und dann stand bei mir PDS. Das hat sich für mich angefühlt wie ein Berufsverbot.

Waren die Personaler abgeschreckt?

Das ist jetzt nicht mehr so dramatisch in der Linken, aber die PDS war schon ein Ausschlusskriterium. Ich habe keine feste berufliche Perspektive mehr als Sozialpädagogin bekommen. Ich bin dann putzen gegangen.

Und in Ihrer politischen Arbeit?

Da konnte ich mich durch die konsequenten Quotierungsregeln in unserer Partei mit meinen Fachthemen durchsetzen. Das Reden alleine bringt nichts. Die Männer würden sich immer wieder in die erste Reihe stellen. Bei Wahlen ist es bei der Linken so, dass auf allen ungeraden Listenplätzen eine Frau kandidiert.

Wie kommt es dann, dass Sie die erste weibliche Spitzenkandidatin der Linken in Niedersachsen sind?

Weil sich auch bei uns die Männer nach vorne drängeln. Wir Linken sind ja keine besondere Spezies.

Wollen Sie etwas anders machen als Ihre männlichen Kollegen?

Ich meine schon, dass es einen Unterschied gibt zwischen Frauen und Männern. Männer kämpfen öfter mit harten Bandagen und stellen sich selbst in den Mittelpunkt. Bei Frauen ist es meiner Erfahrung nach eher so, dass sie Teamplayer sind. Ich glaube, das tut uns gut.

Ist das nicht wieder ein Stereotyp?

Ja. Das heißt auch nicht, dass es nicht auch Frauen gibt, die sich durchboxen. Aber ich finde, man darf als Frau Frau bleiben, auch in Männerdomänen.

Wie sind Sie zur Politik gekommen?

Ich bin in eine Arbeiterfamilie hineingeboren worden und meine Eltern haben damals geguckt, dass mein Bruder und ich zu einer Jugendorganisation gingen. Ich glaube nicht, dass sie wussten, was genau die Falken waren …

Die Falken waren die Sozialistische Jugend Deutschlands.

Mit acht Jahren bin ich das erste Mal mit ins Zeltlager gefahren. Es gab ganze Zeltdörfer mit eigenen Namen. Wir haben BürgermeisterInnen und ParlamentarierInnen gewählt, die das Dorfleben mitbestimmt haben. Da lernt man natürlich, für die eigenen und die gemeinsamen Interessen einzutreten. Mit 16 bin ich dann in die SPD eingetreten.

Und wieder ausgetreten.

Ja, da kam der Nato-Doppelbeschluss. Für mich ist Frieden das Wichtigste, keine Kriegseinsätze, keine Waffenlieferungen. Das zieht sich durch mein ganzes Leben.

Woher kommt das?

Das hat etwas mit der Biografie meines Vaters zu tun. Seine Schwester ist im Faschismus im Euthanasieprogramm umgebracht worden. Das hat mein Vater sein ganzes Leben lang mit sich herumgeschleppt. Ich habe mich viel mit dieser Geschichte befasst und bin Antifaschistin durch und durch. Im Gegensatz zur SPD war das soziale Programm der PDS dann genau das, was mir nahelag.

Jetzt vertreten Sie die Linke. Doch warum sollte man eine Partei wählen, mit der sowieso niemand regieren will?

Also ob mit uns keiner regieren will, da warten wir mal die Bundestagswahlen ab. Und warum man die Linke wählen soll, ist doch klar: Die neoliberale Politik der letzten Jahre hat den Menschen nicht geholfen, sondern die Armen zahlreicher und die Reichen reicher gemacht. Wenn es die Linke nicht mehr im Parlament gibt, wird keiner mehr den Finger in die Wunde legen.

Also sind Sie ein Korrektiv?

Mindestens ein Korrektiv.

Waren Sie manchmal frustriert, wenn Sie als Pflegeexpertin Ideen in den Bundestag eingebracht haben und diese abgeschmettert wurden?

Das war eigentlich immer so. Gerade wenn die KollegInnen von der SPD und von CDU/CSU in einer Arroganz sondergleichen einen mit Anträgen so auflaufen lassen, kann das wirklich frustrierend sein. Trotzdem gelingt es uns, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen.

Sie kämpfen für Verbesserungen für Pfleger und Patienten. Haben Sie selbst Angst davor, einmal pflegebedürftig zu werden?

Klar. Ich finde das eine gruselige Vorstellung, weil Pflege in unserer Gesellschaft leider nichts mit sozialer Teilhabe zu tun hat. Manchmal heißt es noch nicht einmal: warm, satt und sauber. Es kann vorkommen, dass PatientInnen aus Zeitdruck nicht richtig gewaschen werden oder unzureichend zu essen bekommen – und wenn, dann Schokoladenpudding, weil der besser flutscht. Das sind krasse Zustände.

Was müsste sich ändern?

Wichtig sind mehr Personal und mehr Geld. Denn wenn sich etwas für die KollegInnen zum Positiven verändert, ändert sich auch etwas an der Situation der BewohnerInnen.

