piwik no script img

Reproduktionsmedizin mit LämmchenNicht so mutterverdienstkreuzmäßig

Forscher lassen Lämmer in künstlichen Gebärmüttern heranwachsen – eine Sensation. Kritiker sehen Mutter Natur ins Handwerk gepfuscht.

Da werden selbst Mutterkreuz-Verteidiger weich Foto: dpa

Wir sind der geballten Kuscheligkeit von Lämmchen praktisch wehrlos ausgeliefert. Nicht umsonst inszeniert sich der alternde Menschenfeind Silvio Berlusconi plötzlich für eine Tierschutzkampagne gegen deren Schlachten. Für die absurde Forderung, dem gerade erst endlich wieder nach Deutschland zurückkehrenden Wolf gleich mit der Wumme entgegenzutreten, müssen auch stets Lämmer herhalten, denn wem zuckte nicht gleich der Finger am Abzug bei dem Gedanken an ein staksiges kleines Wollhäufchen, das sich mit angstgeweiteten Augen vor dem großen bösen Wolf ins Gras duckt. Und denken Sie nur an „Das Schweigen der Lämmer“ des gerade verstorbenen Jonathan Demme!

Haben die Forscher der Universität Philadelphia deswegen ausgerechnet Jungschafe gewählt, die sie in eher befremdlich wie Gefrierbeutel anmutenden künstlichen Gebärmüttern heranwachsen ließen? Um den emotionalen Widerstand, der viele Menschen bei solcherlei Forschung stets befällt, ein wenig abzumildern?

Dabei ist den Neonatologen offenbar Bahnbrechendes gelungen: Über Wochen ließen sie Lamm-Frühchen in „Bio-Bags“ heranwachsen. Das sind mit einigem apparativen Aufwand unterstützte Beutel, die die Versorgungs- und Schutzfunktion der Gebärmutter imitieren. Das absehbare praktische Ziel der Forschung ist es, menschliche Frühchen besser durchzubringen. Denn erfolgt die Geburt deutlich zu früh, ist das Leben eines Kindes oft nicht zu retten, selbst wenn es an sich organisch gesund ist.

Für die Eltern häufig ein traumatisches Erlebnis, für die Mediziner eine bleibende Herausforderung. Da liegt der Gedanke, statt eines luftgefüllten Brutkastens ein Behältnis mit einer Nährflüssigkeit zu wählen, durchaus nahe. Denn vor der 23. Schwangerschaftswoche ist die Lunge auch mit medizinischen Tricks noch nicht weit genug ausgereift, um Sauerstoff aus der Luft aufnehmen zu können.

Nächster Schritt zur Entkopplung vom Körper

Im Biosack aber werden in Sachen Gasaustausch und Ernährung die Verhältnisse in der Gebärmutter simuliert. Mit Erfolg, denn die testweise herangezogenen Lämmchen überlebten darin nun geschlagene vier Wochen. Ist das nach der künstlichen Befruchtung ein weiterer wichtiger Schritt zur denkbaren endgültigen Entkopplung der Fortpflanzung von körperlichen Vorgängen? Womöglich ja.

Kritiker der Reproduktionsmedizin werden nun einmal mehr einwenden, dass die Wissenschaftler der göttlichen Schöpfung oder ihrem Alias „Natur, wie wir Kritiker der Reproduktionsmedizin sie definieren“ ins Handwerk pfuschen, und dass das alles schlimm ende, weil . . . weil es dann halt irgendwie anders wäre mit der ganzen menschlichen Vermehrung. Nicht mehr so mutterverdienstkreuzmäßig.

Manche fürchten, dass zukünftig für die Fortpflanzung weder austragende Mütter noch die Vereinigung von Mann und Frau gebraucht werden

Sie fallen bei dieser Vorstellung nur dank eines Schrittmachers nicht sofort einem Herzinfarkt zum Opfer und lassen ihren Ärger mittels Prozessoren und Glasfaserkabeln unter zugehörige Artikel im Internet fließen, um zu beklagen, dass die natürlichen Abläufe gestört werden.

Am Ende wird man für die Fortpflanzung weder austragende Mütter noch die Vereinigung von Mann und Frau brauchen, so fürchten sie. Und dann wäre Sex ja einfach nur noch zum Spaß da und ihr schönstes Argument zur Schlechterstellung der Frau wäre auch noch dahin, wenn sie gar nicht mehr zwangsweise zum Austragen genötigt wäre. Und so geht es schließlich nicht! Der Protest gegen den medizinischen Durchbruch ist also so absehbar wie gefühlig.

Den Lämmern den Stecker ziehen?

