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DIE DEMOKRATISCHE GLAUBWÜRDIGKEIT DER SPD NIMMT WEITER SCHADENGeschäftsmäßiger Zermürbungskrieg

Das war ein Zahn zu viel im sozialdemokratischen Zermürbungskrieg um das Recht auf den Erst-Versuch Schröders zur Regierungsbildung. Die Sozialdemokraten wollten per Beschluss möglichst noch des alten Bundestages dessen Geschäftsordnung ändern, um der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU ein Ende zu setzen. Ihr Dreh: Der Rechtszustand der Zeit vor 1969 sollte wiederhergestellt werden. Damals war die Regel außer Kraft gesetzt worden, wonach Fraktionsgemeinschaften in jeder Legislaturperiode der Zustimmung des Parlaments bedürfen. Nach massiver öffentlicher Entrüstung hat Münte jetzt die Notbremse gezogen. Geschäftsordnungsmäßig bleibt alles, wie es ist.

Sorry, war nur ein Versuch – vergeben und vergessen? Keineswegs, denn hier zählt auch die böse Absicht. Der Hintersinn des SPD-Manövers lag auf der flachen Hand. Schröder sollte beim Run auf das Amt an Legitimität gewinnen. Als Kandidat der dann stärksten Fraktion, so das Argument, habe er Anspruch darauf, als Erster vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung betraut zu werden. Solch ein Anspruch auf den Erstversuch steht zwar nirgendwo im Grundgesetz, entspricht auch nicht einer durch lange Dauer erhärteten parlamentarischen Tradition. Schröder glaubt nur, der verspätet errungene Platz eins mache sich gut in der Öffentlichkeit und verstärke das Druckpotenzial.

Die SPD argumentierte, CDU und CSU könnten nicht einmal als zwei Parteien und dann wieder als Fraktionsgemeinschaft auftreten. Das war ein Scheinargument, denn die Gemeinschaft bezieht sich auf den Bundestag, nicht auf die politischen Aktivitäten „im Lande“. Ferner macht die SPD geltend, sie hätte seinerzeit aus schierer parlamentarischer Zuvorkommenheit gegenüber CDU und CSU die Geschäftsordnung geändert. Darauf gibt es nur eine Antwort: Selber schuld!

Jedes Kind weiß, dass während des „Mensch ärgere dich nicht“-Spiels die Regeln nicht geändert werden. Und vor beziehungsweise nach dem Spiel bedarf es der Zustimmung aller Parteien zu neuen Spielregeln. Jetzt hat die SPD ihr Spielchen abgebrochen, aber dennoch verloren. Ihre demokratische Glaubwürdigkeit hat weiteren Schaden genommen. CHRISTIAN SEMLER

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