Warum wollen Sie mit 60 Jahren nochmal in den Bundestag? Hat Ihre Partei keinen Nachwuchs?

Natürlich haben wir geeigneten Nachwuchs. Auf Platz vier steht bei uns auf der Landesliste ein junger Mann …

… Victor Perli ist 35 Jahre alt.

Ja. Wir kämpfen dafür, dass er mit in den Bundestag einzieht. Aber warum sollte ich aufhören, mich auch im Bundestag für einen Politikwechsel einzusetzen, nur weil ich 60 Jahre alt bin? Ich bin eine Kämpfernatur. Und es gibt immer noch viel zu tun.

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8 Kommentare

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  • 6G
    6474 (Profil gelöscht)

    "Frauen verdienen weniger, haben die schlechteren Jobs und Arbeitszeiten, sind mehr von Altersarmut bedroht. Frauen sind im Wesentlichen diejenigen, die die Sorge- und Pflegearbeit verrichten müssen und die Kinder erziehen. Das ist eine große Ungerechtigkeit."

     

    -Ich habe schon in diversen Bereichen gearbeitet, von typischen Männern bis typischen Frauenberufen.

    Habe letztens erst wieder einen Handwerker beobachtet der bei 30 Grad ohne Schatten mit Sonnenbrand auf einem Baugerüst saß und mich über meinen "Frauenjob" gefreut den ich momentan ausübe.

     

    Glaubt ihr wirklich es ist toll, stundenlang 30 Kilo Zementsäcke durch die Gegend zu schleppen?

    Meine "Männerjobs" die ich ausgeübt habe, waren zum Teil lebensgefährlich. Das ich meine Zehen noch habe, verdanke ich nur den Stahlkappen meiner Arbeitschuhe und an fehlenden Fingern erkennt man den Schreiner.

     

    Ich solidarisiere mich ja gerne mit unterdrückten Frauen, aber dieser Mimimi-Feminsimus macht es einem nicht leicht.

    Viele Frauen sehen immer nur den Chef mit eigenem Büro in ihrer Firma, aber nicht den Handwerker der sich um ihre vertopfte Toilette kümmert.

     

    Müssen sich benachteiligte Frauen eigentlich dadurch sichtbar machen, indem sie sich auf die Schultern des benachteiligten Mannes stellen?

     

    Der Feminsimus wäre eine tolle Sache wenn er nicht andauernd Klassenunterschiede vernebeln würde. Der für Karrierefrauen unsichtbare Bauarbeiter kann ja immerhin noch in den Puff gehen und dort gegen Geld sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Ja Wahnsinn, ist das ein tolles Leben! it's a real man's life!

    • @6474 (Profil gelöscht):

      Ja. Diese Ignoranz bei Feministinnen der bessergestellten Bevölkerungsschichten (zu denen Feministinnen, so denke ich, zumeist gehören) stößt mir auch oft übel auf.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Weil sich auch bei uns die Männer nach vorne drängeln."

     

    In der Überschrift liest sich das irgendwie anders:

    'Linken-Kandidatin über Arroganz großer Parteien

    „Männer drängeln sich nach vorne“'

     

    Daraus entnehme ich: bei den großen Parteien drängeln sich die Männer vor.

    Das stimmt zwar, aber das ist nicht das, was Frau Zimmermann gesagt hat.

    Das Zitat ist verkürzt, aus dem Original-Zusammenhang gerissen und in einen neuen Zusammenhang gestellt worden. Das ist nach den eigenen Kriterien der taz kein guter Journalismus.

     

    Ich frage mich allerdings doch, ob Politik nicht immer etwas damit zu tun hat, sich nach vorne zu drängeln. Die Linke soll doch weiter nach vorne kommen als die anderen Parteien, nur mit Kooperation geht das nicht. Man sieht bei der SPD, was dann mit einer Partei passiert.

    Auch innerhalb von Parteien gibt es einen Machtkampf, das wird nicht gern gesagt, weil das bei der PR-Abteilung nicht gut ankommt.

    Bei der Linken gibt es einen kommunistischen, einen sozialdemokratischen und einen antiautoritären Flügel, wenn ich recht informiert bin. Und doch, ich erwarte irgendwie auch von der Frau aus dem antiautoritären Flügel, die mein Viertel in den Landtag geschickt hat (Juliane Nagel), sich in dieser Auseinandersetzung "nach vorne zu drängeln".

    Wenn jemand zur Kooperation nicht fähig ist, dann disqualifiziert das von vorn herein - ein*e fähiger Politiker*In wird das nie. Diese traditionell weiblich konnotierte Fähigkeit könnte durchaus ausgeprägter sein bei vielen Männern und auch bei manchen Frauen in der Politik.

    "Spitzenpolitiker" werden aber nicht allein gewählt, weil sie sich "durchgeboxt" haben, sondern weil sie bewiesen haben, dass sie sich durchboxen können.

    Kanzler*In kann man* nicht im Führungsduo mit dem Kandidaten der Opposition werden. Da muss auch frau sich "nach vorne drängeln"!

