Debütroman von Hendrik Otremba: Kann Spuren von Schüssen enthalten
Er ist Sänger der Band Messer, bildender Künstler, schreibt über Pop. Nun hat Hendrik Otremba mit „Über uns der Schaum“ einen Roman geschrieben.
Nein, festlegen lassen wolle er sich nicht, sagt Hendrik Otremba. Der junge Mann – schmale Statur, klare, glatte Gesichtszüge, dunkelblondes gescheiteltes Haar – ist bislang als Sänger der deutschsprachigen Postpunk-Band Messer in Erscheinung getreten. Er malt und zeichnet, seine Aquarell-Tusche-Gemälde konnte man in kleineren Galerien sehen.
Auch als Autor der Musikzeitschrift Spex kannte man den 32-Jährigen. Nur als Romanautor noch nicht. Deshalb die Sache mit dem Sichfestlegen: Die Leute fragten ihn jetzt häufig, was er denn „hauptsächlich“ mache. Otremba findet die Frage merkwürdig: „Bei mir gehörte das alles immer schon zusammen.“
Schnell kommt er ins Erzählen, nachdem er an einem Märznachmittag im taz-Café Platz genommen hat. Es ist der Tag nach der Premierenlesung seines Debütromans „Über uns der Schaum“, die er in einer kleinen, pickepackevollen Bar am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg abgehalten hat. Bis in die Nacht habe er sich unterhalten. Denn der spannende Teil entstehe ja erst bei den Lesern.
„Über uns der Schaum“, im Berliner Verbrecher Verlag erschienen, ist ein ungewöhnliches literarisches Debüt. Der Roman hat weder etwas mit Musik zu tun, noch ist er autobiografisch, wie es bei Debüts von Autoren aus dem Pop häufig der Fall ist. Otrembas Roman beginnt als Detektivgeschichte, aus der im Laufe der Erzählung fast schleichend eine surreale Road Novel wird. Gekonnt changiert er zwischen verschiedenen Schreibweisen.
Detektivstory und Road Novel
Die Figuren und die Motive, die hier vorkommen – ein drogensüchtiger Detektiv namens Weynberg, ein heruntergekommener, dystopischer Ort, ein ominöses Kachelbad – kennt man bereits von einer Messer-EP und dem im vergangenen Jahr erschienenen Album „Jalousie“ – sowie von Otrembas im Eigenverlag herausgegebener Kassette „DREK“, zu der ein Fanzine namens The Time After Neu-Qingdao gehörte.
Im Roman führt Otremba seine flüchtigen Protagonisten nun in dieses Neu-Qingdao, das nicht umsonst im Namen an die chinesische Megastadt anspielt und das an eine versmogte Metropole nach der Apokalypse erinnert.
Geboren und aufgewachsen ist Hendrik Otremba im Ruhrgebiet. Er hat danach lange in Münster gelebt und ist mit seiner Band eng mit der dortigen Punk- und Indieszene assoziiert. Seit rund einem Jahr lebt er in Berlin. Sein Hintergrund trennt ihn von vielen jüngeren Autorinnen und Autoren, die die deutschsprachige Gegenwartsliteratur prägen und in Leipzig, Hildesheim oder auf den Journalistenschulen des Landes das Schreiben gelernt haben.
So verwundert es auch nicht, wenn Otremba sagt, er habe „eigentlich gar keine Affinität zur deutschen Gegenwartsliteratur“. Er sagt es mit dieser charakteristischen Stimme, die man vom Gesang bei Messer kennt und die kühl, klar und spröde klingt; dringlich, aber nicht aufdringlich.
Hendrik Otremba: „Über uns der Schaum“ (Verbrecher Verlag 2017, 250 S., 22 Euro)
Lesungen: 16. 5. Villa Merkel, Esslingen, 17. 5. Fabrik 45, Bonn, 18. 5. Butze, Düsseldorf, 23. 5. KOHI-Kulturraum, Karlsruhe, 30. 5. Fahimi, Berlin
Nicht nur was das Genre betrifft, lässt sich „Über uns der Schaum“ so wenig wie sein Autor festlegen. Das Erzähltempo und die Perspektive wechseln, der Handlungsverlauf bricht ständig mit Erwartungshaltungen. Insbesondere Tempo und Sound sind zu Beginn beeindruckend, als der Autor seine Charaktere einführt: „Ich bin Weynberg, ich fahre Auto wie ein junger Gott, und ich ficke wie ein junger Gott. Ich breche Nasen und Herzen, wenn mir einer dumm kommt, mach ich ihn kaputt.“
Wie ängstlich Weynberg dagegen im Grunde ist und wie er sich eine starke Identität zurechtbastelt, wird nur wenig später deutlich, als er fürchtet, „dass es jeden Augenblick wieder losgehen kann, ich muss aufpassen, darf mich nicht wieder aufregen, darf keine Angst haben. Angst ist das Schlimmste. Angst erzeugt nur Angst, Angst hat keinen Sinn, Angst ändert nichts an der Situation, Angst verhindert Veränderung.“ Mit jeder Wiederholung des Wortes „Angst“ bekommt die Figur klarere Konturen. Der Text hat zu Beginn einen gehetzten, latent unheimlichen Duktus.
Detektiv Weynberg bekommt den Auftrag, eine gewisse Maude Ananadin zu suchen; Maude ist die Liebe, nein, eher die Obsession seines Auftraggebers Gustav Lang, eines so mächtigen wie berüchtigten Mannes in der vage beschriebenen Großstadt, in der sich das Geschehen zunächst zuträgt. Nachdem Weynberg Maude, die ihn entsetzlich an seine verstorbene Liebe Hedy erinnert, aufgespürt hat, rettet er sie vor ihren Peinigern. Sie fliehen gemeinsam Richtung Fernost – und mit jedem Kilometer, den sie zurücklegen, wird die Welt, die sie betreten, ungewisser.
Vor allem die männlichen Figuren bei Otremba sind allesamt Getriebene; sie dürsten ständig nach irgendetwas. Am deutlichsten wird das in Weynbergs Verlangen nach Sex, und, mehr noch, in seiner Abhängigkeit von der fiktiven Droge Portobin. Otremba sagt, er selbst habe keine Drogenerfahrungen („dazu bin ich viel zu fragil und ängstlich“), also habe er sich den Stoff und dessen Wirkung ausgedacht. Er ergänzt, mit seinem Protagonisten habe er nicht allzu viel gemein.
Sucht und Trieb, transzendentale Obdachlosigkeit in einer zerstörten Welt – all diese Themen ziehen sich durch den Roman. Vielleicht hat er aber auch noch ein Metathema, die subjektive Konstruktion von Wirklichkeit – wie in der Figur Weynberg angedeutet. „Das Verhältnis von Raum, Erinnerung, Beobachtung und Wahrnehmung interessierte mich“, sagt Otremba.
Betrachtet man die unterschiedlichen Schreibweisen im Text – kaleidoskopische Erinnerungsfetzen, suchtinduzierte Gedanken, Sinnsprüche als wiederholte Einschübe („Die Haut ist Leinwand eines Lebens“) sowie die letzten Gedanken der zu Tode Gekommenen als Stream Of Consciousness –, dann wird deutlich, dass Wahrnehmung für Otremba nie als stringent dargestellt werden kann.
Sein Text ist, auch das trennt Otremba von vielen Gegenwartsautoren, experimentell geschrieben; zwischendurch gibt es scheinbar willkürlich eingestreute Verweise auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, auf den Holocaust und auf Atomunfälle; es ist ein Roman, der im poststrukturalistischen Sinne voller „Spuren“ (Jaques Derrida) ist.
Das perfekte Paar, das sagten die Freunde. Sie liebten sich, aber er hatte keine Lust mehr, mit ihr zu schlafen. Wie liebt es sich ohne Sex? In der taz.am wochenende vom 28./29. April erzählen die beiden ihre Geschichte. Außerdem: Im Ruhrgebiet werben SPD und AfD um die gleichen Wähler. Und: Superfood ist der neue Fetisch der jungen Spießer. Wieso der Trend jetzt bald zu Ende ist. Das alles am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo
Diese Spuren lassen sich sehr weit ausdeuten, zum Beispiel wenn aus dem Nichts eine Pyramide auftaucht, Reste einer altertümlichen Hochkultur, ehe sich eine toxische (Roman-)Gegenwart vor Weynberg und Maude auftut. „Über uns der Schaum“ ist ein Roman, der manchmal disparat wirkt – und das wohl auch sein soll.
In der bildenden Kunst zeigte sich bei Otremba ein Faible für charakterstarke Porträts; etwa, wenn er sich anhand der Figur des politischen Wirrkopfes Mishima Yukio mit dem japanischen „Seppuku“, einer dort einst verbreiteten Form des Suizids, auseinandersetzte, oder eine gedankenversunkene Romy Schneider malte, die auf einem Messer-Cover zu sehen war.
Diese gute Figurenzeichnung setzt sich nun im Literarischen fort. Ebenso auffällig ist die Detailfreude und -genauigkeit. Besonders im ersten Teil hat man die Handlungsorte, auch dank sehr bildlicher Beschreibungen, gut vor Augen.
Von der Vielzahl der literarischen Techniken her ist das manchmal vielleicht zu viel; die den Kapiteln vorangestellten Zitate etwa, Kurzgedichte und Aphorismen aus dem Munde Weynbergs (die zum Teil aus Songtexten der Band Messer stammen), wirken zwar kunstfertig, die Funktion erschließt sich aber nicht immer. Dass bei Hendrik Otremba aber großes Potenzial schlummert, das erkennt man in „Über uns der Schaum“ sehr deutlich.
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