piwik no script img

Haftbedingungen in IsraelGefangene treten in den Hungerstreik

1.500 politische Gefangene verweigern die Nahrungsaufnahme. Sie fordern häufigere Familienbesuche und medizinische Versorgung.

Am Tag des Häftlings demonstrieren Palästinenser gegen Haftbedingungen und die Administrativhaft Foto: ap

Jerusalem taz | Satellitenfernsehen, Klimaanlagen und regelmäßige Familienbesuche stehen auf der jüngsten Forderungsliste palästinensischer Häftlinge. Seit dem 17. April, der im Westjordanland und im Gazastreifen offiziell als Tag des Häftlings zelebriert wird, befinden sich aktuell rund 1.500 politische Gefangene in einem unbefristeten Hungerstreik.

Federführend bei der Protestaktion ist Marwan Barghouti, der wegen Terrorattentaten derzeit eine fünfmal lebenslängliche Haftstrafe absitzt plus 40 Jahre. Barghouti war bis zu seiner Verhaftung Chef der Fatah-Jugend und gilt als populärster Politiker in den Palästinensergebieten. Die israelische Gefängnisbehörde (IPS) lehnt Verhandlungen mit den Gefangenen grundsätzlich ab. Laut Pressemitteilung der Behörde seien bereits „Disziplinarmaßnahmen“ eingeleitet worden, um die „streikenden Häftlinge in separate Zellenblöcke zu verlegen“. Insgesamt werde in acht Gefängnissen gestreikt.

Nach Berichten des Fernsehsenders Channel 2 ordnete der Minister für Öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, die Einrichtung eines Lazaretts an, um sicherzustellen, dass die Häftlinge nicht in öffentliche Krankenhäuser eingewiesen werden. Das Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Häftlinge Samidoun warnte, dass Erdan damit eine „massenhafte Zwangsernährung“ plane.

Vor zwei Jahren verabschiedete die Knesset (Parlament) ein Gesetz, das die erzwungene Nahrungszuführung bei akuter Lebensgefahr legalisierte. Zahlreiche israelische Ärzte protestierten damals gegen das Gesetz, das auch international verurteilt wurde und vorläufig nicht zur Anwendung kam.

Derzeit sitzen 6.240 Männer, etwa 60 Frauen und Dutzende Jugendliche ein

Zentrales Anliegen bisheriger Streiks war stets der Protest gegen die sogenannte Administrativhaft, die eine Inhaftierung auf bloßen Verdacht erlaubt. Derzeit befinden sich nach Informationen des Häftlings- und Menschenrechtsverbands Addameer rund 500 Palästinenser ohne Anklage oder Verurteilung hinter Gittern. Insgesamt beläuft sich die Zahl palästinensischer Häftlinge, nach israelischen Angaben, auf 6.240 Männer, rund 60 Frauen und Dutzende Jugendliche.

Der letzte Hungerstreik war vor drei Jahren

Für die Partei von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist das Häftlingsthema eine politische Belastung. Während die Fatah im Rahmen der letzten Verhandlungsrunde mit Israel keine Amnestie für ihre inhaftierten Genossen erreicht hat, gelang es der islamistischen Hamas, im Oktober 2011 den Austausch von über eintausend Häftlingen im Handel gegen nur einen entführten israelischen Soldaten zu erzwingen.

Die aktuelle Forderungsliste der Hungerstreikenden umfasst insgesamt 13 Punkte, bei denen es zentral um verbesserte Haftbedingungen geht, um Studienangebote und die medizinische Versorgung. Die Häftlinge fordern die Möglichkeit, mit ihren Familien zu telefonieren, sie öfter und länger sehen zu dürfen und „alle drei Monate ein gemeinsames Foto“ mit ihnen machen zu dürfen. Außerdem sollen auch Kinder unter 16 Jahren zu Besuch kommen dürfen.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Maan zitiert den Appell Barghoutis an die Häftlinge, sich dem Streik anzuschließen, um gegen den „barbarischen zionistischen Kolonialismus“ zu protestieren. Seit 1948 seien „rund eine Million Palästinenser verhaftet, gefoltert, psychisch und physisch erniedrigt worden“, so Barghouti. Der letzte massenhafte Hungerstreik liegt gut drei Jahre zurück und endete für die rund einhundert „Administrativhäftlinge“, die ihre umgehende Entlassung forderten, ohne Ergebnis.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 7G
    75026 (Profil gelöscht)

    Diese Leute als "politische Gefangene" zu bezeichnen, tut ihnen meiner Meinung nach zu viel Ehre an. Barghouti beispielsweise sitzt im Gefängnis, weil er führend an Attentaten beteiligt war, bei denen fünf Menschen starben. Da ist die Bezeichnung "Terrorist" wohl passender.

  • Danke, dass sich Susanne Knaul des Themas angenommen hat.

    Es ist so uninteressant für viele bundesdeutsche Leser*innen; türkische Themen

    belegen das. Wenngleich das, was uns aus der Türkei "blüht" kein europäisches Ruhmesblatt ist, sollte man diesen seit 1948 schwelenden Konflikt nicht vergessen...

    • @Pink:

      Dieser Konflikt schwelt schon seit ca. 100 Jahren - mindestens. Andere kommen da auf noch viel längere Zeiträume.