Links gegen links In Antiimperialisten auf der einen und Antinationale und Antideutsche auf der anderen ist die radikale Linke gespalten. Beim G-20-Protest treten die Widersprüche in den Hintergrund: Die Gräben bleiben
von Georg Kirsche-Humboldt
Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin und Donald Trump: Diese Reiznamen mobilisieren zum G20-Gipfel Zigtausende DemonstrantInnen auf Hamburgs Straßen – die Polizei rechnet mit Tausenden gewaltbereiten Autonomen. Kann die Gästeliste mit reaktionären und autoritären Staatschefs ein Zusammenrücken der radikalen Linken bewirken? Wird der Besuch des rechtsradikalen US-Präsidenten oder des türkischen Diktators mit islamistischen Großmacht-Ambitionen dazu führen, dass sich im Juli sogar jene linken Lager verbünden, die sonst verfeindet sind? Und das ausgerechnet in Hamburg?
Der Konflikt zwischen Antideutschen und Antiimperialisten war an wenigen Orten so heftig eskaliert wie in Hamburg. 2009 hatten Antiimperialisten gewaltsam die Vorführung des Films „Warum Israel“ von Claude Lanzmann verhindert. Eine Demo und ein breites Bündnis verurteilten damals den „Antisemitismus von links“. Der Vorfall prägt das Verhältnis der Hamburger Linken bis heute.
Auch ein G20-Gipfel wird den Graben zwischen antiimperialistischem und antideutschem Lager sicher nicht überbrücken, denn er beruht ja nicht auf Missverständnissen: Erstere knüpfen weiter an nationale Befreiungskämpfe „kolonial ausgebeuteter Völker“ an, letztere kritisieren die spezifisch deutsche Variante des Kapitalismus und sehen die Welt immer als eine nach den deutschen Verbrechen in Auschwitz. Am deutlichsten wird die Differenz in der Haltung zum Nahostkonflikt: Antideutsche solidarisieren sich mit Israel als Staat der Holocaust-Überlebenden; Antiimperialisten schlagen sich auf die Seite der Palästinenser als Opfer kolonialer Enteignung.
Gipfelproteste sind immer auch ein Schaulaufen der Bewegungslinken. Am 2. Juli rufen Greenpeace, Campact und der DGB zu einer familienfreundlichen „Protestwelle“ auf, um die G20-Staatschefs eine Woche vor dem Gipfel noch schnell von einer faireren Politik zu überzeugen.
Am anderen Ende der Konfliktskala rufen autonome Antikapitalisten für den Abend des 6. Juli zum Aufstand unter dem Motto „G20 – Welcome to Hell“ auf. Dazu mobilisiert nun sowohl das eher antiimperialistisch orientierte Bündnis G20-Entern, das in seinen Texten weder Trump noch Erdoğan namentlich erwähnt, wie auch das antinationale „Ums Ganze“-Bündnis. Das ist im linken Koordinatensystem dem anderen Lager zuzuordnen und betrachtet die G20-Gäste als zwar „wichtigste“, aber eben doch nur „Charaktermasken des globalen Kapitalismus“. Verbindend ist die Systemkritik an der kapitalistischen Herrschaft.
Aber es gibt auch Grenzen der Toleranz: Wohl kaum wird sich jemand aus dem antinationalen oder antideutschen Lager auf Veranstaltungen verirren, zu denen die Gruppe „Bildung ohne Bundeswehr“ vor dem G20-Gipfel mit Unterstützung der Lehrergewerkschaft GEW eingeladen hat, um gegen den „westlich-imperialistischen Block“, „permanenten Krieg“ oder gegen die Delegitimierung Putins und Assads zu mobilisieren.
Auch soll es statt eines gemeinsamen zwei Camps für die Übernachtung geben: Während auf dem Antikapitalistischen Camp gar keine Fahnen erlaubt sind, wollen die Organisatoren des „spektrenübergreifenden“ Camps, das im Altonaer Volkspark Antikapitalisten wie Globalisierungskritiker beherbergen soll, keine inhaltliche Ausrichtung vorgeben. Ein Mitorganisator des G20-Entern-Bündnisses erklärte, der Streit um Fahnen sei eine deutsche Besonderheit. GenossInnen aus dem Baskenland etwa sei nicht zu vermitteln, warum sie ihre Nationalflagge nicht zeigen dürfen.
Am 8. Juli aber werden alle zusammen auf die Straßen gehen. Unter anderem rufen Gruppen wie Attac, die Linkspartei und die Interventionistische Linke (IL) dazu auf, möglichst nah an den Ort des Gipfeltreffens zu marschieren. Ähnliches versucht die IL schon am Tag zuvor, wenn es unter dem Motto „BlockG20“ rund um die „rote Zone“, also den engsten Sicherheitsbereich, Aktionen geben soll.
