Debatte um Scheinväter: Das Geschäft mit dem Kind
Aufenthaltstitel gegen Geld: Viele geflüchtete Frauen bezahlen deutsche Männer für die Anerkennung von Vaterschaften.
Über seine Väter spricht Duc* nicht gern. „Meinen ersten Vater hat die Mama weggeschickt, weil er uns immer geschlagen hat“, sagt der achtjährige vietnamesische Junge. „Jetzt haben wir einen neuen Vater.“ Und dann gibt es noch Vater Nummer drei: Anders als Vater Nummer eins und zwei ist er Deutscher, und Duc hat ihn noch nie gesehen. Was Duc über ihn weiß: „Er heißt Florath*. Wie ich. Meine Mutter und meine Schwester heißen Nguyen* mit Nachnamen.“
Warum Duc gleich drei Väter hat, während seine Klassenkameraden einen oder auch mal gar keinen haben – zumindest keinen, den sie benennen können – weiß er nicht so genau. Irgendwann wird die Mutter dem Jungen erzählen müssen, dass sie einst als Asylbewerberin nach Deutschland kam und hier Zigaretten verkaufte, um den Verwandten in Vietnam Geld schicken zu können. Sie wird ihm erzählen, dass dann die große Schwester geboren wurde und die Familie aus Deutschland ausreisen sollte, weil es keinen Asylgrund gab. Sie wird Duc erzählen, dass sie zu diesem Zeitpunkt mit ihm schwanger war – und Herrn Florath fand. Der war Dauerkunde im Imbiss ihrer Freundin. Trinkkunde. Oder auch „Bankbesitzer“, wie die Freundin ihn nannte, weil er den ganzen Tag auf der Bank vor dem Imbiss saß und trank.
Herr Florath war bereit, die Vaterschaft für Duc gegen Geld anzuerkennen. Eine Win-win-Situation: Duc erwarb mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit, Herr Florath eine Einnahmequelle. Mutter, Schwester und Vater Nummer eins, der juristische Vater der Schwester, bekamen ein Aufenthaltsrecht. Über die Höhe des an Vater Nummer drei gezahlten Geldes spricht Ducs Mutter nicht. Unterhalt muss der „Bankbesitzer“ nicht zahlen, weil er selbst mittellos ist.
Der Fernsehsender RBB will von Ermittlern erfahren haben, dass Frauen bis zu 5.000 Euro für eine Vaterschaftsanerkennung an Scheinväter, Anwälte und Notare zahlen. Ein Sozialarbeiter, der nicht genannt werden will, bestätigt gegenüber der taz, dass in Einzelfällen solche Summen gezahlt werden.
Martin Steltner von der Staatsanwaltschaft spricht gegenüber dem RBB von bis zu 700 vergleichbaren Fällen in Berlin allein „in den vergangenen Monaten“. Betroffen seien Kinder vietnamesischer, afrikanischer und osteuropäischer Mütter. „Wir haben teilweise Personen, die über zehn Vaterschaften anerkannt haben“, so Steltner. Die Angaben bleiben vage. Denn die Staatsanwaltschaft hat kein Recht, zu kontrollieren, ob derjenige, der sich als Vater ausgibt, auch tatsächlich der Vater ist.
Der Staat hat sich herauszuhalten
Das hat seinen guten Grund. Denn das moderne, 1998 geschaffene Kindschaftsrecht funktioniert nach dem Grundsatz: Sind sich Mutter und Vater einig, dass sie Mutter und Vater sind, dann ist das so. Der Staat hält sich heraus. Er nimmt bewusst in Kauf, dass jemand die Vaterschaft anerkennt, der nicht der leibliche Vater ist, aber eine familiäre Bindung zum Kind hat. Damit setzt der Gesetzgeber soziale Vaterschaften den biologischen gleich.
Allerdings bietet dieses Kindschaftsrecht binationalen, nichtehelich geborenen Kindern und ihren Familien eben auch ein Schlupfloch, um an ein Aufenthaltsrecht zu kommen: Denn mit der Vaterschaftsanerkennung durch einen Deutschen erwirbt das Kind den deutschen Pass und die Mutter ein Aufenthaltsrecht auch dann, wenn gar keine soziale Vaterschaft existiert. Also verfügte der Bundestag 2008 ein Anfechtungsrecht von Behörden bei Vaterschaften binationaler Kinder. In der Praxis funktionierte das kaum: Die Behörden mussten nachweisen, dass weder eine biologische noch eine soziale Vaterschaft vorlag. Wie aber kann man eine soziale Vaterschaft ausschließen?
Im Februar 2010 sprach die Innenverwaltung gegenüber der taz von 245 Anfangsverdachtsfällen. Lediglich 29 Fälle wurden dann tatsächlich vor Gericht angefochten, mit keiner einzigen rechtskräftigen Entscheidung. Allerdings bekamen „verdächtige“ Familien kein Aufenthaltsrecht und kein Kinder- und Erziehungsgeld, solange sie nicht bereit waren, auf eigene Kosten einen Gentest durchzuführen, der zumindest Klarheit über eine biologische Vaterschaft gebracht hätte. Der Verband binationaler Familien und Vaterschaften sprach von einem Generalverdacht gegen binationale Kinder. Das sah 2013 auch das Bundesverfassungsgericht so: Seitdem dürfen keine Vaterschaften vor Gericht mehr angefochten werden. Allerdings ist gegenwärtig ein neuer Gesetzestext in Vorbereitung.
Strafbar ist eine falsche Vaterschaftsanerkennung nicht. Dennoch spricht Ole Schröder (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, im RBB von „einer erheblichen Kriminalität“, denn: „Die Scheinväter machen das ja auch, um Geld damit zu verdienen.“
Auf Kosten der Kinder
Anders als Staatsanwaltschaft und konservative Politiker wollen Sozialarbeiter nicht gern öffentlich über das Thema sprechen: Das zerstöre Vertrauen. „Die Situation vieler dieser Familien ist schwierig“, sagt ein Mann, der nicht genannt werden will. „Die Mütter arbeiten oft über das normale Maß hinaus, um die Schulden abzuarbeiten. Das geht auf Kosten der Kinder.“
Aber was wäre die Alternative für die Frauen? Der Sozialarbeiter weiß, dass in der vietnamesischen Kultur – und das ist in afrikanischen und osteuropäischen Kulturen nicht anders – die Familie einen hohen Stellenwert hat. Wie verzweifelt muss eine Frau sein, um ihre Umwelt und sogar die eigenen Kinder über die Abstammung zu täuschen, fragt er.
Eine andere Sozialarbeiterin weiß von Fällen, wo Vietnamesinnen vor dem Karlsruher Urteil von 2013 sich Kinder von Deutschen zeugen ließen, die die Vaterschaft als willkommene Einnahmequelle sahen. „Selbstverständlich haben die Frauen die Männer auch für den Sex bezahlt“, sagt die Sozialarbeiterin.
Die Vietnamesin Nga* erzählt, während ihres Studiums in Berlin sei ihr immer wieder von einem Deutschen bezahlter Sex angeboten worden. „Bezahlen sollte natürlich ich, damit ich ein Kind und ein Bleiberecht erhielt“, sagt sie. „Ich ekelte mich vor dem Mann, aber ich weiß, dass andere Frauen das akzeptierten.“
*Namen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln