piwik no script img

Wehe, rote Fahne?Aber nicht hier

WESTEND An Kommunisten vermieten wir nicht mehr, sagt die Stadt München – nun soll ein uralte Institution weichen

Julian Mühlbauer und Wolfgang Smuda: Die sind der CSU suspekt Foto: Dominik Baur

Aus München Dominik Baur

„Es steht ein Haus im Westend draus’d, bereits seit langer, langer Zeit, da schmeißen’s jetzt die Mieter raus …“ Schon in den Siebzigern besang der Münchner Peter Jacobi zur Melodie von „House of the Rising Sun“ etwas, das viel später unter dem Namen Gentrifizierung Allgemeingut wurde. „Hey Wirt, lass doch uns Alte gehn, gib uns noch Zeit zum Sterb’n, hey Wirt, lass doch das Häusl steh’n, spar’s auf für deine Erb’n.“

Das Münchner Westend also. Als Glasscherbenviertel galt es damals. Und trotz des Wandels, den es seither erfuhr, hat es sich noch ein wenig Charme erhalten. Es gibt Altbauten, die nicht totsaniert sind, gemütliche Hinterhöfe. Im Café Marais kann man neben dem Kaffee auch gleich Teile des Inventars erwerben, ein paar Häuser weiter sitzen junge Architekten im Ladenbüro, bei King Butt kostet die Pizza nur fünf Euro, es gibt einen Waschsalon, Möbeldesigner und eine Spielhalle.

Und noch immer gibt es Häuser, aus denen „sie“ die Mieter rausschmeißen – darunter derzeit ein ganz besonderes: das „Haus mit der roten Fahne“. Es sei der letzte Zeuge der Arbeiterbewegung im einstigen Arbeiterviertel, sagen manche. Die Brecht-Tochter Hanne Hiob ging hier ein und aus. Vermieterin des Hauses ist, mittels einer Tochterfirma, die Stadt München. Und die Mieter sind: Kommunisten. Eigentlich ist es ein Wunder, dass das so lange gutgegangen ist. Aber jetzt will der schwarz-rote Stadtrat die Kommunisten loswerden.

Wo die Kommunisten wohnen

Das Haus: Tulbeckstraße 4f, rein äußerlich hat das schmale Gebäude genau eine Auffälligkeit: die rote Fahne. Sobald die eingeholt ist, will die Stadt hier bis zu elf Wohnungen bauen. Nicht leicht: Das Haus im Hofeck hat kaum Fensterflächen.

Die Mieter: Seit Ende der Siebziger sind die Kommunisten hier, mit Vereinen, Verlag und Druckerei. Die Bewohner des Westends wählen zwar eher SPD, Grüne und CSU, ein großer Teil ist aber für den Erhalt des Hauses. Viele sagen: „Ist halt ’ne Institution.“

Das Viertel: Das Westend, nah am Hauptbahnhof, war der Münchner Arbeiterbezirk. Heute gehört es zu den begehrten Stadtvierteln. Da viele Wohnungen Genossenschaften gehören, leben hier noch immer Restbestände der Arbeiterschaft.

Wolfgang Smuda ist einer dieser Kommunisten: 69 Jahre alt, Tierarzt im Ruhestand. Zusammen mit Julian Mühlbauer, Druckereigehilfe, Anfang 30, sitzt er beim Kaffee in der Bibliothek. Draußen weht die Fahne, wie sie es seit Jahrzehnten tut. Noch. Es ist kalt hier drin, in der Luft hängt noch Rauch vergangener Tage, an der Decke Neonröhren und über der Tür Wladimir Iljitsch. „Ein bisschen abgefuckt“ sei das Haus, sagt Mühlbauer. Aber man habe ja angeboten, sämtliche Sanierungskosten zu übernehmen – damals, als der Kaufvertrag schon unterschriftsreif beim Notar gelegen habe. Jetzt sei er immerhin froh, dass endlich mit offenem Visier gekämpft werde.

Seit fast 40 Jahren befindet sich in dem Hinterhof der Tulbeckstraße 4 der Verlag „Das Freie Buch“ samt Druckerei und etlichen Untermietern, wie dem Arbeiterbund zum Wiederaufbau der KPD oder dem August-Kühn-Verein, der sich dem Gedenken an den 1996 gestorbenen Münchner Arbeiterschriftsteller verschrieben hat. Oder die FDJ.

