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Berliner KolonialgeschichteDiskriminierung mit langer Tradition

Die Kolonialzeit hat Spuren im Stadtbild hinterlassen. Eine Ausstellung macht sichtbar, wie ein Berliner Bezirk in die Kolonialpolitik verwickelt war.

Souvenir von der „Völkerschau“ 1907 in Friedenau: Die Postkarte sollte Begeisterung für die Kolonialpolitik wecken Foto: Historische Sammlung edition Friedenauer Brücke

Kürzlich stiegen weiße Drachen über dem Tempelhofer Feld empor. Nun sind sie im Schöneberg Museum gelandet. Dort schweben sie in einem mintgrün gestrichenen Raum. Auf einigen der mit Stoff bespannten Gestelle sind Porträtaufnahmen von Schwarzen Frauen abgebildet. Es handelt sich um historische Fotos von Frauen, die in den deutschen Kolonien lebten.

Nur wenige Geschichten jener Frauen sind dokumentiert, die von Männern sind häufiger zu finden. Das haben die Künstlerinnen Anaïs Héraud-Louisadat und Nathalie Anguezomo Mba Bikoro herausgefunden. Deshalb möchten sie mit ihrer Installation besonders an Frauenschicksale erinnern. Ihr Werk ist Teil der Ausstellung „Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“, die heute Abend im Schöneberg Museum eröffnet.

„Wir als Bezirksmuseum wollen zeigen, dass Kolonialgeschichte nichts Abstraktes ist, das schon lange vorbei ist, sondern dass man auch heute noch Spuren im Bezirk findet“, erklärt Irene von Götz, Kuratorin der Ausstellung. So stehen die unbedruckten Drachen symbolisch für die Lücken, die die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit in Deutschland prägen. „Mein Eindruck ist, dass das noch immer ein Randthema ist“, sagt von Götz. Darüber, welche Folgen dieser Abschnitt der Geschichte bis heute hat, denke kaum jemand nach.

Um die koloniale Vergangenheit des Bezirks greifbar zu machen, hat von Götz eine Forschungswerkstatt gebildet. Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen, Studierenden und Mitarbeiter*innen des Museums ist sie auf Spurensuche gegangen. Ihre Fundstücke werden in der Ausstellung präsentiert und künstlerisch kommentiert. Denn auch die Bewohner*innen der damals selbstständigen Stadt Schöneberg und der Landgemeinde Tempelhof profitierten von der deutschen Kolonialpolitik. Sie kauften Kaffee, Tabak und Kakao in Kolonialwarenläden oder sahen sich Jagdfilme aus den Kolonien im Kino um die Ecke an.

Schwarze Menschen mit Baströcken wurden wie Zootiere in Käfigen ausgestellt

Die Forscher*innen fanden auch Spuren von Schwarzen Migrant*innen, die im heutigen Bezirk lebten. Wie die Biografien der Schwarzen Menschen in den Kolonien weisen jedoch auch ihre Geschichten Lücken auf. Afrikaner*innen migrierten aus verschiedenen Gründen ins Deutsche Reich: zum Beispiel, um eine Ausbildung zu beginnen, als Missionsschüler oder als Dienstpersonal des wiedergekehrten deutschen Militärs. Andere blieben im Land, nachdem sie in sogenannten „Völkerschauen“ aufgetreten waren.

Safari-Romantik in Berlin-Friedenau

„Völkerschauen“ wurden auch im heutigen Tempelhof-Schöneberg veranstaltet. Von Mai bis September 1907 fand eine große Kolonialausstellung in Friedenau statt, wo sich lokale Unternehmen aus der Kriegsindustrie präsentierten. Zu dieser Messe gehörte auch ein „Vergnügungspark“, in dem der deutschen Bevölkerung das Bild vom vermeintlich typischen Leben in den Kolonien vermittelt werden sollte: Schwarze Menschen mit Baströcken und Trommeln wurden dort unter dem Motto „Wild Afrika“ wie Zootiere in Käfigen ausgestellt und herabgewürdigt.

Um Besucher*innen anzulocken, hatten sich die Veranstalter der Kolonialmesse eine besondere Attraktion überlegt. In einem Fotoatelier ließen sie Safari-Romantik aufkommen: Vor Zelten und auf einem in Lebensgröße nachgebauten Elefanten konnten sich die Gäste als Angehörige der deutschen Kolonialmacht inszenieren und die entstandenen Fotos als Souvenir mit nach Hause nehmen. So sollte in der Gesellschaft Begeisterung für den Kolonialgedanken entfacht werden.

Kolonialmigrant*innen wurden auch außerhalb der Menschenausstellungen exotisiert und diskriminiert. Aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse mussten viele Sozialleistungen beantragen und dafür immer wieder bei der zuständigen Behörde in der Martin-Luther-Straße in Schöneberg vorstellig werden und sich erniedrigen lassen. „Wie muss es gewesen sein, wenn man zu der Zeit als Kolonialmigrant oder Kolonialmigrantin gelebt hat?“, fragt von Götz. Mit ihrem Team hat sie versucht, Schicksale von Männern zu dokumentieren, die in Tempelhof und Schöneberg lebten.

Die Ausstellung

Im Museum: Die "Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg" wurde von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert. In der Ausstellung werden historische Dokumente durch Kunstinstallationen ergänzt. Die Eröffnung findet am Donnerstag, 18. Mai 2017, um 19 Uhr im Schöneberg Museum statt. Dort ist die Ausstellung bis zum 3. Oktober 2017 zu sehen.

Das Begleitprogramm: Kostenlose Veranstaltungen wie kolonialhistorische Stadtspaziergänge liefern weitere Einblicke in die Kolonialgeschichte des Bezirks. Anlässlich des Internationalen Museumstags am Sonntag, 21. Mai 2017, finden um 14.30 und 16.30 Uhr Führungen durch die Ausstellung statt. Zusätzlich werden Workshops für Schulklassen angeboten. (roe)

Diskriminierung erleben Schwarze Menschen auch heute noch. Im Februar äußerte eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen Besorgnis über die Lebenssituation Schwarzer Menschen in Deutschland. Auch eine der Künstlerinnen des Projekts habe berichtet, dass ihr im Alltag in Berlin viel Rassismus begegne, erzählt von Götz. Solche Kontinuitäten wie die Verwendung diskriminierender Sprache oder stereotype Darstellung von Schwarzen Menschen in Medien sollen im Schöneberg Museum sichtbar werden.

Weil die deutsche Kolonialgeschichte kaum in Schulen oder Universitäten behandelt würde, fehlten bei vielen Grundkenntnisse, so von Götz. Deshalb werde die Rolle des Deutschen Reichs als Kolonialmacht häufig negiert. Dabei war Berlin ein wichtiges Zentrum nicht nur der deutschen Kolonialpolitik: Hier fand zwischen 1884 und 1885 die sogenannte Afrika-Konferenz statt, auf der die europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten.

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1 Kommentar

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  • Es wäre schön, wenn Ihr zu einem solchen Beitrag auch eine Adresse veröffentlichen könntet! Das wird bei der taz regelmäßig vergessen.