Warum sie dann nicht mit den eigenen Waffen schlagen? Also, mal im Ernst: Wollen Sie etwa diesen süßen heranwachsenden Lämmchen einfach so den Stecker ziehen? Dann wären Sie herzloser als Berlusconi! Na also.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ich lese die Taz bereits seit mehreren Jahren. Über diesen Artikel bin ich jedoch aus mehreren Gründen schockiert. Nicht nur hat der Autor offensichtlich keinen Neonatologen über die Möglichkeiten dieser Technologie befragt, denn dann hätte er erfahren, dass diese Medizin, weder matrix-artig, die Mutter ersetzen soll, sondern den schwächsten, kleinen Geschöpfen einen Start ins Leben geben soll, den sie ansonsten nicht hätte und wenn möglich schwerste Behinderungen verhindern kann. Schließlich hat der Autor offenbar auch keine Eltern von Frühchen befragt, insbesondere extremen Frühchen, wie ich und meine Frau es bin, die jetzt weinend neben mir sitzt, nachdem sie diesen Artikel gelesen hat. Eine Mutter, die ihr Kind gern bis zur 40. Woche beschützen und unter möglichst normalen Umständen zur Welt bringen wollte, dann aber in der 23. Woche das Kostbarste aus dem Leib gerissen wurde. Eine Mutter, die dankbar für die Fortschritte der Medizin ist, weil unser Kleiner jetzt nur eine Titanklammer am Herzen hat, die Lunge etwas geschädigt ist, die Gehirnblutungen vollständig resorbiert sind und zwar Erkältungen ihn stärker treffen, aber immer alles wieder gut wird. Wenn diese Technik, den Kleinsten der Kleinen helfen kann, den Start ins Leben zu erleichtern, dann ja: Dann ist diese Technik willkommen! Sie hilft Leben zu retten und zu verbessern. Der Autor hat sich den Artikel offensichtlich zu leicht gemacht. Und sollte er der Meinungsmache dienen, dann ist das ein Niveau, das ich von der Taz nicht gewohnt bin.

  • Meine erste Assoziation war, als ich die Bilder sah, dass das dritte Bild mit einem eingeschweißten Lammbraten noch fehlt.

    Ich befürchte, dass die Technik langfristig zur Fleischproduktion verwendet wird.

    Wenn etwas nicht geboren wird, kann es ja auch nicht sterben. :(

    Da kommt die Matrix wieder ins Spiel.

  • Och, solange man diese elternlose Geschöpfe mit nen Grünen Daumen züchten kann dann immer her damit. Vielleicht schafft es der künstliche Mensch eher wieder in die Natur zurück zu finden:-)

  • Ein wirrer Artikel - Lämmchen, Berlusconi, religiöse Fundamentalisten - und die gravierenden, ethischen Fragen stehen in einem ganz anderen Lichte. Eine bedauerliche, flache Berichterstattung.

     

    "Es gibt kein Problem, für das es nicht eine Lösung gibt, die einfach ist, und klar - und falsch."

  • Kinder sterben, Eltern sterben, Menschen sterben. Das ist das Leben. Wenn wir das aber verhindern können, bzw. aufschieben können, dann geht es uns emotional besser. Also, was soll es. Frühchen ab in die Tüte, wenn es hilft. Wenn dann irgendwann die Reproduktion komplett ausgelagert werden kann, kaufen wir die Kinder dann mit leichten Mängeln im Abverkauf oder bei entsrpechender Solvenz nach Wunsch konfektioniert. Kann man bei einem Onlinegeschäft dann auch 30 Tage vom Kauf zurücktreten? Die amazon-Kundenbewertung: Es hat mehr geschrieen, als wir erwartet haben, aber dafür ist es jetzt in der Grundschule vorne dabei. Wir haben uns gleich ein zweites bestellt. Kann ich nur empfehlen, die spielen jetzt sogar miteinander, allerdings haben sich auch die Kosten für den Unterhalt fast verdoppelt.

  • Ich wünschte mir, diese Leute würden einsehen, dass auch Kleidung und Heizung dem göttlichen Werk nur ins Handwerk pfuschen.

     

    Ja, nicht alles was machbar ist, muss auch gemacht werden, aber das ist Forschung und hilft vor allem dem Verstehen der Natur (von dem auch wir nur ein Teil sind). Letztlich gibt es aber immer Leute, denen genau das (Verstehen) schon ein Dorn im Auge ist.

     

    "Ich will nicht wissen!" wird der Schlachtruf des 21. Jahrhunderts sein.

  • Jeder, der es kritisch sieht, Schafe (oder Menschen) in Plastikbeuteln zu produzieren, verdient den vollen Rundumschlag: Nazikeule, Herzschrittmacher, Ludditen, das Böse!

     

    Jetzt haben Sie's sich aber mal von der Seele geschrieben.

    • @kditd:

      Der Herzschrittmacher ist doch keine Keule, sondern ein Gegenbeispiel. Die ganze Medizin hat den Zweck, der Natur ins "Handwerk zu pfuschen" und den natürlichen (schlechten) Lauf des Lebens zu unseren Gunsten zu manipulieren. Die künstliche Gebärmutter oder die Überwindung von Erbkrankheiten durch Gentechnik sind nur weitere Schritte auf diesem Weg der Befreiung vom Naturzwang.