piwik no script img

Die WahrheitKreatives Rubbeln

Der unerklärliche Hype um Ausmalbücher für Erwachsene hat seinen Zenit überschritten. Es wird Zeit für den Ratzefummel.

Kontemplation findet man vor allem im ausradierten Meisterwerk Foto: ap
Von Kriki

Ausmalbücher für Erwachsene gelten derzeit als ideale kreative Entspannung für gestresste Bildschirm-Aficionados. Das beschert der Buntstift-Industrie Rekordumsätze und darbenden Buchhändlern unerwartete Zusatzeinnahmen.

Der Ausmalboom kam aus Südkorea und den USA über uns wie eine Grippewelle und gilt unter Experten als Reaktion auf die digitalen Zumutungen und Zerstreuungen unseres Alltags.

Das analoge Ausmalen hingegen bewirkt die „Fokussierung der Gedanken, fördert die Konzentration und ist so hilfreich wie Meditation“ freuen sich die Ausmalexperten der Universität Plymouth, die bei ihren wissenschaftlichen Untersuchungen am allerliebsten rasante Kurvendiagramme in allen Regenbogenfarben ausmalen.

Mandalas und Doodles

Doch die Entwicklung des kreativen Flächenfüllens ist nicht beim Kolorieren einfacher Tortendiagramme und Bekritzeln von Balkendiagrammen stehengeblieben. Die „neue Ausmal-Herausforderung“ (Verlagsprospekt „Malbücher für Erwachsene“) bietet für Fortgeschrittene „Punkt-zu-Punkt-Malbücher und für Minderbegabte das gute alte „Malen nach Zahlen“. Es warten Zen- und Balance-Malbücher auf die kreative Gemeinde, ferner magische Mandalas, Dream Doodles und Ausmalpoodels, die das anspruchsvolle Angebot künstlerisch abrunden.

Das alles ist entspannend und kreativ, aber die boomende Ausmalbewegung hat wiederum eine unvermeidliche Gegenbewegung auf den Plan gerufen, die völlige Leere und totale Vernichtung verspricht: das radikale Radieren!

Radierer aus Kautschuk

Die neuen Radierer können sich auf eine lange künstlerische Tradition berufen: auf Dürer, Rembrandt und Goya, um nur die berühmtesten zu nennen. Mussten Rembrandt und Dürer noch mühsam mit Brotbrocken radieren, hatte Goya es schon besser: Der Brite Edward Nairne hatte nämlich 1770 den Radiergummi erfunden. Mit dem neuen Ratzefummel aus Kautschuk konnte Goya endlich radieren wie der Teufel, ohne das Trägermedium Papier durchzurubbeln.

Radikales Radieren verspricht völlige Leere und totale Zerstörung

Die neuen kreativen Freizeitradierer begnügen sich aber längst nicht mehr mit Rubbelgummis, die ambitionierten Ausputzer benutzen zum Radieren lieber zu Elektro-Radierern umfrisierte Elektro-Rasierer und fräsen damit sogar feinste Bleistiftspuren rückstandsfrei vom Papier. Viele von ihnen haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen und nennen sich „Freie Radikale“ oder „Die rastlosen Rubbelfreunde“.

Erfolgsmodell „Huckepack“

Woher bekommen nun aber die notorischen Radierer das bemalte Material, von dem sie alle Spuren tilgen können? Dazu besuchen die Papierputzer einschlägige Malbuchbörsen, auf denen ausgemalte Malbücher günstig verkauft werden. Am ergiebigsten sind jedoch kreative Partnerschaften von Ausmalern und Radierern.

Beim sogenannten Huckepack-Modell tilgt der radikale Radierer das kreative Produkt der Buntstiftfraktion gleich nach dessen Entstehung und die engagierten Ausmaler können wieder von vorne beginnen. Das Ergebnis der Ausmaler wird dann wieder weggerubbelt. Keine Frage: Sisyphus wäre entzückt gewesen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • ;)) - & Wie erhellend.

     

    Nur schade - daß das Finale -

    "…Beim sogenannten Huckepack-Modell tilgt der radikale Radierer das kreative Produkt der Buntstiftfraktion gleich nach dessen Entstehung und die engagierten Ausmaler können wieder von vorne beginnen. Das Ergebnis der Ausmaler wird dann wieder weggerubbelt. Keine Frage: Sisyphus wäre entzückt gewesen!"

     

    Daß das - Dem Ratze nicht bekannt war. Wär er doch bei solchem

    Fummeln ausreichend beschäftigt gewesen &

    Der Welt zahnzahlloses inquisitorisches urbi&obi

    Erspart geblieben! Ha. Ratzefatzezahllos & echt Rubbel die Katz!

     

    Nu. Vor allem aber & nicht zu verachten!

    Angesichts seiner zahllosen treuen Stifteln&RatzeSchäfchen -

    Im Ausmalen von zahllosen Heiligenbildchen

    Ohnehin traditionell geübt - wäre dem

    Huckepackmodell noch ein ganz anderer

    Boom beschieden gewesen!

     

    Na Servus. Ihr Stiftels könntet echt -

    Ratzefummel & Gummi geben -

    Beim Rubbel die Katz -

    Aber mich dafür kreuzweise!