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Umsturz in der Hamburger HandelskammerKammerflimmern

Bei den Wahlen zum Plenum hat die Opposition auf ganzer Linie gesiegt – dabei gibt es sie erst seit drei Jahren. Doch wie geht es nun weiter?

Eine Institution zwischen Infarkt und Wiederbelebung: Die Hamburger Handelskammer Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | Die Handelskammer Hamburg schien so beständig wie das Gebäude, in dem sie residiert: die Börse, das einzige Haus in der östlichen Innenstadt, das vom Großen Brand 1842 nicht verzehrt wurde. Doch seit einer Woche gilt das nicht mehr: Die Oppositionsgruppe „Die Kammer sind wir“ hat bei der Wahl zum Plenum 55 von 58 Sitzen erobert. Von einem „Erdrutschsieg“ zu sprechen, erscheint beinahe euphemistisch.

Die Handelskammer gilt in Hamburg als eine Art Nebenregierung, die durch einen direkten Draht zum Senat und die Veröffentlichung von Expertisen Einfluss auf die Politik nimmt. In der Kaufmannsstadt Hamburg war es seit dem Krieg auch für die Sozialdemokraten selbstverständlich, die Interessen der Wirtschaft mit ihrer Politik bestens zu bedienen.

Wer in der Kammer das Sagen hat, war bis vor drei Jahren kein Gegenstand öffentlicher Debatten. Bei einer Wahlbeteiligung von zehn Prozent und der Möglichkeit, nicht gewählte Manager ins Präsidium zu „kooptieren“, wussten die rund 260 hauptamtlichen Kammerangestellten ziemlich zuverlässig, mit wem sie es zu tun haben würden.

Zur Plenarwahl 2014 trat erstmals eine Art Partei bei den Plenarwahlen an. Geführt von dem Unternehmensberater Tobias Bergmann und Gregor Hackmack, dem Geschäftsführer der Firma Parlamentwatch, trat „Die Kammer sind wir“ mit dem Ziel an, die Kammer zu demokratisieren. Sie störte der hohe Kammerbeitrag, die Intransparenz sowie der Eindruck, dass sich die Kammer vor allem um die Interessen der großen Unternehmen und die Hafenwirtschaft kümmere. Die Kammer hatte in der Debatte um den Rückkauf der Energienetze durch die Stadt eindeutig dagegen Position bezogen, womit sie quer zur Meinung vieler ihrer Mitglieder lag. Sie engagierte sich für Olympische Spiele in der Stadt und sah auch keinen Anlass, sich dem hamburgischen Transparenzgesetz zu beugen – als eine Anstalt öffentlichen Rechts, in der alle Firmen Mitglied sein und Beiträge entrichten müssen.

Kammerführung unter Druck

Interessiert waren die „Kammerrebellen“ insbesondere am Gehalt des Hauptgeschäftsführers Hans-Jörg Schmidt-Trenz, das die Kammer erst nach jahrelangem Zögern und massivem Druck veröffentlichte: 500.000 Euro. Das Amt des Wirtschaftssenators wird mit knapp 160.000 Euro vergütet.

Die Kammerführung geriet in diesen Jahren bei verschiedenen Themen unter Druck. Ende 2015 erwirkte der Unternehmer und Grünen-Vorsitzende im Stadtteil Eimsbüttel, Dominik Lorenzen, eine Rüge des Verwaltungsgerichts: Die Kammer müsse bei Meinungsäußerungen „das höchstmögliche Maß an Objektivität walten“ lassen, urteilten die Richter mit Blick auf die scharfen Äußerungen des Hauptgeschäftsführers gegen den Netze-Rückkauf.

Später urteilte das Gericht, die Handelskammer habe zu hohe Rücklagen angehäuft. Geklagt hatte ein Unternehmer mit Unterstützung des Bundesverbandes für freie Kammern. Und im September 2016 erklärte das Gericht auch noch Teile der Silvesterrede des Kammerpräses Fritz-Horst Melsheimer für rechtswidrig, weil sie einen Bezug zur Wirtschaft und die gebotene Sachlichkeit vermissen ließen.

„Die Kammer sind wir“ will die Sitzungen des Plenums ab sofort öffentlich machen, die Abschaffung der Zwangsbeiträge beschließen, Schadensersatzansprüche wegen mutmaßlich zu üppiger Renten für Kammermitarbeiter prüfen und das Gehalt des Hauptgeschäftsführers stutzen.

Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des Bundesverbandes für freie Kammern, interpretierte das Hamburger Wahlergebnis als Weckruf, der über Hamburg hinausweist. Das Ergebnis sei die Quittung der Wirtschaft für die Reformverweigerung des Kammer-Establishments. „Die deutschen Industrie- und Handelskammern täten gut daran, sich ein Beispiel an der Schweizer Handelskammer zu nehmen“, findet er. Deren Präsident sehe in der freiwilligen Mitgliedschaft „das Fundament der Glaubwürdigkeit“.

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