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Die WahrheitDie Spur des Schraubers

Kolumne
von Joachim Schulz

Manchmal geht das Leben krumme Wege, wenn einer nicht Psychiater, sondern Hausmeister sein will und so das Glück findet.

A xo liebte Schrauben. Kreuzschlitzschrauben, Inbusschrauben, Sechskantschrauben, auch Muffen, Schellen, Muttern: Was immer sich zusammendrehen ließ, machte ihn glücklich. Schon auf Kinderfotos sieht man ihn nicht mit Stoffhund oder Teddy, sondern Dreizehnerschlüssel und Phasenprüfer, und daher ist es kein Wunder, dass er schon früh beschloss, Mechaniker zu werden.

Sein Vater indes, der Friedhofsnachtwächter war und in den langen Nächten im Friedhofswärterhäuschen die Schriften Sigmund Freuds verschlang, hatte andere Pläne. Er verfügte, dass Axo Psychiater werden solle, denn er war fasziniert davon, dass man aus harmlos scheinenden Träumen präzisen Aufschluss über das Psychokostüm des Träumers zu gewinnen vermochte und einem Menschen, der von Currywurst essenden Shetlandponys träumte, mit absoluter Gewissheit eine Eierlöffelphobie auf den Kopf zusagen konnte.

Axo fügte sich, denn sein Vater war ein Mann, der keinen Widerspruch duldete. Er studierte lustlos, aber effektiv, vertrödelte kein Semester, versemmelte keine Prüfung, und obwohl er andauernd die alten Autos seiner Freunde reparierte oder Ikea-Regale für sie zusammenschraubte, schloss er sein Studium mit ausgezeichneten Noten und einer Promotion über Träume von speisenden Pferden ab.

Er suchte lange nach einer Stelle. In einem Krankenhaus am linken Niederrhein fand er, was er suchte. Noch vor seinem ersten Arbeitstag lernte er den Klinikhausmeister kennen, der schon lange nach Höherem strebte, und kam mit ihm überein, die Posten zu tauschen. Fortan befreite der Hausmeister Menschen mit erstaunlichem Erfolg von skurrilen Phobien, während Axo sich um die Wartung der Heizungsanlage kümmerte oder Bettenaufzüge reparierte. Er war selig.

Ein paar Jahre später jedoch beschloss der Personalchef der Klinik unglücklicherweise, sich von dem albernen Waschzwang, an dem er seit seiner Scheidung litt, im eigenen Haus kurieren zu lassen. Der Mann besaß ein fotografisches Gedächtnis, und als er den Hausmeister im weißen Kittel erblickte, kam ihm das verdächtig vor. Am nächsten Tag schon saß der Hausmeister hinter Gittern und Axo auf der Straße.

Fortan schlug er sich als Aushilfsfensterputzer durch, da keiner der Schlossermeister oder Werkstattbesitzer, bei denen er vorsprach, sein Medizinexamen als Qualifikation für eine Schrauberstelle akzeptierte. Die Sehnsucht aber war übermächtig, und so begann er, nachts loszuziehen. Er reparierte kaputte Fahrräder, über die er stolperte, zog wackelnde Verkehrsschilder fest und schraubte in Unterführungen Mülleimer wieder an, die schon vor Wochen von der Wand gefallen waren.

Bis heute zieht sich die Spur des Schraubers jede Nacht durch die Stadt, und nie werden ihn die selbstzufriedenen Bürger, die sich unruhig in ihren Betten wälzen und von Lipizzanern träumen, die Austern à la Rockefeller vertilgen, für seine Verdienste ehren. Schade.

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