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Constantin Seibt über MedienvielfaltMehr Mainstream, bitte

Der Mitgründer des digitalen Magazins „Republik“ über Texte wie Gemüse, Guerillataktiken in Presseschlachten und das Faustrecht im Internet.

Nicht nur Katzen bringen Klicks, sondern auch Hintergrundgeschichten Foto: reuters
Interview von Gina Bucher

taz: Mit eurem Credo „Keine Demokratie ohne Journalismus“ habt ihr innerhalb weniger Tage viel Geld gesammelt und über 11.905 Verleger*innen gewonnen. Was sagt dieser Erfolg darüber aus, was Leser*innen wollen?

Constantin Seibt: Leser*innen, egal welchen Alters oder welcher Stellung, sind grundsätzlich neugierig – deshalb lesen sie ja. Und offensichtlich ist falsch, was viele Verlage behaupten: dass den Leuten nichts fehle und sie mehr oder weniger alles lesen wollen. Man sieht das an den Klickzahlen: die Leute klicken Katzenbilder, kleine Skandale und Sexsachen.

Noch mehr aber die langen Hintergrundtexte. Das heißt: Sie ernähren sich eigentlich sehr vernünftig. Sie wählen das Dessert und das Steak. Und ignorieren das Gemüse dazwischen. Aber lange und argumentativ saubere Artikel werden stark geteilt. Man kann also den Leser*innen durchaus vertrauen.

Eure Chancen und Risiken als Alternativmedium?

Auch wenn wir gerade einen Weltrekord im Crowdfunding aufgestellt haben, ist die Ausgangslage natürlich furchterregend: Wir treten mit rund 15 Leuten gegen 150-köpfige Redaktionen an. Und haben unseren Lesern und Leserinnen versprochen, regelmäßig besser sein. Die einzige Chance, das zu erreichen, ist die Guerilla-Taktik. Das heißt: Die Redaktion muss die Schlachtplätze sorgfältig wählen, dort aber in Überzahl auftreten.

Im Interview: Constantin Seibt

1966, ist ein Schweizer Journalist und Autor. Er ist Mitgründer des digitalen Magazins „Republik“, eines Journalisten-Startups, das sich über Crowdfunding finanziert.

Als Alternativmedium hat man nur zwei Strategien: Man sucht exotische Schauplätze und ist dort exklusiv. Oder man geht dorthin, wo alle anderen sind – ins Bundeshaus, nach Washington, ins Sillicon Valley, und versucht dort konsequenter, hartnäckiger, ideenreicher zu sein als die große Konkurrenz.

Wir werden entschieden letztere Option wählen. Wir müssen bei den großen Themen, Fragen, Debatten einen Unterschied machen.

Was muss Gegenöffentlichkeit heute?

Ich glaube, Gegenöffentlichkeit bedeutet heute in ihrer radikalsten Form, dass man versucht den Mainstream ernsthaft wieder herzustellen. Alle möglichen Leute – links wie rechts – versuchen sich derzeit vom Mainstream abzugrenzen.

Benno Ohnesorg liegt blutend auf dem Boden, Friederike Hausmann beugt sich über ihn
50 Jahre gegen den Strom

2. Juni 1967: Ein Schuss tötet den Demonstranten Benno Ohnesorg. Dieses Datum markiert den Beginn einer bis heute geführten Debatte über Gegenöffentlichkeit, über die Medien, über Wahrheit und Lüge, oder, wie man heute formulieren würde, über Fake News und alternative Fakten, über Verschwörungstheorien, bürgerliche Zeitungen und alternative (auch rechte) Blätter, über die „Wahrheit“ und die Deutungshoheit gesellschaftlicher Entwicklungen. Nachdenken über 50 Jahre Gegenöffentlichkeit: taz.gegen den stromDie Sonderausgabe taz.gegen den strom – jetzt im taz Shop und auf www.taz.de/gegenoeffentlichkeit

Es braucht aber eine gemeinsame Grundlage aus Werten, Ideen und anerkannten Fakten, um überhaupt zu debattieren, sich zu streiten, seine Interessen zu vertreten. Es ist wichtig, dass eine Gesellschaft darüber nachdenkt bis wo man gehen kann – und ab wo es nicht mehr in Ordnung ist.

Gerade auch, was das Netz betrifft, wo die ganze Debatte und Umgangsregeln noch lange nicht festgelegt sind. In weiten Gebieten herrscht noch Faustrecht wie einst im Wilden Westen. Unter Gegenöffentlichkeit verstehe ich deshalb, dass man die Tradition neu erfindet, die man dann energisch verteidigt.

Man kann zwar heute sämtliche radikale Positionen formulieren. Das große Ganze aber, das Gemeinwohl zu vertreten, das ist eine echte intellektuelle Herausforderung.

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1 Kommentar

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  • Zitat: „... die Ausgangslage [ist] natürlich furchterregend: Wir treten mit rund 15 Leuten gegen 150-köpfige Redaktionen an.“

     

    Es würde mich sehr wundern, wenn ausgerechnet im Medienbetrieb „150-köpfige Redaktionen“ entscheiden würden über die „Speisekarte“, die geboten wird, und nicht die Chefredakteure. Noch mehr wundern aber würde ich mich, würden die „Entscheidungsträger“ nicht auch im Medienbetrieb vielfach gegen die Auffassung ihrer Untergebenen entscheiden – und manchmal sogar gegen ihre eigenen Überzeugungen.

     

    Die „Republik“-Redaktion muss keineswegs „die Schlachtplätze sorgfältig wählen, dort aber in Überzahl auftreten“. Sie braucht auch keine „exotische[n] Schauplätze“ suchen, nicht „exklusiv“ sein oder wenigstens „konsequenter, hartnäckiger, ideenreicher“ als „die große Konkurrenz“. Sie bräuchte sich vor überhaupt nichts fürchten, wäre sie imstande, sich die Solidarität derer zu sichern, die sich von ihren Vorgesetzten übergangen fühlen.

     

    Das ist zwar auch eine „Guerilla-Taktik“, aber eine völlig andere. Zudem ist es eine, die gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt. Man muss als Redaktion nämlich wirklich anders „ticken“ als die Etablierten. Man muss dazu imstande sein, sein Ego mit dem anderer Leute abzugleichen. Man muss sich als wirklich gleichberechtigter Teil einer Gemeinschaft begreifen können, und darf nicht unbedingt als Primus inter pares glänzen wollen, um mit sich selber irgendwie klar zu kommen.

     

    „Den Mainstream wieder herzustellen“, ist im Übrigen eine seltsame Aufgabenstellung. Andere zu übergehen, wenn man das kann, ist beispielsweise grade Mainstream. Vernünftig ist es aber nicht. Vernünftiger wäre, den „Mainstream“ nicht zugleich ausbeuten und sprengen zu wollen.

     

    Ja, es braucht „eine gemeinsame Grundlage aus Werten, Ideen und anerkannten Fakten“. Diese Grundlage aber kann man nicht verordnen. Sie muss aus der Gemeinsamkeit heraus wachsen, sonst trägt sie nicht, Weltrekord hin oder her.