: Ist alles so schön bunt hier!
UNTERSCHIEDEWeltparcours, Fühlkästen, Sprachstation, Kleiderboutique und Mini-Philosoph Knietzsche:In „1, 2, 3 Kultummel“, der neuen Ausstellung im Labyrinth Kindermuseum, geht es um die Vielfalt in der Welt
von Sylvia Prahl
Auf dem Weg zu „1, 2, 3 Kultummel“, der Ausstellung im Labyrinth Kindermuseum mit dem Vielfalter als Maskottchen, überlegen meine Kinderreporterinnen C. und G., beide sieben Jahre, zusammen mit mir, was Vielfalt eigentlich bedeutet. Und genau das ist der Witz: Vielfalt lässt sich nicht exakt bestimmen und bestimmt doch die Welt. Die Gründe, warum Menschen an einem bestimmten Ort leben, sind vielfältig, vielleicht waren sie schon immer da, sind freiwillig gekommen oder geflüchtet. Ihre Art zu leben, sich zu kleiden, zu essen, ihr Aussehen ist auch ganz unterschiedlich.
Ein kleines Schild am Eingang der Ausstellung bringt die Sache dennoch auf den Punkt: „Vielfalt heißt, dass es von etwas, das gleich ist, ganz viele Verschiedene gibt.“ Menschen, Tiere oder Pflanzen und auch manche Dinge: Von allen gibt es unzählige, aber alle sind einzigartig. Ein Ziel der Ausstellung sei, Kindern – die mit Vielfalt ohnehin intuitiv selbstverständlich umgehen – den unermesslichen Wert von Vielfalt auch bewusst zu machen und die positive Grundhaltung zu bestärken, sagt Brigitte Steiner vom Labyrinth Kindermuseum.
Steiner begleitet uns durch die Ausstellung, die im lichten Erdgeschoss der ehemaligen Zündholzmaschinenfabrik an der Osloer Straße im Wedding als Weltparcours konzipiert ist und die Besucher*innen einlädt, auf allen sechs Kontinenten Station zu machen. In der „Willkommensstation“ wird in einem Schaubild erläutert, wie sich die Menschen über die Kontinente ausgebreitet haben. G. und C. nehmen den theoretischen Überbau nur am Rande zu Kenntnis, sie sind schon in „Afrika“, der Wiege der Menschheit.
An dieser Station geht es um unterschiedliches Aussehen und darum, wie man sich selbst sieht und von anderen gesehen wird. Die Mädchen voguen vor dem Spiegel, singen Bibi-&-Tina-Hits dazu, malen Selbstporträts und basteln mit Kettchen erstaunliche Nasen an ausliegende Zeichnungen. Wir stellen fest, dass G. römische Füße hat (große und zweite Zehe sind gleich lang), aber es muss schnell weitergehen. In „Asien“ stehen Rollkoffer parat, die von G. und C. kurzerhand bobbycarmäßig umgenutzt werden. Sie düsen durch die Halle, Garderobe inklusive. Das „Sockenspiel“ oder „Ich packe meinen Koffer“ werden auf später verschoben.
In „Europa“ können Kinder die Vielfalt von Kleidung erleben und – wenn sie die Barcodes, die auf einigen Klamotten angebracht sind, unter den Scanner halten – sich kindgerecht kritisch über die Produktionsbedingungen von Kleidung informieren. Geräusche aus aller Welt sind zu hören und olfaktorische wie haptische Vielfalt ist in kleinen Fühlkästen zu erleben. Von glatt, flauschig und süß ist alles dabei, G. gefällt „schwabbelig“ am besten. Auf dem Koffer rollend erklärt sie, dass die Kontinente Wohnungen sind. Sie sei Taxifahrerin und müsse gleich zum Essen. Das hat C. derweil auf der Empore gekocht: Sushi mit Huhn.
Gleich daneben in der „Sprachstation“ können ältere Kinder die Herkunft von Sprachen erforschen und Sprachentwicklungen nachvollziehen, während die Kleinen mit Schaumstoffklötzen „arbeiten“. In der „Küche“ kann man Dosen über den Scanner ziehen und bekommt dann Infos über Kichererbsen oder über Faserbananen, die nicht essbar sind, sondern aus denen T-Shirts hergestellt werden. Oder man errechnet, welche Entfernung die Zutaten des eigenen Lieblingsessen zurückgelegt haben, bis sie bei uns auf dem Tisch landen. Bei einem Steckspiel lernen wir, dass die ersten Sneaker 1860 in England hergestellt wurden. Im „Lampenladen“ sind dann Heimatgeschichten zu hören und es wird beleuchtet, was Heimat für Kinder bedeutet.
Die häufigste Antwort, egal woher die Kinder stammen: meine Familie. Die befragten Kinder nehmen am Projekt „Vielfalt-Forscher“ teil. Kinder mit und ohne Fluchthintergrund stellen im Rahmen des 2016 entstandenen und von Brigitte Steiner betreuten Projekts Überlegungen an zu Aspekten wie Sprache, Aussehen und Gefühle. Die Ergebnisse fließen regelmäßig in die Ausstellung ein, die sich laut Steiner auch permanent weiterentwickeln soll. Sie freut sich ganz besonders darüber, dass die Kinder aus den benachbarten Notunterkünften das Museum als eine Art Zuhause angenommen haben.
Wer von der aktiven Vielfaltsforschung eine kurze Pause einlegen möchte, setzt sich in die Wandelbar und lässt sich von Mini-Philosoph Knietzsche die Welt erklären oder schaut einen Film über ein geflüchtetes Mädchen. Die bis ins kleinste Detail durchdachte Ausstellung befeuert die Fantasie in alle Richtungen, und der „Vielfalter“ als Maskottchen könnte passender kaum sein: der Falter, der die Blüten bestäubt und zum Fortbestand der Art – und damit zur Vielfalt – beiträgt. Aber das ist auch schon wieder zu theoretisch. G. und C. finden die Ausstellung prima, weil „man überall so gut spielen kann. Und das Beste waren die Rollkoffer!“
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