So ganz lässt sich das alles freilich nicht voneinander trennen. Smuda etwa ist einer der Begründer des Hauses, im Arbeiterbund und hat früher mit seiner Frau die sechs Kinder von Kühn gehütet, damit dieser in Ruhe schreiben konnte. Kühn war DKP-Mitglied. Mühlbauer arbeitet nicht nur in der Druckerei, die wiederum die Schriften der Vereine druckt, sondern ist auch in der FDJ. Und Verlagsgeschäftsführer Stephan Eggerdinger ist zugleich auch Sprecher des Aktionsbüros „Klassenkampf statt Weltkrieg“. Zentrale Bedeutung dürfte innerhalb dieser Melange dem Arbeiterbund zukommen, einem skurrilen Trupp, der zu den aus der Studentenbewegung hervorgegangenen K-Gruppen gehört. Sein Spendenkonto läuft auf Eggerdingers Namen. Auf seiner Website ehrt der Arbeiterbund den Genossen Fidel Castro, lädt aber auch zur DGB-Kundgebung ein. Anders als die meisten linken Gruppen hält er sich mit Kritik an den USA zurück, um nicht dem deutschen Imperialismus Vorschub zu leisten. „Der Feind steht im eigenen Land“, sagt Smuda.

Und in der Bibliothek erbauliche Literatur, von Marx bis Kühn, Stalin und Mao

Tagsüber wird im Haus mit der roten Fahne gearbeitet. Flugblätter, Plakate, Bücher, die 51 Jahre alte Maschine aus dem Hause VEB Druckmaschinenwerk Planeta Radebeul II druckt noch immer brav weg, was ihr auf die Rollen kommt. Abends, am Wochenende wird Politik gemacht. Vor ein paar Tagen lief ein Film über den Kieler Matrosenaufstand. Es gibt Aktionstage zur Oktoberrevolution und in der Bibliothek findet sich erbauliche Literatur, von Marx bis Kühn. Aber auch Stalin und Mao.

Der CSU im Rathaus war dieses Treiben seit Langem ein Dorn im Auge. 2011 stoppten zwei Stadträte im letzten Moment einen Verkauf des Hauses an den Verlag. Im Sommer 2016 kam die Kündigung. Bis Ende des Jahres sollten die Mieter raus. Vordergründig geht es um Wohnraum. Die Stadt will die Immobilie in Wohnungen umwandeln. Mal war von sieben die Rede, mal von elf. Die Betroffenen sagen, hier ließen sich maximal zwei Lofts bauen.

Bei einer Stadtratssitzung im Februar wurde darüber debattiert, ob man die Kündigung nicht zurücknehmen solle. Rund 2.000 Bürger hatten dies in einer Petition gefordert; auch die Grünen, die Linke und der Bezirksausschuss. Im Stadtrat ging es dann weniger um neue Wohnungen als um die jetzigen Mieter. Das ist das, was Mühlbauer mit offenem Visier meint. Ein CSU-Stadtrat las genüsslich klassenkämpferische Passagen aus der Satzung des Arbeiterbunds vor, Bürgermeister Josef Schmid (ebenfalls CSU) sprach von „Verfassungsfeinden“. Es blieb bei der Kündigung.

Druckmaschinenwerk aus volkseigenem Betrieb Foto: S. Rumpf/picture alliance

Smuda und Mühlbauer wirken eigentlich nicht so, als machten sie sich nach ihrem Kaffee gleich ans Basteln von Molotowcocktails. Sicher, das Privateigentum an den Produktionsmitteln gehört abgeschafft, finden sie. Smuda sagt, es wäre schön, wenn es in Bayern noch eine Räterepublik gäbe. Hat schließlich schon mal funktioniert in München. Vor 98 Jahren. Für vier Wochen. War eine vergleichsweise friedliche Angelegenheit. Also doch Verfassungsfeinde? Mühlbauer bemüht den einstigen KPD-Bundestagabgeordneten Max Reimann: „Es wird der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“

Gut möglich, dass vorher der Tag kommt, an dem eine Räumungsklage der städtischen Wohnungsgesellschaft auf dem Tisch liegt. „Zuerst werden wir noch alle juristischen Grenzen ausloten“, sagt Smuda. Klar. Der Kampf geht weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen