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Erneuter Versuch der Täterfindung

Prozess Die sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht kommen ein drittes Mal vor Gericht

Die Gerichtsbarkeit probiert’s noch mal: Ab heute soll eine Große Strafkammer des Landgerichts prüfen, ob Behzad S. eine Beteiligung an den sexuellen Übergriffen auf junge Frauen in der Silvesternacht 2015 auf St. Pauli nachgewiesen werden kann. Vorwurf: Sexuelle Nötigung in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Raub und tätlicher Beleidigung.

Die Anklage hält dem 34-Jährigen vor, in der Großen Freiheit als Mitglied einer Gruppe eine 21-Jährige eingekreist zu haben, während ein Unbekannter ihr in den Intimbereich gegriffen und ein weiterer Mann das Handy entrissen habe. Die Gruppe soll dazu gefeixt haben. Danach soll S. mit zwei Mittätern zwei weitere Frauen im Alter von 19 und 20 Jahren umringt und an deren Busen und Po gegrapscht haben.

Die Frage wird sein, ob die drei Opfer den Angeklagten als Täter identifizieren und ihm Tathandlungen in dem Gedränge zuordnen können. Zwei ähnlich gelagerte Verfahren haben gezeigt, dass das in einem solchen Tohuwabohu sehr schwer ist. Die Übergriffe sind nicht sofort angezeigt worden, sodass keine Spuren oder genauen Tatzeiten gesichert werden konnten.

Erst Tage später wurde bekannt, dass es massenhaft solche Vorfälle gegeben hatte. Der Erfolgsdruck für die Polizei war also groß. Sie stützte ihre Ermittlungen vornehmlich auf Übersichtsaufnahmen des Treibens, um diese dann mit den vagen Täterbeschreibungen wie „südländischer Typ“ oder „dunkler Teint“ abzugleichen. Dafür sind den Frauen im großen Stil Vergrößerungen von möglichen Verdächtigen vorgelegt worden.

Und das ist das Problem: „Nicht das Gesicht der Person am Tatort, sondern das vom Lichtbild hat sich bei der Zeugin eingeprägt“, sagte Richterin Kathrin Sachse in einer Urteilsbegründung im Mai und sprach einen 30-Jährigen Afghanen frei. Die 19-Jährige Studentin war sich noch im Gerichtssaal sicher gewesen, den Täter wiedererkannt zu haben, bis sie sich korrigieren musste. Der Angeklagte war viel zu klein, was der Polizei schon vorher bekannt gewesen sein muss.

Schelte übte auch die Vorsitzende einer Jugendkammer in einem weiteren Freispruch-Urteil gegen drei Geflüchtete. „Die Polizeibeamten haben der Zeugin Fotos gezeigt, bevor sie eine Täterbeschreibung abgegeben hat“, bemängelte Richterin Anne Meier-Göring. Das sei nicht nur unprofessionell, sondern dramatisch, da es die Wiedererkennungsleistung verfälsche.

Es bleibt abzuwarten, ob es im aktuellen Verfahren anders gelaufen ist. Acht Prozesstage sind angesetzt. Kai von Appen

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