Zweiter Teil von „Fifty Shades of Grey“: Menschliches Interesse an Sex
Unter der Regie des US-amerikanischen Thrillerexperten James Foley läuft nun der zweite Teil von „Fifty Shades of Grey“ in den Kinos.
Typisch: In Seattle schüttet es mal wieder wie aus Kübeln. Die Häuser am Hafen der US-Metropole und der futuristische „Space Needle“-Turm in Downtown glänzen silbrig und nass, die von Wolkenkratzern gesäumten Straßen sehen aus wie frisch gebohnert.
Das alles passt wie die Faust aufs Auge zur Stimmung von Anastasia Steele, der Protagonistin aus E. L. James’ Buchreihe „Shades of Grey“, die verloren durch ihre feucht-urbane Heimat irrt und mit den Tränen kämpft. Und sogar „die Faust aufs Auge“ passt in diesem Fall.
Denn Anastasia ist traurig, weil sie den Falschen liebt: „Ich bin Sadist“, hat Christian Grey, Seattles jüngster und attraktivster Milliardär und – seit dem ersten Buch und dem ersten Film der Reihe – Anastasias Boyfriend, ihr gestanden. „Ich schlage gern junge dunkelhaarige Frauen wie dich, weil sie alle aussehen wie die Crack Hure – meine leibliche Mutter“.
Mehrere Dinge sind an diesem Setting, an dieser Szene, an diesem auch im Buch vorhandenen Satz und an der dahinter wartenden Backstory grundlegend falsch und erregten die Kritik verschiedener Personengruppen, insbesondere von FeministInnen, Literaturfans, FilmliebhaberInnen oder BDSM-Praktizierenden. Sie alle motzen seit 2011, als das erste Buch der Trilogie erschien und seinen unglaublichen 100-Millionen-LeserInnen schweren Siegeszug durch Schlafzimmer, Boulevardmedien und Fantasien antrat. Und sie motzten weiter, als 2015 die erste Kinoadaption von James’ Büchern herauskam.
Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe. Regie: James Foley. Mit Dakota Johnson, Jamie Dorman, USA 2016, 118 Min.
Nichtsdestotrotz hatte jener erste Film unter Leitung der furchtlosen britischen Künstlerin und Feministin Sam Taylor-Johnson und nach dem Drehbuch von Kelly Marcel vor zwei Jahren weltweit über 571 Millionen US-Dollar eingespielt – ein Triumph. Zurückzuführen war das auf die Popularität des Buches. Und eine sich wie eine Krake in alle Bereiche ausbreitende Medienkampagne, die fälschlich behauptete, im Film ginge es um „verbotenen“ oder auch „schmutzigen“ Sex, das menschliche Interesse an Sex in all seinen Spielarten, auch jene die man noch nicht kenne oder selten praktiziere.
Drehbuch vom Ehemann
Trotz des finanziellen Erfolgs des filmisch braven, aber von den gutaussehenden HauptdarstellerInnen nuanciert figurierten und mühevoll auf Coming-of-Age- und Selbstfindung gebürsteten Dramas hatte sich die Regisseurin Taylor-Johnson von Anfang an derart mit der filmunerfahrenen Buchautorin James gestritten, dass sie am Ende ausstieg. Drehbuchautorin Marcel folgte solidarisch. Doch die SchauspielerInnen Dakota Johnson und Jamie Dornan, die laut Branchentalk auf Taylor-Jones’ Seite waren, müssen ihre Verträge noch zwei weitere Filme lang erfüllen.
Das erste Fortsetzungsergebnis „Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebschaften“ ist nun unter der Regie des US-amerikanischen Thrillerexperten James Foley weltweit in den Kinos. Als Drehbuchautor durfte E. L. James’ Ehemann Niall Lennard debütieren. Damit war auch unmittelbar klar, wer in dem millionenschweren Filmprojekt das Sagen hat. Dieser Film wird nun vermutlich weniger den Zorn der BDSM-Fans, die ihr Hobby beziehungsweise ihre Lebensart falsch dargestellt sahen, als eher den der FilmfreundInnen auf sich ziehen: BDSM kommt in dem biederen, witz- und geistlosen, handlungsarmen und komplett spannungsfrei inszenierten Liebesdrama kaum in Ansätzen vor – wenn man von einem kurzen Besuch im „Spielzimmer“ Grays absieht.
Diese relative Sex- und SM-Freiheit allerdings ist ein Wagnis – hatte der „Shades of Grey“-Medien- und Werberummel doch auf der ganzen Welt ein angebliches weibliches Bedürfnis an einer soften BDSM-Variante ausgemacht, das seit Hunderten von Jahren in den Frauenkörpern schlummere. Von sich wie Schnittbrot verkaufenden Orgasmuskugeln war die Rede, von Masken, Peitschen, Fesseln und ganz plötzlich heißen Partnerinnen, denen nach Buchlektüre wieder einfiel, was ihnen früher mit ihrem Mann immer so viel Fez gemacht hatte.
Interieurdesign einer Apple-Verkaufsshow
Davon ist im neuen Film nichts zu sehen. Und für Anastasia auch nichts zu spüren: Weder Soft-BDSM, also das konsensuelle Liebesspiel, bei dem moderate Spielzeuge zum Einsatz kommen, wird wirklich inszeniert – glitzernde Orgasmuskugeln oder Spreizstangen sind schneller wieder draußen und aus dem Bild, als man ein „Safeword“ sagen könnte.
Noch hat die erzählte Geschichte tatsächliche BDSM-Momente: Greys merkwürdiges Bekenntnis zum Sadismus ist der letzte einer Reihe von enttäuschenden Hinweisen darauf, dass die Autorin nichts vom Thema verstanden haben kann. Die Leidenschaft für SM mit einem schwer traumatischen Erlebnis in der Kindheit (er wurde von Zuhältern seiner Mutter misshandelt) zu erklären, das machen nur Laien.
Aber auch den Rest Ideen, die im Stoff stecken – Greys durchaus interessantes Körpertrauma, Steeles mangelndes Selbstmanagement, die überdeutlichen Klassenunterschiede –, verwursten E. L. James und ihr Ehemann in unausgegorenen Handlungsinseln, die videoclipartig im opulenten Interieurdesign einer Apple-Verkaufsshow aufblitzen.
Eine Posse darf der ernste Dornan alias Grey immerhin reißen: Als Anastasia, erpicht auf ein „normales“ Liebesverhältnis ohne Haue und mit Tabus, ihn in den Supermarkt mitnimmt, um seine inneren Spannungen durch Milch- und Mehlproduktkonsum zu lockern, antwortet er auf die Frage, wann er das letzte Mal einkaufen gewesen sei: „Letzte Woche.“ Und was, will sie genau wissen, habe er gekauft? „Eine Fluggesellschaft.“
Gar nicht so schlecht für einen Nieselpriem.
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