Neues Album von Kendrick Lamar: Spiritueller Sprachakrobat
Und mit den Bässen kommt der Bewusstseinsstrom: Kendrick Lamars neues Album „Damn“ hat einen irren Flow, wenige Längen – und Bono Vox.
Vor wenigen Jahren noch galt Kendrick Lamar als „neuer König des Westcoast-HipHop“, Szenegrößen wie Snoop Dogg und Dr. Dre hatten ihn nach einem sagenumwobenen Auftritt im Jahr 2011 dazu auserkoren. Heute ist der 29-Jährige eine der prägendsten Figuren der Popwelt und eine prominente politische Stimme der Black Community in den USA. Nach seinem 2015er-Album „To Pimp a Butterfly“, einer knapp 80-minütigen Freejazz-Funk-Soul-HipHop-Sause, lagen Kritiker und Fans ihm zu Füßen. David Bowie huldigte ihm, Barack Obama empfing ihn – und wer konnte, der kollaborierte mit ihm.
Ein Großereignis also, wenn King Kendrick ein neues Album veröffentlicht. Seit gestern Morgen ist es – nach dem heute bei Superstars üblichen Rätselraten um das Releasedatum – in der Welt. „DAMN.“ heißt es einfach nur. In großen Lettern aufs Cover geschrieben, ein Punkt dahinter. Verdammt. Darunter eine Close-Up-Aufnahme Lamars, der in ein blütenweißes T-Shirt gehüllt ist, den Kopf nach unten gesenkt hat und wie paralysiert aus halb geöffneten Augen dreinblickt. Auf dem Backcover der gleiche Schriftzug, der gleiche grimmige Lamar.
Welch Kontrast zum Titelbild des Vorgängeralbums „To Pimp A Butterfly“! Dort hatte er eine schwarze Gang vor dem Weißen Haus abgebildet, ein Teil davon die Arme hochreißend, einen weißen Richter zu ihren Füßen. Ein Zeichen der Stärke. Und nun ein Cover, das in seiner Schlichtheit eher an HipHop-Klassiker der Achtziger von N.W.A. bis Eazy-E erinnert. Das Motto: Gesicht zeigen.
Vierzehn Stücke in 55 Minuten sind auf „Damn.“ zu hören, die Titel bestehen jeweils nur aus einem Wort und spielen schon in der Namensgebung auf die großen Themen der Kunst und der Menschheit ab („Blood“, „Lust“, „Love“, „Fear“, „Pride“). In den Lyrics, die vielleicht geschliffener denn je sind, behandelt Lamar mehr als zuletzt tief empfundene Ratlosigkeit und Apathie angesichts der Zustände in seinem Heimatland, auf der Welt („Feel“).
Kendrick Lamar: „Damn.“ (Universal)
Religiöse, christliche Motive
Noch auffälliger als auf den vorangegangenen Alben – sein Durchbruchsalbum „Good Kid m.A.A.d City“ (2012) begann mit einem Gebet – sind die religiösen, christlichen Motive, die sich wie ein roter Faden durchs Album ziehen und die wiederholt werden. Angedeutet hatte sich das bereits im Video zur ersten Single „Humble.“, in dem Lamar als Priester und am Tisch beim Letzten Abendmahl zu sehen ist. „Ain’t nobody praying for me?“, fragt er nun mehrmals auf „Damn.“ Die Message der religiösen Bezüge ist dabei nicht immer klar: In einem Sample, das aus einem Telefongespräch mit seinem Cousin stammen soll, bezieht der sich auf das 5. Buch Mose.
Musikalisch ist Reduktion das Gebot der Stunde, in dem Sinne, dass die Kompositionen konzentrierter sind. Der Freejazz-Einfluss ist weitestgehend verschwunden, alle Stücke sind zwischen R’n’B, HipHop, Soul und Funk anzusiedeln.
Irre Wendungen und tolle Steigerungen sind weiterhin angesagt. In „DNA“ und „Element“ etwa reichen Lamar wenige Minuten, um eine virtuose Dramaturgie zu stricken: Bei „DNA“ kommt gegen Ende mit den Bässen der dahin gerappte Bewusstseinsstrom, in „Element“ changiert er gekonnt zwischen straightem Sprechgesang und einem cremig-groovenden R'n’B-Refrain, der den Rezensenten schon am frühen Karfreitagmorgen in Wallung bringt.
Klug und knallig
Gleich im ersten Stück, „Blood“, setzt sich Lamar mit der Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft und seiner eigenen Rolle auseinander. Darin sampelt er gegen Ende eine Tonspur aus der Grammy-Übertragung des Senders Fox News im Jahr 2015. Lamar hatte damals bei der Grammy-Verleihung seinen Song „Alright“ aufgeführt und in der Performance gegen Polizeigewalt demonstriert („We hate the Po-Po/wanna kill us in the streets“) . Der stockkonservative Republikaner Geraldo Rivera hatte während der Übertragung gesagt, Lamars Lyrics hätten „jungen Afroamerikanern mehr Schaden zugefügt als der Rassismus in den letzten Jahren“. Verdammt.
Lamars neues Album ist klug arrangiert, knallige Tracks wie „DNA“ oder die ersten Single „Humble“ wechseln sich ab mit zurückgelehnten Tracks, in denen der Wortakrobat auch mal Luft holt („Yah“ und „Pride“ sind dabei richtige Perlen). Noch nicht erwähnt wurde, dass Rihanna und U2 bei zwei Stücken mitwirken. Das Duett mit der Popqeen ist recht erwartbarer zeitgenössicher Mainstream-Pop und eher als Statement wichtig („Loyalty“ fordern beide ein). Dass Bono Vox ein paar bonovoxmäßige Veres in „XXX“ singt: Naja.
Zum ersten Mal kommt bei einem Album Lamars der Eindruck auf, als seien einige Stücke verzichtbar, als sei es zu lang. „God“ und „Love“ klingen so wie konventioneller, aktueller US-Hochglanz-Pop eben klingt, dafür braucht man eigentlich keinen Hochbegabten wie Lamar. Wobei man das gleich wieder relativieren möchte, so virtuos und beeindruckend ist der sprachliche Flow, das Zusammenspiel zwischen Versen und Beat überwiegend auf „Damn.“.
Interessant ist, dass der religiöse Duktus nicht oder nur bedingt nervt. Das liegt daran, dass „Damn.“ auch als Album über grundlegende Zweifel gelesen und gehört werden kann. Der Religionsbezug lässt sich auch als Sinnsuche, als spirituelles Grübeln, als bloße Besinnung deuten. Von all dem kann die Welt gerade gar nicht genug gebrauchen.
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