     

    *Anmerkung: In meinem sächsischen Dialekt heißt es nicht "man", sondern "mo" (mit kurzem "o") - deswegen "kammo beim Schbreschn ajschntlisch da nüscht vorwechsln".

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Nein, werter HANNIBAL KORPSE, Politik hat nicht "immer etwas damit zu tun [...], sich nach vorne zu drängeln“.

       

      Politik ist NICHT die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Politik soll das friedliche Zusammenleben sichern. Sie hat deswegen mit dem Aushandeln von Kompromissen zu tun, nicht mit dem Rechtes des Stärkeren. Das Recht des Stärkeren könnte schließlich auch völlig ohne Politik durchgesetzt werden. Und als Feigenblatt ist Politik zu schade.

       

      Merke: Wer im Umgang mit Frauen das Prinzip Dampfwalze anwenden muss, weil er keine überzeugenden Argumente hat, der ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch in anderen Zusammenhängen ungeeignet für den Job des Politikers. Weil: Die Bereitschaft, der Menschen, Kompromisse einzugehen, wird erfahrungsgemäß um so geringer, je öfter man sie „hinten runter fallen“ lässt, weil man die Macht hat, es zu tun.

       

      Und wenn nachher die Barrikaden brennen, will es wieder keiner gewesen sein...

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Grünen-Plakat aus Leipzig:

        "Wenn man dasselbe leistet, soll frau auch dasselbe verdienen!"

         

        Was soll das heißen?

        "In 100 Jahren, wenn Frauen, dasselbe leisten, dann sollen sie auch dasselbe verdienen!"?

        Oder:

        "Falls Frauen einmal dasselbe leisten, sollen sie auch dasselbe verdienen!"?

         

        Meine Version wäre doch:

        "W e i l man dasselbe leistet, soll frau auch dasselbe verdienen!"

        Das ist zwar eine Lüge, in dem Sinne schon, dass nie alle dasselbe leisten können, aber was soll dieser Slogan denn leisten?

        Klar, heißt es, den Arm rauszuhalten, wenn man oder frau das schreibt, aber mit halbgaren Parolen holt man auch keine CDU-affine Frau hinterm Herd vor.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Ich habe folgendes geschrieben:

        "Wenn jemand zur Kooperation nicht fähig ist, dann disqualifiziert das von vorn herein - ein*e fähiger Politiker*In wird das nie. Diese traditionell weiblich konnotierte Fähigkeit könnte durchaus ausgeprägter sein bei vielen Männern und auch bei manchen Frauen in der Politik."

         

        Gerade zeigt es sich aber doch im Wahlkampf von Martin Schmitt - die SPD will den Machtkampf (ja, "Kampf" ist das richtige Wort, dafür) um die Kanzlerschaft nicht gewinnen. Dazu wäre eine gewisse Polarisation nötig (R2G) und nicht solche Lari-Fari-Aussagen wie "Wir werden mit denen zusammenarbeiten, die mit und zusammenarbeiten wollen, aber erst einmal müssen wir die Wahl gewinnen". R2G als Option auszuschließen ist dann das definitive Ende aller Kanzlerambitionen.

        Zum Kooperieren und zum Kompromiss wären dann 4 Jahre Zeit, aber so gibt es wieder nur das Diktat der Alternativlosigkeit.

         

        Konsequenz dieser Inkonsequenz ist, dass die CDU/CSU die Wahl wohl mit Abstand gewinnen wird, obwohl Dieselgate alleine Beleg genug sein dürfte für ihre Regierungsunfähigkeit. Das heißt dann auch 4 Jahre weiter so mit Flüchtlingdeal, NATO-Bombenkrieg und Leichen am Badestrand. Was nützen die tollen Ideale, wenn man/frau keine gesellschaftlichen Mehrheiten dafür organisieren kann? "Sklavenreligion" nennt das Nietzsche.

         

        Wer Liebe und Frieden predigt, wird Krieg ernten, wusste schon Marcuse über die Hippies zu sagen. Den Krieg haben wir.

         

        Für mich hört sich das mit dem "Umgang mit Frauen" so an, als seien Frauen schwach und könnten nicht auch einstecken und austeilen. Dieses "Prinzip Dampfwalze" ist doch falsch, egal ob es Männern oder Frauen gegenüber angewendet wird. Wer keine Argumente mehr hat, soll aufhören mit der Politik.

         

        Dialektisch gesehen hat MOWGLI (Was soll das mit den Kapitälchen?) auch einen Gegensatz aufgebaut zwischen Kooperation und Konfrontation, um dann nach dem Prinzip Teile-und-Herrsche die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen zu tun.

        • 8G
          85198 (Profil gelöscht)
          @85198 (Profil gelöscht):

          Wenn wir alle kooperieren, dann leben wir schon in der Utopie und ist das dann noch Politik was wir machen oder nicht einfach nur Leben?

        • 8G
          85198 (Profil gelöscht)
          @85198 (Profil gelöscht):

          Was ist denn mit "Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren!"?