piwik no script img

Vor Folterbericht die Augen verschlossen

Dänische Militärführung deckte Folter an Gefangenen durch US-Soldaten in Afghanistan, indem sie einen Soldaten, der darüber Bericht erstattete, nach Hause schickte und ihm einen Maulkorb samt drastischer Strafandrohung verpasste

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Waren dänische Militärs und Politiker Komplizen bei Folter durch US-Soldaten in Afghanistan? Diesen Eindruck erweckt der so genannte „Dolmetscherskandal“, der zurzeit Dänemark erschüttert. Zentrale Person ist einer von 102 dänischen Soldaten, die mit Elitesoldaten anderer Länder im südlichen Afghanistan Kämpfer der Taliban und von al-Qaida jagen sollten. Wegen seiner Sprachkenntnisse wurde der „Dolmetscher“ genannte Soldat im Januar 2002 in Kandahar an das benachbarte US-Gefangenenlager „ausgeliehen“. Dort sollte er beschlagnahmte Dokumente übersetzen.

Doch in den drei Wochen seiner Abordnung nahm der Däne auch an Gefangenenverhören teil. Was er dabei erlebte, veranlasste ihn zu Gesprächen mit seinen Vorgesetzten sowie Angehörigen des militärischen Nachrichtendienstes „Forsvarets Efterretningstjeneste“ (FE). Der Inhalt dieser Gespräche ist auch heute noch geheim. Doch ging seinen Vorgesetzten und wohl auch US-Militärs auf, dass er ein „Problem“ sein könnte. Nach vertraulichen Quellen, die der Kopenhagener Zeitung Politiken vorliegen, wurde er deshalb einer „Sonderbehandlung“ unterzogen. Als Dänemarks damaliger Verteidigungsminister Svend Aage Jensby Ende Februar 2002 in Kandahar Truppen besuchte, wurde vom FE sichergestellt, dass der Minister ihn nicht trifft.

Der „Dolmetscher“ wird mit einem US-Hubschrauber auf eine US-Basis außerhalb Afghanistans gebracht und nach Frankfurt geflogen. Dort erwartet ihn ein FE-Angehöriger, der ihn nach Kopenhagen begleitet. Dort muss „Dolmetscher“ eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben, sonst drohen vier Jahre Gefängnis.

Warum man den „Dolmetscher“ Hals über Kopf nach Hause schickte, geht aus ebenfalls geheimen Dokumenten hervor: seinen Berichten über die Erlebnisse im US-Camp. Darin soll von einem zu Tode geprügelten Gefangenen die Rede sein und einem alten Mann, dem US-Militärs die Zähne austraten. Das deckt sich mit Informationen, die Human Rights Watch und amnesty international später von Exgefangenen erhielten.

Nach dänischem Militärstrafrecht müssen Pflichtverletzungen auch eines Verbündeten sofort gemeldet werden. Tatsächlich wurde das Oberkommando auch informiert. Unklar ist bislang wegen der Geheimhaltung nur, wann. Spätestens müsste dies der Fall gewesen sein, als „Dolmetscher“ psychische Beschwerden aufgrund seiner Erlebnisse meldet und im Juli 2003 gegen das Militär ein Berufsunfähigkeitsverfahren anstrengte.

Doch wieder geschieht nichts. Erst einige Tage nachdem der US-Sender CBS am 28. April 2004 erstmals Bilder über die Gefangenenmisshandlung im Bagdader US-Militärgefängnis Abu Ghraib ausstrahlte, wird plötzlich ein geheimes Ermittlungsverfahren wegen der „Dolmetscher“-Anklagen 26 Monate zuvor eingeleitet. Es ist inzwischen eingestellt. Nach einem mysteriösen Einbruch in sein Haus, bei dem nur seine schriftlichen Unterlagen über Afghanistan gestohlen wurden, sowie anonymen Todesdrohungen lebt „Dolmetscher“ mittlerweile im Ausland unter geheimer Adresse.

Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses des dänischen Parlaments sind die wenigen Außenstehenden, die einen Teil der geheimen Unterlagen einsehen durften. Auch sie sind zur Vertraulichkeit verpflichtet. Deshalb darf auch Frank Aaen von der linken „Einheitsliste“ nichts berichten. Er versucht seine Schweigeverpflichtung mit einem offenen Brief an Verteidigungsminister Søren Gade zu umgehen, in dem er aufgrund seines Informationsstandes der dänischen Militärführung vorwirft, dass sie „es bewusst unterlassen hat, von ihnen bekannten Gefangenenmisshandlungen zu berichten“. Damit habe Dänemark die Möglichkeit vergeben, womöglich rechtzeitig „eine Entwicklung mit zu stoppen, die wir nach dem Abu-Ghraib-Skandal nun alle kennen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen