Künstlerinnen-Kooperativen im Iran: Die Werkstatt den Frauen
Iran macht Propaganda gegen Frauenarbeit. Doch Künstlerinnen in Isfahan vermarkten sich selbst – indem sie sich zusammenschließen.
Mina heißt die Kunst der blau leuchtenden Muster und Verzierungen. Ein Traditionshandwerk, das vor allem Frauen beherrschen. Doch die Gewinne streichen Männer ein. Bislang.
Die Gewölbe des Basars verbinden die alte Stadt mit der neuen. Isfahan ist mit 2,2 Millionen Einwohnern eine der größten Städte im Iran, der Basar einer der größten Märkte des mittleren Ostens. Bekannt für die Vielfalt und Qualität der Kunstwerke, die Händler hier anbieten. Hinter dem Basar, in labyrinthischen Gassen, befinden sich die Werkstätten, deren große Glasfenster einladend wirken. Frauen sitzen an großen Tischen, bemalen Kupfervasen, hämmern filigrane Muster in Silbergefäße und emaillieren Metallteller. Mina ist die weibliche Form von Minoo, Persisch für Himmel.
In einer dieser Werkstätten arbeitet Azin Shafi’i. Die Künstlerin ist dreißig Jahre alt. „Für uns ist die Herstellung von Mina auch eine Art, uns auszudrücken“, sagt Shafi’i. Sie hat an der Schahr-e-Kord-Universität der Künste etwa 100 Kilometer südwestlich von Isfahan studiert. Vorsichtig stellt sie einen Teller ab, den sie gerade emailliert. Jetzt will sie reden. „Wir waren es leid, von den Ladenbesitzern und Händlern ausgebeutet zu werden.“
Die Männer kontrollieren den Kunstmarkt
Die Künstlerin neben ihr fügt hinzu: „Dies ist der einzige Ort, an dem die von der Regierung gewollte Geschlechtertrennung ein Vorteil sein könnte.“ Denn die Händler versuchen immer wieder, Preise zu drücken, sie lehnen die Designs der Frauen ab und diktieren ihnen stattdessen Trends. „Sie sind Geschäftsleute, keine Künstler“, sagt Shafi’i.
Traditionell sind es im Iran die Männer, die den Kunstmarkt kontrollieren und denen die Läden und die Werkstätten gehören. Auch wenn es die Frauen sind, die arbeiten. Doch vor etwa zwei Jahren hat Shafi’i beschlossen, nicht mehr an die Händler zu verkaufen. Sie wollte ihre Kunst selbst vermarkten.
Frauen sollen die Familie beschützen, sagt der Staat
Gemeinsam mit drei Freundinnen hat sie die Kooperative „Toluo“ gegründet. Sonnenaufgang heißt das übersetzt. Die Frauen der Kooperative sind zwischen 25 und 30 Jahre alt, haben studiert und keine Lust mehr, vergeblich nach einer sicheren Anstellung zu suchen. „Wir haben eine kleine Solidaritätsgemeinschaft gegründet“, sagt Shafi’i, fügt aber an: „Viele von uns mussten einen hohen sozialen Preis zahlen, um ein eigenverantwortliches Leben zu führen.“
Die strikte Geschlechtertrennung geht auf das iranische Zivilgesetz zurück. Das wiederum beruht auf der Scharia. Demnach steht der Mann als Familienoberhaupt in der Verantwortung, für Frau und Kinder zu sorgen. Deshalb erhalten nur sie staatliche Zuwendungen wie beispielsweise Kindergeld. Der Staat betreibt fortwährend Propaganda dafür, dass Frauen nicht arbeiten sollten. In Kampagnen wirbt er, dass ihre wichtigste Aufgabe sei, die Familie zu beschützen. Nach Berichten der Internationalen Arbeitsorganisation und des Iranischen Zentrums für Statistik aus dem Jahr 2016 arbeiten lediglich 13,1 Prozent der iranischen Frauen. Auch die schwierige wirtschaftliche Lage und die hohe Inflationsrate machen es den Frauen schwer, sich unabhängig zu machen.
Kunst und Kommerz
Die Zahl der Frauen-Kooperativen wächst trotzdem rasant. Die kleinen Firmen haben keine Vorgesetzten und jedes Mitglied wird nach seiner Arbeitsleistung bezahlt. Einen Teil der erwirtschafteten Einkünfte verwenden die Kooperativen für gemeinsame Ausgaben, den restlichen Gewinn teilen sie gleichmäßig auf. Viele der Kooperativen entstehen aus Freundeskreisen heraus oder in der Verwandtschaft. So wie die Werkstatt von Shafi’i, in der die Frauen am Tisch jetzt Gärten voller Blumen auf Teller malen.
Trotzdem sei es immer wieder herausfordernd, die Kooperative am Laufen zu halten, erzählt Shafi’i. Gerade in Zeiten von Preisdumping und der anhaltenden wirtschaftlichen Regression. Bald wollen sie in eine neue Werkstatt investieren, an die auch ein eigenes Ladengeschäft angeschlossen sein wird.
Die Kooperative Niloufar-Abi – auf Deutsch: azurblaue Lilie – hat einige ihrer Pläne schon realisiert. Ihr Geschäft befindet sich in einem der Eingänge zum alten Basar, nur ein paar Meter vom Naqsch-e-Dschahan-Platz entfernt. Oft besucht Shafi’i die Frauen, um mit ihnen Erfahrungen auszutauschen. Die Kolleginnen sind erfolgreich. Niloufar-Abi kann nicht nur stabile Umsätze vorweisen. Auch künstlerisch sind sie erfolgreich. Sie entwerfen neue Muster, entwickeln Farbkombinationen, verbinden das traditionelle Handwerk mit Moderne, fusionieren Kunst und Kommerz. In den Werkstätten der Künstlerinnen schließen sich diese Gegensätze nicht aus.
Der große Bruder ist stolz
Die guten Erfahrungen mit ihrer eigenen Kooperative haben Shafi’i mutiger gemacht. Sie malt nicht mehr nur Muster, sondern knüpft ach riesige Teppiche. Es ist Abend, als sie in einem kleinen Zimmer im Haus ihrer Mutter sitzt, hier arbeitet sie an Teppichen. Freunde und ihr älterer Bruder Amir kommen zu Besuch. Azin Shafi’i rollt ihre Teppichmuster aus, um sie ihnen zu zeigen. Die filigrane Designs mit unzähligen Details und vielen Farben wirken wie großformatige Gemälde.
„Diese Kunstwerke machen einen großen Teil unser Kultur aus“, erzählt Shafi’is Bruder Amir, während er Zimttee in Gläser füllt. „Was Azin versucht zu erreichen, trägt einen Teil dazu bei, diese Kultur zu gestalten und stärker zu machen“, erklärt er.
Der große Bruder ist stolz auf seine Schwester. Die Teppiche sollen die erste Produktionsreihe einer neuen Kooperative sein, die Shafi’i gerade gründet. Deren Mitglieder sind Frauen aus ländlichen Gegenden, übermorgen wird Shafi’i in ein Dorf in der Nähe von Isfahan fahren, um einige Weberinnen zu treffen. „Für uns ist das Handwerk nicht nur eine Arbeit“, sagt Shafi’i. „Wir gewinnen dadurch unser Selbstbewusstsein zurück.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen