: Eine Regierungskrise, die keine sein darf
GIFPEL Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) steht wegen der Krawalle beim G20-Gipfel unter Druck. Anwohner fühlen sich im Stich gelassen. Scholz schließt Rücktritt aus und erhält Rückendeckung aus Berlin
Aus Hamburg und BerlinJean-Philipp Baeck und Anna Lehmann
Eine Traube Menschen steht am Montag vor einem Sonnenschirm und Mannschaftswagen der Polizei am Neuen Pferdemarkt in Hamburg. Hier, wo vor wenigen Tagen Flaschen und Steine flogen, Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt wurde, hat die Hamburger Polizei eine Beschwerdestelle für BürgerInnen eingerichtet und nimmt Schadensanzeigen auf. Bundeskanzlerin Angel Merkel (CDU) hatte Entschädigungen zugesichert. Doch viele wollen einfach nur ihren Ärger loswerden: Dass die Hamburger linke Szene sich zu wenig von der Gewalt abgegrenzt habe, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. Thema aber auch immer wieder: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD).
Der habe sich „ignorant“ verhalten, sagt die Frau. Sie spricht von „Verantwortungslosigkeit“ und vermutet hinter dem G20-Gipfel einen Rachefeldzug des Bürgermeisters gegen die Bevölkerung, um nach dem negativen Volksentscheid zur Olympia-Bewerbung nun doch noch ein Großereignis nach Hamburg zu holen.
Im ganzen Stadtgebiet waren während des G20-Gipfels zahlreiche Autos angezündet worden. Unweit der Beschwerdestelle zeugen in den Straßen des Schanzenviertels am Montag noch verkohlte Flecken auf den Straßen von den Krawallen. Über mehrere Stunden hatte die Polizei am Freitag hier Barrikaden brennen lassen und bei Plünderungen nicht eingegriffen. Ein massives Aufgebot rückte erst vor, als Spezialkräfte von der Bewachung der Staatsgäste abgezogen werden konnten. Dass diese Priorität hatten, ist der Vorwurf der AnwohnerInnen.
„Der Polizeieinsatz war eine große Leistung“, sagte hingegen OIaf Scholz. Die Polizistinnen und Polizisten „haben alles richtig gemacht“. Für sich selbst schließt er einen Rücktritt aus. Den hatte die Hamburger CDU gefordert. Stattdessen soll nun am Mittwoch eine Regierungserklärung folgen, erklärte Scholz. Er hoffe auf „harte Strafen“ für die Täter. Die Polizei richtete am Montag eine Sonderkommission ein.
Rückendeckung bekam Scholz von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU): „Ich kann keine Begründung erkennen, warum er zurücktreten sollte.“ Die Bundesregierung stehe zu der Entscheidung für Hamburg, betonte Merkels Sprecher Steffen Seibert am Montag. „Chaoten, Extremisten und Kriminelle dürften nicht über den Austragungsort entscheiden.“ Wegen der logistischen Anforderung seien nicht viele deutsche Städte für die Austragung des Gipfels in Frage gekommen. Im Namen der Bundeskanzlerin dankte Seibert Bürgermeister Scholz für die Zusammenarbeit.
Der Bund hatte 5.000 Bundespolizisten nach Hamburg entsandt. Der Sprecher des Innenministeriums konnte auf Nachfragen kein Fehlverhalten seitens der Polizei erkennen. Er halte es für falsch, den Einsatz pauschal als misslungen zu deklarieren. Es sei gelungen, den Gipfel weitgehend reibungslos abzuhalten.
Olaf Scholz im Juni 2017
Doch in Hamburg wächst der Druck auf Scholz. Dass das Sicherheitskonzept nicht aufgegangen sei, hieß es etwa vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Scholz werden Aussagen vorgehalten, in denen er vor dem G20-Treffen eine Garantie für die Sicherheit abgegeben und den Gipfel mit dem jährlichen Hamburger Hafengeburtstag verglichen hatte: „Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“, sagte Scholz etwa im Juni. Und zum Ort der Ausrichtung: „Es geht gar nicht woanders.“
Bei dieser Frage knirscht es nun geringfügig mit dem grünen Koalitionspartner. Freitagmittag, nach den ersten Ausschreitungen während und nach der autonomen „Welcome to Hell“-Demo am Vortag, verschickte die Bürgerschaftsfraktion der Grünen eine Pressemitteilung mit dem Hinweis: „Wir Grüne haben die Messehallen von vornherein als ungeeignet kritisiert.“ Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank wiederholte diese Aussage am Montag. Die Koalition werde dies aber überstehen.
Es gebe keine Senatskrise, sagte Olaf Scholz in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt. Zwischen SPD und Grünen gebe es lediglich unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob die Stadt Zeltlager für Demonstranten hätte ermöglichen sollen. Hamburgs Grünen-Chefin Anna Gallina hatte der Polizei vorgeworfen, den Camp-Aufbau zu verzögern. Erst nach Rechtsstreits waren zwei Camps der G20-Gegner gerichtlich erlaubt, nur eins am Ende wirklich errichtet worden. Innensenator Andy Grote (SPD) verteidigte am Sonntag seine Verbotspolitik erneut: Es habe eine klare Gefahrenprognose für die Camps gegeben. Die Krawallen hätten gezeigt, dass die Polizei damit richtig lag.
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