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Kommentar FlüchtlingspolitikEuropa muss von Uganda lernen

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Nie mussten mehr Menschen fliehen als heute. Das macht vor allem Europa nervös. Ein Blick auf den Süden der Welt würde, wie so oft, helfen.

Afrika hat im Umgang mit Flüchtlingen eine fast unwirkliche Gelassenheit entwickelt Foto: imago/ZUMA Press

S eit Jahren verkünden internationale Organisationen am Weltflüchtlingstag den immer gleichen Befund: Nie mussten mehr Menschen fliehen als heute. Und es ist der globale Süden, der die Last ihrer Aufnahme trägt. Die in Europa fast flächendeckend verbreitete Überzeugung, das eigentliche Opfer der globalen Flüchtlingskrise zu sein, stört das nicht.

Ein Blick auf den Rest der Welt würde da, wie so oft, helfen. Zum Beispiel auf Uganda: Das ostafrikanische Land hat in den letzten Jahren etwa die gleiche Menge an Flüchtlingen aufgenommen wie Deutschland – rund 1,2 Millionen. Sein Bruttosozialprodukt aber ist rund 130 Mal niedriger. Ruft die Regierung in Kampala deshalb den Notstand aus? Schließt sie die Grenzen? Denkt sie über den Ausstieg aus der Genfer Flüchtlingskonvention nach? Zünden Unbekannte tausendfach Flüchtlingsunterkünfte an? Zieht eine neue Partei ins Parlament ein, deren Programm im Wesentlichen aus Fremdenfeindlichkeit besteht?

Nichts davon. Afrika hat im Umgang mit Flüchtlingen eine im Gegensatz zu Europa fast unwirkliche Gelassenheit entwickelt.

Die Türkei, weltweiter Spitzenreiter bei der Flüchtlingsaufnahme, hat der EU Milliardenzahlungen für die Versorgung der Aufgenommenen aus der Nase gezogen. Das konnte sie nur, weil die EU fürchtete, die Menschen würden sonst hierherkommen. Bei Uganda droht das kaum. Also zahlt Europa fast nichts. Und deshalb bekommen die Flüchtlinge von der Regierung in Uganda nun eben Land und Arbeitserlaubnis.

Keine Frage – es gibt eine ganze Reihe guter Gründe, den ugandischen Langzeitherrscher Museveni zu kritisieren. Seine Flüchtlingspolitik ist keiner davon. Die zwar pragmatische, aber zum Teilen des bescheidenen Wohlstands bereite Haltung sollte Europa ein Beispiel sein. Denn das Problem wird nicht verschwinden. Seit Beginn des Jahrzehnts hat sich die Zahl der Menschen, die weltweit pro Minute vertrieben werden, von 8 auf 20 erhöht – parallel zum Anstieg bewaffneter Konflikte.

Wer daran substanziell etwas ändern will, müsste dafür sorgen, dass die internationale Gemeinschaft diese Konflikte besser zu verhüten oder einzudämmen imstande ist. Danach sieht es aber nicht aus. Die Flüchtlinge dieser Welt werden viele Ugandas brauchen.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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7 Kommentare

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  • Blicken wir auf die Entwicklung in Südafrika. Auch hier finden soziale und ökonomische Verteilungskämpfe innerhalb der Bevölkerungen statt, die den europäischen in nichts nachstehen. Sie werden härter und gewaltsamer ausgetragen als in Europa. Auch sind sie geprägt von sozialer und ethnisch-rassistischer Fremdenfeindlichkeit. Diese [historisch-ethnischen] Gegensätze zwischen den Bevölkerungsgruppen Afrikas machten sich auch schon die früheren (europäisch geprägten) Apartheid-Regime zu eigen. Die nationale Souveränität Südafrikas konnte bisher diese Gegensätze zwischen den Volksgruppen, - im materiellen und sozialen Verteilungskampf, nicht überwinden. Es bleibt nur die Hoffnung, dass die heimischen Eliten Ugandas ihre Interessen im gemeinsamen Konsens lösen. Dass sie nicht zukünftig, die zweifellos auch vorhandenen eigennützigen Macht- und Wirtschaftsinteressen, ihre materiellen, sozialen und politischen Gegensätze, auf den Rücken der Flüchtlinge und der eigenen Bevölkerung austragen.

     

    Das “Problem wird nicht verschwinden“, dafür müsste man schon den Kapitalismus beseitigen. Aber auch die imperialistischen Metropolen Europas, Amerikas und Asiens überwinden!

  • "Die Türkei, weltweiter Spitzenreiter bei der Flüchtlingsaufnahme, hat der EU Milliardenzahlungen für die Versorgung der Aufgenommenen aus der Nase gezogen."

     

    Noch bevor Herr Erdogan ein Kapital aus Flüchtlingen herausschlagen konnte (wie auch immer, wie er darauf gekommen ist; das geschah mit einer langen Verzögerung), gab es Ansiedlungen von syrischen Flüchtlingen in der Türkei nahe Grenze mit Syrien. Sie konnten irgendwie existieren und Herr Erdogan hatte keine „Probleme“ mit diesen Menschen.

    • @Stefan Mustermann:

      Gemäß den UN-Bestimmungen haben reale Kriegs- bzw. Katastrophenflüchtlinge, welche nicht in Sicherheitszonen des eigenen Landes untergebracht werden können, in NACHBARSTAATEN einen Schutzanspruch, wobei das UNHCR für die Einrichtung und den Unterhalt der Lager zuständig ist. Die Türkei hat hier nur die Landfläche nahe der Grenze zur Verfügung gestellt. Das gleiche gilt z.B. auch für die Flüchtlingsunterbringung im Libanon usw. usw. usw.

      Auch für Deutschland wäre es ausreichend rechtskonform, wenn wir der UN Landflächen für das Betreiben von Flüchlingslagern zur Verfügung stellen würden, wobei Deutschland als Nichtanrainerstaat dies gar nicht müsste.

      Dass wir Migranten und Flüchtlinge per Asylverfahren in Gesellschaft und Sozialsysteme "zwangsassimilieren" wollen, ist unser eigenes Problem. Mit den daraus ableitbaren, vielfältigen Folgen sind wir offenbar noch unterfordert ("wir schaffen das") und wünschen uns noch viel mehr "geschenkte" Menschen. Das ist der offizielle PC-Sprech.

  • Uganda bekommt vom UNHCR 550m USD pro Jahr für Flüchtlingshilfe, das sind 0.8% des GNP und stellt keinen unerheblichen Betrag in der Volkswirtschaft dar. Daher die "unwirkliche Gelassenheit", es wird damit auch Geld verdient.

    • @Gerald Müller:

      550 Mio / 1,2 Mio = 458,33 pro Flüchtling/pro Jahr oder 1,25 Dollar pro Tag. Wobei dann immer noch fraglich ist, ob die zugesagten Gelder überhaupt in voller Höhe ausgezahlt werden. Denn wie wir alle wissen, sind die Mitgliederländer da nicht immer so eifrig dabei wenns ums Zahlen geht. Das war ja auch eines der Probleme 2014 in Syrien, was dann "unsere Flüchtlingskrise" ausgelöst hat.

       

      http://www.taz.de/!5031029/

       

      Und die Staaten, die Flüchtlinge beherbergen, profitieren auch nicht von den Geldern. Die werden vom UNHCR direkt verwendet.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Wieviel gibt Uganda aus insgesamt und relativ zum STaatshaushalt im Vergleich zu Deutschland, wie groß sind religiöse und kutlurelle Unterschiede zwischen dne Flüchtlingen und Uganda, hätte Uganda die Möglichkeit sie abzuweisen oder macht es aus der mangelnden Fähigkeit eine Tugend?

    Wie leben Flüchtlinge in Uganda? Riesige Lager, Integration?

  • Ich bezweifle, dass ein Land wie Deutschland (das sich mit so wichtigen Themen wie "*" und digitale Privatsphäre beschäftigt) sich mit einem Land vergleichen lässt indem knapp ein Viertel der Bevölkerung unter 1,25 Dollar am Tag lebt.

    Ihnen ein Stück Land zu geben und sich selber zu überlassen bekommen wir sicherlich auch hin - allein ich glaube es ist nicht ihr Anspruch.

     

    Der Lerneffekt wird wie in Italien und Griechenland der sein, dass vorhandene Armut und Not durch die Migration von weiteren Armen verschärft wird.