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Student über sein Besorgte-Bürger-Telefon„Feld nicht Radikalen überlassen“

Bei einer Hotline finden Menschen mit zu vielen Sorgen, Ängsten und Wut ob all der Flüchtlinge ein offenes Ohr: Sie können mit einem Flüchtling reden.

Führen diese Telefonschnüre zu einem besorgten Bürger? Foto: dpa
Frederik Schindler
Interview von Frederik Schindler

taz: Ist der Begriff „besorgte Bürger“ nicht eine Verharmlosung für die Träger rassistischer Ressentiments?

Ali Can: Nein, das ist nicht die Bedeutung, die ich dem Begriff gebe. Besorgt kann man immer mal sein, man muss dafür nicht rechtsgesinnt sein. Bei mir rufen auch Ehrenamtliche an, die sich für geflüchtete Menschen engagieren und trotzdem sagen, dass sie manchmal Sorgen haben, weil sie irritiert sind. Wenn Menschen den Begriff instrumentalisieren, kann ich das nicht steuern. Ich distanziere mich klar von Menschen, die sich zwar besorgt nennen, aber rassistisch eingestellt sind.

Sie mussten sich auch schon von Anrufern beleidigen lassen. Warum tun Sie sich das überhaupt an?

Das stimmt, manche Sorgen sind schon feste Meinungen. Mir geht es um die Unentschlossen – also um jene, die eigentlich tolerant wären, wenn sie nicht manche Fragezeichen im Kopf hätten. Das Feld will ich nicht den Radikalen überlassen. Wenn ich nicht mit Pegida-Mitläufern rede, dann tun es andere und so könnte die AfD noch mehr Stimmen bekommen.

Aber wer bei Pegida mitläuft, hat doch schon eine klare Entscheidung getroffen?

Nein! Ich möchte nicht pauschalisieren: Nicht jeder, der bei Pegida mitläuft, ist schon ein überzeugter Rechter oder Rassist. Es gibt auch dort Fälle von Unentschlossenen. Erst durch persönliche Gespräche und Begegnungen kann man mit diffusen Ängsten umgehen und Leute umstimmen. Das ist zwar eine mühsame Arbeit, aber wenn ich jemandem seine Vorurteile nehmen kann, bin ich zufrieden.

Sie beklagen „wenig Mitgefühl“ mit „besorgten Bürgern“. Sollten wir nicht viel mehr die Sorgen der Flüchtlinge ernst nehmen?

Absolut, mir geht es allerdings nicht um Hierarchisierung. Natürlich geht es auch um den Schutz von Flüchtlingen, allerdings müssen wir mit Mitgefühl den Unentschlossenen begegnen, damit diese auch Mitgefühl für Flüchtlinge entwickeln.

Im Interview: Ali Can

ist Lehramtsstudent für Deutsch und Geschichte und Sohn einer kurdisch-alevitischen Familie. Er floh im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie aus der Türkei nach Deutschland.

Seine Hotline: 08 00 9 09 00 56

Seine Website: www.interkulturell-leben.de

Jetzt haben Sie eine Crowdfunding-Aktion für Ihr Projekt gestartet. Wie geht es weiter?

Es gibt sehr viele Anfragen für Podien, Vorträge und Workshops. Es gibt ein ganz großes Interesse zur Frage, wie man mit besorgten Bürgern umgehen kann, damit man sie erreicht. Ich würde dieses Wissen gerne in ganz Deutschland weitergeben und das würde ich gerne finanzieren.

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5 Kommentare

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  • Nein, nicht jeder, der sich sorgt, ist ein Rassist. Das wissen auch die, die den "besorgten Bürger" erfunden haben. Genau deswegen verwenden sie ihn ja. Die Rechten wissen um die Schwäche der Linken, all jene vorsorglich auszugrenzen, die nicht ganz "auf der Linie" sind. Diese Schwäche ist schließlich eine, die sie selber haben.

     

    Wie Menschen mit ihren Sorgen (und auch mit den Sorgen anderer) umgehen, ist nicht zwingend davon abhängig, ob sie sich rechts oder links im politischen Spektrum verorten. Es ist eher von der Sozialisation und der Erziehung des Einzelnen abhängig, von seiner Prägung, wenn man so will.

     

    Ein Mensch, der Zeit seines Lebens gegängelt wurde von anderen oder verhätschelt und nie selbst entscheiden durfte, neigt im Sorgen-Fall eher dazu, nach Autoritäten oder gar nach Gewalt zu verlangen, als jemand, der zu einem mündigen Erwachsenen heranwachsen durfte. Das hat mit der Selbstsicherheit zu tun, die man erlangt, wenn man Erfahrungen macht mit eigenen (Fehl-)Entscheidungen.

     

    Das Problem dabei: Für seine Erziehung kann keiner was. Und seine Prägungen später zu überwinden, ist unglaublich schwer. Es erfordert eine Stärke, die kaum haben kann, wer autoritär erzogen wurde. Offenbar auch nicht als Linker, sonst würden nicht so viele "Linke" nach einem dicken (Sprach-)Knüppel greifen, sobald sie Probleme sehen, die gefährlich werden können.

     

    Das Gute, immerhin, ist, dass Menschen, die autoritär aufgewachsen sind, an Führer glauben. Ob die nun aus dem rechten oder aus dem linken Lager kommen, ist ihnen zunächst egal. Hauptsache ist, sie liefern plausible Erklärungen und nehmen ihnen ihre Angst.

     

    Leider scheinen sich viele Linke zu schade zu sein für den Job der (Super-)Nanny. Vielleicht haben sie Angst zu Versagen, wenn sie sich mit den "Schmuddelkindern" abgeben. Daran müssten sie dringend arbeiten, finde ich. Vielleicht können sie ja von Ali Can siegen lernen? Er ist ja immerhin nicht alt und weiß...

  • sehr spannendes Projekt!

    leider in dem Link ein Fehler

    hhtp://http://www.interkulturell-leben.de

  • Das ist nett von Herrn Ali Can. Rassistische Einstellungen wird er dadurch allerdings nicht ändern - aber diejenigen die sich von Rassismus beeinflussen lassen, könnte er mit Gegeninformationen vor die Wahl stellen.

  • Also ich finde ide Idee richtig gut. Die Feindseligkeit gegenüber Menschengruppen ist oft dort am stärksten, wo es keinen Menschen gibt, der zu der Gruppe gehört. Das ermöglicht doch gerade erst die Angst vor dem Fremden in Reinkultur. klingt paradox, ist aber nach den wissenschaftlichen Forschungen genau der Fall.

     

    Und Ihre Frage an Ali Can, warum er sich das antut, kann ich bestens verstehen. Denn er steckt gewiss dabei viel ein. Ich mutmaße aber, dass er weiß, wie sehr seine Arbeit zum Abbau der Fremdenfeindlichkeit beiträgt.

    • @Celsus:

      Als Ergänzung: Es erscheint paradox, ist es aber nicht. Leute haben rassistisches Wissen/Vorurteile über "die Anderen" mit dem Aufwachsen gelernt. Darüberhinaus gibt es ein weit verbreitetes ein völkisches Verständnis, was das deutsche "Volk" sei - nämlich nur weiß. Gründe liegen u.a. hierbei in Kontinuitäten der Nazi-Zeit, kaum aufgearbeitete Kolonialismusvergangenheit, sowie an der lang verweigerten Haltung, ein Einwanderungsland zu sein. Letzteres wurde u.a. von der CDU lange gehegt, wird aber sicher noch von vielen weißen Deutschen geteilt. Naja, und dann gibt es noch das vom System anerzogene Hierarchisierungs-(Klasse, "Rasse", Geschlecht, Fähigkeiten...) und Konkurrenzding u.a. in Bezug auf Arbeit, die verunsichernden kapitalistischen "Krisen" (eigentlich sind sie keine sondern Normalzustand) ...

      Wie dem auch sei, Kontakte zu Geflüchteten können helfen bei weißen Deutschen Vorurteile abzubauen. Es kann aber auch zu Bestätigungen von Vorurteilen kommen.