Das IL-Bündnis hat sich dabei auf die Rolle der Bewegungsmanager festgelegt: Unter dem politisch kleinstmöglichen Nenner geht es gegen globale Ausbeutung, Rassismus, Antisemitismus und für gesellschaftliche Emanzipation. Nicht die Unterschiede in der Linken wolle man stark machen, sagt IL-Sprecherin Emily Laquer, sondern sich für einen „neuen Aufbruch“ einer Opposition jenseits von Neoliberalismus und Festungskapitalismus engagieren. Selbstverständlich gehe es aber auch um Kritik an Gipfel-Gästen wie Trump.
Von letzterer will sich das „Ums Ganze“-Bündnis indes abgrenzen. Mit einer Blockade des Hamburger Hafens am 7. Juli sollen die Logistikketten des Kapitalismus symbolisch unterbrochen werden. „Mit Appellen an die Mächtigen ist dem nicht beizukommen“, heißt es in dem Aufruf. Die Idee, „die Logistik der Produktion“ anzugreifen, weil sie „ein notwendiges Element in der Realisierung des Mehrwerts“ ist, findet nicht nur Zustimmung: Lars Quadfasel, Autor der Zeitschrift Konkret, nennt es „originell“, den Hafen lahmlegen zu wollen in Zeiten, in denen Trump mit Positionen gegen den Welthandel eine Wahl gewinnt. Vertreter der antiimperialistischen Fraktion befürworten das Projekt zwar, aber nur, weil es Polizeikräfte binde. Von einer symbolischen Aktion gegen einzelne Betriebe versprechen sie sich wenig.
Neben dieser eigenen Aktion ruft „Ums Ganze“ am 8. Juli ebenfalls zur Großdemo auf. „Auch wenn uns einiges stinkt, was dort vertreten wird, müssen wir die Leute von der richtigen Kritik am falschen Ganzen überzeugen“, erklärt ein Sprecher.
Die Vorstellung, in der Aktion Kritik üben zu können, ist für Thomas Ebermann ein „Selbstbetrug“. Der Hamburger hat in den vergangenen Jahrzehnten manches linke Zerwürfnis miterlebt, gründete einst die Grünen und verließ sie wegen reformistischer Tendenzen wieder. Er zählt bis heute zu den beachteten Stimmen der antinationalen Linken. „Es gibt keine reine Haltung im Handgemenge“, sagt er.
Ihn lockt der G20-Gipfel gar nicht erst auf die Straße – er wird wie jedes Jahr im Sommerurlaub sein. Mit Leuten, die den vermeintlich guten alten rheinischen Kapitalismus gegen „böse Heuschrecken“ in Stellung brächten, will er auch gar nicht auf eine Demo. Wie manche Globalisierungskritiker das produzierende Kapital von den „bösen Banken“ und dem internationalen Finanzkapital zu unterscheiden, ist für ihn „der Kern aller möglichen antisemitischen Mythen“ und ein „Scharnier zur Querfront“ mit Rechtsradikalen.
Und Trump, Putin, Erdoğan? Ebermann sieht die Gefahr, dass sich die Linke mit einem Verweis auf die faschistoide Entwicklung eher entradikalisiere. Weil die Lage bedrohlicher werde, müsse man selbst ja nicht gleich ins Kostüm des Bürgerlich-Liberalen schlüpfen.
Lars Quadfasel bewertet die Rolle des neuen US-Präsidenten indes anders. Er ist Mitglied der Hamburger Studienbibliothek, die sich der Tradition der kritischen Theorie verschrieben hat und vom politischen Gegner dem antideutschen Lager zugerechnet wird. Quadfasel hat in der Zeitschrift Konkret das Phänomen Trump analysiert. Der sei ein „Reality-TV-Mussolini“, in dessen Wahl sich eine Verachtung der Zivilisation ausdrücke und der drohe, das Rad in Richtung Barbarei weiterzudrehen.
Ein Grund für Quadfasel, im Juli auf die Straße zu gehen? Er habe sogar überlegt, auf der großen Demo einen „zivilisatorischen Block“ zu bilden, sagt er. „Auch Erdoğan sollte wütend empfangen werden“, sagt Quadfasel, „aber nicht, weil er zufällig am G20-Gipfel teilnimmt, wo der Kapitalismus koordiniert wird, sondern weil er in der Türkei ein islamistisches Regime errichtet“. Letztlich aber fürchtet er, dass seine Kritik in der Gipfel-Folklore untergeht und er von beiden Seiten – der Polizei und den anderen Demonstranten – eins auf die Nase bekomme: Quadfasel wurde wegen seiner israel-solidarischen Positionen schon körperlich angegriffen.
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