Release Konzert: Charmant eiernde Musik
Lætitia Sadier kommt am Dienstag mit ihrem Musikerkollektiv Source Ensemble und einem neuen Studioalbum in die Kantine am Berghain.
Sie ist so etwas wie die Großcousine, die man inzwischen nur noch selten sieht, nachdem man in jungen Jahren so auf sie gestanden hat. Man hat deswegen alle Platten gekauft, auf denen sie sang. Oder besser, fast alle, denn alle zu kaufen war unmöglich, vor allen Dingen bei kleinem studentischen Budget.
Sie war einfach zu produktiv. Und jetzt, nachdem man sie ein wenig aus den Augen verloren hat, ist sie wieder da, steht auf der Schwelle und lächelt scheu. Sie hat neue Musik mitgebracht, die sich nicht vor Exotischem scheut und die mir gleichwohl gefallen will. Wie früher, nur ein bisschen anders.
Sie, das ist Lætitia Sadier, eine in Vincennes geborene Französin, die es am Ende ihrer Jugend in der Subkulturwüste von Paris nicht länger ausgehalten hat und lieber ins umtriebige England zog. Dort traf sie Tim Gane, um mit ihm Stereolab zu gründen, eine Band, die vor allem in den frühen neunziger Jahren wegweisende, wohlklingende und immer experimentierfreudige Musik gemacht hat.
Und die es nach dem Ende von gemeinsamer Ehe und Band – eine Trennung, die in Indiehausen nicht so hohe Wellen schlug wie die von Kim Gordon und Thurston Moore, aber ähnlich einschneidend war (nicht nur, weil auch hier ein gemeinsames Kind im Spiel war) – auf Solopfaden versucht. Als klassische Chansonniere, als eine Art Astrud Gilberto des Indiepops, stets etwas feinsinnig und mit einem feinen Hang zur Melancholie. Und auch immer etwas spröde.
Lætitia Sadier Source Ensemble: Kantine am Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 2. 5., 20 Uhr, Tickets 14,50 €, www.berghain.de
Jetzt ist sie also wieder da und spielt mit Begleitband am Dienstag in der Kantine am Berghain auf. Die Begleitband, in der sich viele befreundete Musiker versammeln, firmiert unter dem Namen Source Ensemble. Mit ihr hat sie auch ihre vierte Platte als Solistin aufgenommen: „Finding Me Finding You“ (Drag City/Cargo).
Sie klingt so wie viele von sowieso zu vielen Stereolab-Platten: schön verdreht, gut verspult, dabei mehr den French Pop respektive Chansoncharakter betonend. Den Shoegaze und den Neokrautrock überlässt Lætitia Sadier inzwischen lieber ihrem Exmann – der mit Ex-Stereolab-Schlagzeuger Joe Dilworth unter dem Namen Cavern Of Anti-Matter derweil in Berlin in Ruhe seine Neu!- und La-Düsseldorf-Verehrung weiterspinnt.
Vielleicht ist Sadier mit der Zeit noch sanfter geworden, als sie es ohnehin schon war. Die Unglücksfälle aus der Stereolab-Zeit sind verwunden (Co-Sängerin und Organistin Mary Hansen starb 2002 bei einem Verkehrsunfall), die gescheiterte Ehe verarbeitet, die Politik ins Nebensächliche gestellt. Zeit, neue Töne zu finden, neue Gefühle auszuloten. Die Großcousine trinkt Tee auf der Terrasse mit Blick auf den dunkelgrünen Garten. So wäre ungefähr das Bild.
Dazu wird sie in dem besonders schönen Duett „Love Captive“ von Alexis Taylor von Hot Chip begleitet, dem vielleicht einzigen Verweis auf so etwas wie Aktualität auf dem Album. Musikalisch hat sich das Klangspektrum in Richtung Brasilien ausgedehnt. Es klingt nach Martin-Denny-Platten, nach Exotica Jazz, nach Fahrstuhlmusik aus dem Amazonasbecken.
Hier und da wird auf Holz geklopft, Triangel und Xylofon kommen zum Einsatz, dazwischen Gesäusel und Gesumm. Ein beschwingter Ritt durch dunkelgrüne Landschaften vom heimischen französischen Garten aus, Hauptsache, die Kopfhörer sind groß genug.
Aber das war schon bei Stereolab das Prinzip: Man huldigte einem schon aus den sechziger Jahren ausgeliehenen und immer hypnotisch wirkenden Retrofuturismus, der dann mit allerlei Querverweisen und Zitaten aus anderen Popuniversen erweitert wurde: Krautrock, Psychedelia, Easy Listening, Jazz, Chanson.
So klangen Stereolab-Platten einerseits irgendwie immer wieder gleich, nämlich trudelnd, spiralförmig, aber andererseits in sich auch immer wieder anders – das einzige Mal, wo mit diesem Prinzip etwas schieflief, war ausgerechnet auf der Platte, bei der sich Stereolab mithilfe von Mouse on Mars an einem Anschluss zur Electronica-Avantgarde versuchten („Dots and Loops“, 1997).
Und nicht selten uferten die Gästelisten ihrer Platten genauso ins Endlose aus – Freundschaften zu befreundeten Bands wurden gern gepflegt. So gab es Verknüpfungen zu Bands wie Sonic Youth, Mouse on Mars, Tortoise, High Llamas, The Sea and Cake, um nur ein paar zu nennen.
Ganz bei sich waren die Eheleute Gane/Sadier also nie. Und Lætitia Sadier, die im letzten Jahrzehnt lange Mühe hatte, sich vom Erbe der Band zu lösen, und die unter dem Namen Monade eher verzichtbare Platten gemacht hat, die klangen wie die zahlreichen Kompilationen, die es von entlegenem Stereolab-Material gibt, hat ihren eigenen Stil gefunden. Und genießt eine Freiheit, die sie bei Stereolab nicht hatte: Jetzt kann sie auch die Musik schreiben, nicht nur Text und Gesangsmelodie.
Also die Meisterin der charmant eiernden Musik, die Großcousine aus der musikalischen Kosmosverwaltung, die Sängerin der ewig sympathischen Nerd-/Liebhaberband Stereolab, die Frau mit dem hübschen Namen Lætitia Sadier, übrigens unterdessen auch schon 48 Jahre alt, strickt also unermüdlich weiter an ihrer Musik. Wem die Platten vielleicht zu spröde sind, sollte sich zum Konzert trauen. Denn Sadier hat durchaus Präsenz; und nicht nur, weil sie die Maracas live noch eindrücklicher schüttelt als auf Platte.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
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