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Von wegen Privatsache!

BUCH Kerstin Herrnkind rechnet mit der Diskriminierung Kinderloser ab – und einer katastrophalen Familienpolitik

Jede kinderlose Frau kennt diesen mitleidsvollen Blick: „Warum hast du denn keine Kinder, du Arme?“ Und jede kinderlose Frau kennt auch diesen anderen Blick, wenn sie antwortet: „Ich bin nicht arm. Ich will bloß keine Kinder.“ Die Bremer Künstlerin Dagmar Calais musste sich dafür als „bevölkerungspolitischer Blindgänger“ titulieren lassen. Und das ist noch vergleichsweise harmlos.

Mit Calais und anderen Frauen hat Kerstin Herrnkind für ihr Buch „Vögeln fürs Vaterland? Nein danke!“ gesprochen – und auch sie kennt sie gut, die Diskriminierung kinderloser Frauen. Denn die ehemalige taz- und heutige Stern-Redakteurin ist selbst eine.

Kinderlose Frauen seien „egoistisch“, sagt Papst Franziskus, und der emeritierte Theologieprofessor Klaus Meyer zu Uptrup schrieb 2014 im Pfarrersblatt: „Ein Menschenrecht auf kostenlose, gewollte Kinderlosigkeit kann es nicht geben.“ Dass es sich bei der Entscheidung für oder gegen Kinder allerdings um ein verbrieftes Menschenrecht handelt, beschlossen nämlich auf der UN-Menschenrechtskonferenz 1968, interessiert den 20.000 Mitglieder zählenden Pfarrerverband nicht: Auf seiner Homepage steht der Text bis heute.

Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg fordert „eine Mütterquote statt der geplanten Frauenquote“. Und der Psychiater und Neurologe Holger Bertrand Flöttmann schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung allen Ernstes, dass gut ausgebildete Frauen „ihren Kinderwunsch mühsam erarbeiten“ müssten, „weil sie ihren Verstandesapparat überentwickelt“ hätten.

In ihrer Fülle geradezu erschreckend zählt Herrnkind all die, durchaus auch staatlichen, Diskriminierungen Kinderloser auf: PolitikerInnen, und das beileibe nicht nur aus AfD und CSU, haben wiederholt den Vorstoß unternommen, Kinderlosen ihre Rente und sogar ihr Wahlrecht streitig zu machen: Familienministerin Manuela Schwesig ist nicht die einzige SPD-Politikerin, die für ein Familienwahlrecht plädiert. Das würde bedeuten: Eltern hätten bei Wahlen für jedes ihrer Kinder eine extra Stimme. Aus „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ würde dann, so Herrnkind: „Alle Staatsgewalt geht von der Familie aus.“

Ein Großteil der Kinderlosen arbeitet seit vielen Jahren ohne Unterbrechungen in Vollzeit, zahlt Steuern, Rentenbeiträge und hohe Sozialabgaben. Was soll also die Hetze gegen sie? Vor allem das Rentensystem, sagt Herrnkind, sei schuld. Denn der „Generationenvertrag“ funktioniere wie ein Schneeballsytem: Es spekuliert mit dem Geld von Menschen, die noch gar nicht da sind – und stammt aus einer Ära, als es die Pille noch nicht gab.

Danach wurde alles anders – aber nichts korrigiert. „Und wir sollen nun vögeln fürs Vaterland, damit die Kasse wieder stimmt“, sagt Herrnkind. Sie zieht viele Vergleiche zum Mütter- und Familienbild der Nazis: Als „Quelle der Nation“ wurden Frauen damals bezeichnet, deren „wunderbarste Aufgabe“ es sei, „ihrem Land und Volk Kinder zu schenken“.

Herrnkind ist sauer und hält damit nicht hinterm Berg – das ist verständlich, klingt aber oft nach Verteidigung. Schade, denn auch, wenn sie Seite für Seite beweist, dass es in der Realität anders aussieht: Die Entscheidung gegen Kinder sollte nichts sein, wofür man sich verteidigen muss – sondern Privatsache. Eigentlich.

Herrnkind wollte früher Kinder, doch es kam, wie es manchmal kommt. Und heute sei sie meist froh, kinderlos geblieben zu sein. Denn – und das ist ein zentraler Punkt ihres Buchs – Deutschland ist familienpolitisch eine Katastrophe. Das von der Leyen’sche „Wagnis Kind“ können sich viele schlichtweg nicht leisten. Und deswegen ist die ohnehin schon grenzüberschreitende Einmischung in das Leben Kinderloser eine doppelte Unverschämtheit. Simone Schnase

Simone Schnase

Kerstin Herrnkind: „Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! Bekenntnisse einer Kinderlosen“, Westend-Verlag, 208 Seiten, 18 Euro

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