Ausstellungsempfehlung für Berlin: Seltsame Dingwelt
Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge stellt mit seinem „Kabinett des Unbekannten“ gewohnte Hierarchien der Wissensvermittlung infrage
„Wiesbadener Gnom-Inspirolator“ steht auf einem winzigen Glasbehältnis, das in einem Gummigefäß steckt, ein abzweigendes Röhrchen wird durch einen Gummipfropf geschlossen. Ich denke an Zwerge. An Zaubertrank. An Wiesbaden.
Im Werkbundarchiv gibt es seltsame Dinge zu sehen: Eine etwas schäbige bunt bemalte Büste Uta von Naumburgs etwa, oder eine Kunststoffplatte, auf der ein schlanker Damenabsatz klebt. Ein metallenes Artefakt, könnte sakralen Gebrauchswert haben.
Viele Gegenstände in diesem „Kabinett des Unbekannten“, die die Gastkuratorin Ece Pazarbaşı für die gleichnamige Ausstellung zusammengetragen hat, entziehen sich auch nach längerer Betrachtung einer Deutung. Dabei wird die Verwirrung durch keinerlei Erläuterungen gestört. Nur Nummerierungen verweisen auf Einträge, die sich in Karteikästen an zwei Seiten des Raums befinden.
Eine grobe Blech-Holz-Konstruktion mit der Nummer „52“ erinnert an das Architekturmodell einer Fabrik, hat aber die Anmut eines Gebrauchsproduktes, einer Maschine. In ihrer dilettantischen Bauart wiederum wirkt sie eher wie eine Bastelei.
Kabinett des Unbekannten: Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Oranienstr. 25, noch bis 25. 9., Do–Mo 12–19 Uhr, 6/4 €, www.museumderdinge.de
Die Karteikarte, die sich amüsanterweise stets in dem vom Objekt weiter entfernten Tisch befindet, verrät, dass es sich um die Mausefalle „Capito“ handelt, produziert von der Firma Luchs zwischen 1920 bis 1935. Ausgesucht hat es eine Museumsmitarbeiterin wegen seiner „Ambivalenz“, wie sie im Interview, das mit jedem der „Kabinetts-Mitglieder“ geführt wurde, erzählt. Ihrer Recherche nach fand die seriell hergestellte „Mäuse-Guillotine“ reißenden Absatz. Zur Funktionsweise wollte sie sich jedoch nicht detailliert äußern. Das sei „nichts für zarte Gemüter …“
Besucher*innen sind an dieser Stelle aufgefordert, weitere Gedanken und Forschungsergebnisse zum Gegenstand zu notieren. Zur „Arschrutsche“ (Entwurf und Herstellung unbekannt) schrieb ein Gast, die Bezeichnung „Ruderbootsitz“ sei vielleicht feiner.
Ebenfalls Teil der Sammlung ist ein „Berliner Schlüssel“. Ausgesucht hat ihn die Kuratorin selbst. Für die Istanbulerin war dieser Gegenstand äußerst mysteriös. Und auch, wenn er vielen Berliner*innen noch ein Begriff sein mag, kann die Erfindung des Schlossermeisters Johann Schweiger von 1912 ohne Erklärung kaum verstanden werden: indem er an beiden Enden einen Bart aufweist, kann er nach dem Aufschließen einer Tür lediglich durch das Schloss geschoben, von innen gedreht, und dort abgezogen werden. So zwingt er zum Abschließen der Tür.
Die Bedeutungsdimension dieses Gegenstandes arbeitete der Philosoph Bruno Latour in seinem Buch „Der Berliner Schlüssel“ heraus: Sein Zweck ist tief in sein Wesen eingeschrieben. „Der Berliner Schlüssel, die Tür und der Hauswart befinden sich in einem erbitterten Kampf um Kontrolle und Zugang.“ Sie trennen innen und außen, Mieter und Dieb, Bewohner und Eigentümer.
Daraus leitete Latour seine Kernthese ab, dass ein Ding niemals „Objekt“ sei, sondern immer „Akteur“, und proklamierte damit das Ende des Objekts, das nur existiere, solange es als Fossil vergraben bliebe. Werde es aber freigelegt und in Praktiken erschlossen, wird es zum Akteur. Damit hebt er die Trennung zwischen Subjekt und Objekt auf: zwischen Natur und Kultur, Mensch und Ding.
Ausgehend davon und dem „Berliner Schlüssel“ als erstem Akteur entstand in einem Schneeballsystem ein partizipatives Ausstellungsprojekt, in dem zunächst Mitarbeiter*innen des Museums Dinge aus dem museumseigenen Bestand sowie unbekannte Orte aus der Umgebung aussuchten. Die neuen Akteure wählten ihrerseits weitere Gegenstände aus, die ihnen rätselhaft waren.
In dieser Interaktion öffnet sich das Museum nach außen. Weitere Orte wurden in der „Kabinetts-Sitzung“ als „Satelliten“ ausgesucht – als Ausstellungsflächen für den „nomadischen“ Teil der Schau. Die Indexeinträge für diese Gegenstände befinden sich allerdings auch nur im Museum.
Ece Pazarbaşı geht es um die Infragestellung gängiger Praktiken des Lernens und Forschens. In der Tradition musealer Praxis gelten Museen als Institutionen der Wissensvermittlung, wobei die Besucher*innen üblicherweise an die Richtigkeit der Informationen glauben. Das entstandene Netzwerk forscht hier exemplarisch auf Augenhöhe.
Der Ausstellungstitel verweist übrigens auf das historische Cabinet d’Ignorance des Mathematisch-Physikalischen Salons in Dresden, das Anfang des 18. Jahrhunderts für nicht klassifizierbare Objekte geschaffen wurde. Ausgestellt wurden vor allem unbekannte Tiere und als Monster bezeichnete rätselhafte Wesen.
Die „Wiesbadener Gnom-Inspirolator“ wurde in den 50er Jahren übrigens von den Lyssia-Werken hergestellt. Meine Recherche ergab, dass es sich um einen Reise-Miniinhalator handelt. Ausgesucht hatte ihn Nina Weniger vom Comik-Fachgeschäft Modern Graphics – er erinnerte sie an „den kranken Gnom von Wiesbaden, der auf der Suche nach Heilung auf den berühmten ,Inspirolator' traf, der ihm mittels zweier vermischter Hustensäfte das Leben rettete.“
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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