piwik no script img

Prozess gegen Ladeninhaber in BerlinWelcher Schlag führte zum Tod?

Ein Filialleiter soll einen Ladendieb so verprügelt haben, dass der kurz darauf starb. Ein für den Prozess wichtiges Gutachten wurde nun vorgestellt.

Wie fest hat er zugeschlagen? Prozess gegen den Leiter eines Supermarktes in Lichtenberg Foto: dpa

Der rechtsmedizinische Gutachter kann sich nicht genauer festlegen: „Irgendetwas muss dieses Ereignis ausgelöst haben“, sagt er im Prozess gegen den angeklagten Supermarkt-Filialleiter André S. Er bezieht sich auf den Tod des obdachlosen Eugeniu B., der am Dienstag, den 20. September 2016 im Unfallkrankenhaus Marzahn gestorben war.

Drei Tage zuvor hatte er im Edeka-Markt im Bahnhof Lichtenberg eine Flasche Chantré stehlen wollen und war vom Filialleiter ertappt worden. Der 34-jährige obdachlose Moldawier wurde ins Getränkelager gebeten, wo er sich vor André S. hocken sollte, damit der Filialleiter ihm mit seinen Quarzsand-Handschuhen bequemer ins Gesicht schlagen konnte.

Ein Überwachungsvideo dokumentiert das Geschehen: Routiniert schlägt André S. zweimal zu, zum Schluss gibt es noch einen Fußtritt. Mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck steht ein Mitarbeiter daneben. Das Blut, das auf den Boden gespritzt war, wird er anschließend mit einer Reinigungsmaschine entfernen.

Ladendiebe oft verprügelt

Das Verprügeln von Ladendieben war Methode, daran lassen auch die Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern keinen Zweifel. „Das, was passiert ist, war nur eine Frage der Zeit“, sagt einer von ihnen im Zeugenstand. Die Ladendiebe wurden angeschrien und am Boden liegend getreten, auch seien ihnen die Zähne ausgeschlagen worden, berichten die Zeugen. Nicht nur der Filialleiter habe dies getan, es sei ein ganzer Kreis von Mitarbeitern gewesen, welche die Gewalt begrüßten. „Anders kriegst du die Leute nicht zur Vernunft“, habe einer der Schläger sein Verhalten begründet.

Über André S. sagen die Zeugen: „Er hat eine aggressive Grundeinstellung und hat ordentlich zugelangt, wenn sich die Gelegenheit bot.“ Diese habe er förmlich gesucht: 38 Überwachungskameras entdeckten die Kriminalisten, als sie nach dem Tod von Eugeniu B. den Supermarkt durchsuchten. Viel Zeit habe André S. vor den dazugehörigen Monitoren verbracht: „Unter den Kollegen wurden oft Gespräche darüber geführt, dass S. oft am Monitor sitzt, um Ladendiebe zu fangen“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter. An diversen Stellen im Getränkelager und an den Schuhen des Filialleiters fanden die Kriminalisten nicht nur das Blut von Eugeniu B.

Aber hat sich André S. nun der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht? An dieser Stelle soll die Rechtsmedizin dem Gericht helfen – und kann es nicht eindeutig. Eine Woche zuvor war Eugeniu B. bereits im Edeka-Markt erwischt und verprügelt worden, Verletzungen an seiner Brust und am Becken stuft der Gutachter als „deutlich älter“ ein. Nur die Nasenbeinfraktur war frisch und passt zu den dokumentierten Schlägen. Aber waren sie todesursächlich? Die Hirnblutung kann auch zeitverzögert eingesetzt haben – aufgrund der älteren Verletzungen.

„Er hat ordentlich zugelangt, wenn sich die Gelegenheit bot“

Zeugen über André S.

Sachverständiger unsicher

Egal, ob der Richter fragt, ob die jüngeren Schläge die Blutung befördert haben, oder ob die Verteidigerin fragt, ob es nicht doch eher die älteren Schläge waren – die Antwort lautet immer: „Ja, das kann sein.“ Der Sachverständige kann nur sagen, dass er im Überwachungsvideo eine Rotation des Kopfes wahrgenommen hat, durch welche die Brückenvenen abgerissen sein können. Genauer geht es nicht.

Die Richter müssen nun entscheiden, ob sie vom Anklagevorwurf, der mit einer Mindeststrafe von drei Jahren Haft belegt ist, wechseln zu einer Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung, die mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Haft bestraft wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen