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„Konflikt unter der Oberfläche“

THEATER Der US-amerikanische Dramatiker Richard Nelson über sein dreiteiliges Wahljahr-Stück „The Gabriels“, die Familie als Thema und Age-ism auf der Bühne

Richard John Nelson

geboren 1950 in Chicago, hat neben zahlreichen Theaterstücken auch für Film und Fernsehen geschrieben.

Interview Sascha Ehlert

taz: Herr Nelson, „The Gabriels: Election Year in the Life of one Family“ spielt in Rhinebeck, einem Städtchen mit 7.500 Einwohnern im Bundesstaat New York. Erzählt das Stück eine persönliche Geschichte?

Richard Nelson: Nun, ich kenne Rhinebeck sehr gut, da ich dort seit mehr als 30 Jahren lebe. Und ja, ich wollte mit diesem Stück schon die Geschichte von Menschen erzählen, die in dieser Stadt leben, aber nicht wirklich meine eigene beziehungsweise die meiner Familie.

Sind die Figuren also so angelegt, dass sich möglichst viele Zuschauer damit identifizieren können?

Ja und nein. Vor ein paar Jahren habe ich meine „Apple Family Plays“ in Berlin gezeigt. Diese Stücke fanden ihren Weg nach Deutschland, weil Tobias Veit von der Schaubühne sie in New York gesehen hatte. Ich dachte, die „Plays“ wären viel zu vollgepackt mit spezifischen Referenzen. Tobias war der Meinung, dass die Europäer die Verunsicherung und den Frust meiner Figuren genauso würden nachvollziehen können – was sich als wahr herausstellte. Ich lernte dadurch, sehr spät, dass eine Geschichte umso allgemeingültiger wird, je spezifischer du wirst. Darüber hinaus ist die „Familie“ als Kern der Handlung natürlich ein sehr universelles Thema.

Wie kam es zu einem mehrteiliges Stück über das Wahljahr?

Schon meine „Apple Family Plays“ beschäftigen sich ja mit Wahlen, ebenso wie sie auch in Rhinebeck spielen. Nachdem ich damit fertig war, hatte ich die Idee, mich noch einmal mit einer anderen Familie auseinanderzusetzen und drei Stücke zu schreiben, die alle drei um das selbe nationale Ereignis kreisen – und das offensichtlich anstehende nationale Ereignis war die Präsidentschaftswahl.

Was hat Sie daran interessiert?

Ich wollte herausfinden, was passiert, wenn man ein Stück inszeniert, in dem die Figuren gerade dasselbe durchmachen wie das Publikum in seinem eigenen Leben fernab der Bühne. Was diese spezifische Wahl angeht: Niemand wusste, was passieren würde, als wir anfingen. Ich nahm an, dass eine Frau im Wahljahr eine wichtige Rolle spielen würde, weshalb fünf der sechs Personen im Stück Frauen sind. Vier von ihnen sind zwischen 50 und 60, die fünfte ist 80 Jahre alt.

Der dritte Teil des Stückes heißt „Women of a certain age“ …

Ich denke, die Geschichte handelt von einer Generation. „Women of a certain age“ zu fünft auf der Bühne zu sehen, ist außerdem immer noch etwas Seltenes. In den USA sieht man höchst selten mehrere Schauspielerinnen zwischen 50 und 60 auf der Bühne, weil die Protagonisten vieler Stücke a) vor allem männlich oder b) junge Frauen sind.

Erzählen Sie eine Geschichte über Frauen in Amerika?

Ich würde nicht so weit gehen. Vielmehr erzähle ich von Frauen meiner Generation und versuche herauszufinden, was sie bewegt. Der letzte Teil des Stücks spielt am Wahlabend, endet aber, bevor das Ergebnis feststeht. Die Figuren erfahren nie, wer gewonnen hat. Genauso war die tatsächliche Wahl noch nicht entschieden, als die Premiere vorbei war. Es geht mir auch überhaupt nicht um die Wahl an sich, sondern um das Wahljahr. Wir sehen einer Familie an drei Tagen dabei zu, wie sie leben. Die Wahl ist eher ein unter der Oberfläche schwelender Konflikt, der ab und an hochpoppt, aber in der Regel von den individuellen Problemen überlagert wird. Mein Ziel war es zu zeigen, wie die persönlichen Hoffnungen und Ängste der Figuren eins sind mit dem großen Ganzen, dem Politischen, der Gesellschaft.

In der Realität wurde mit Donald Trump jemand Präsident, der in vielerlei Hinsicht die Zeit zurückzudrehen versucht. Was würden Ihre weiblichen Charaktere wohl darüber denken?

Ich bin mir sicher, sie wären verwirrt. Vielleicht fühlten sie sich auch an ihre Jugend erinnert, als Frauen noch stärker als heute gegen eine von Männern dominierte Gesellschaft ankämpfen mussten, um gehört zu werden. Während der Amtseinführung von Trump spielten wir „The Gabriels“ in Washington, wir waren also auch für den „Women’s March“ in der Stadt, was sehr spannend war. Ich denke, die Frauenfiguren in meinem Stück wissen, dass sie, obwohl sie klar auf der Seite der Demokraten stehen, von dieser politischen Seite nicht gehört werden. Sie fühlen sich durch die Politik nicht unterstützt.

Das Interview wurde im März 2017 in Berlin geführt.

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