20 Jahre Klavierkabarett von Bodo Wartke: „Die Musik der Sprache wecken“
Bodo Wartke singt humorvolle, gesellschaftskritische Lieder. Doch auf der Bühne zählt für ihn nicht nur das Dauerlachen des Publikums.
Swingen, Singen, Rappen, Steppen. Bodo Wartke versteht sich auf alles davon. Umso bemerkenswerter, dass sich diese Liste noch um einiges wie etwa Mundharmonika spielen, mit der Cajón einheizen oder ein Solotheaterstück inszenieren erweitern ließe. Damit wäre immer noch nicht sein Hauptinstrument genannt. Das Klavier.
Der Mann, der im Gespräch viel lacht und die Augenbraue hochzieht, ist nicht nur Kabarettist. Er ist auch Schauspieler und Entertainer – aus seiner Sicht glücklicherweise ohne kreischende Fans: „Ich bin kein abstrakter Künstler wie etwa Justin Bieber, der, wenn er leibhaftig vor seinen Fans steht, eine Begegnung der dritten Art auslöst“, sagt der Wahlberliner in dem Gespräch in einem kleinen Café in Kreuzberg.
Neugierde zog den damals 19-Jährigen aus der kleinen Stadt Bad Schwartau in Schleswig-Holstein vor gut 20 Jahren in die Hauptstadt. 14 Jahre lebt er davon in Kreuzberg – und fühlt sich hier sichtlich wohl. Keine Minute dauert es und er beginnt spontan im Café genau darüber leise zu singen. Die Gentrifizierung des Bergmannkiezes, aber auch die Zuneigung zu seinem Viertel haben ihn zu einem neuen Lied inspiriert. Veröffentlicht hat er es noch nicht. Er kann die Reime trotzdem auswendig.
Sein Repertoire erweitert er ständig. Obwohl er nach nun 20 Jahren „Klavierkabarett in Reimkultur“, wie Wartke es beschreibt, vermutlich auch mit seinen bekanntesten Liedern wie „Ja, Schatz“ oder dem „Liebeslied“ heute noch Konzerte füllen würde. Er macht das, „worauf er gerade Bock hat“. Wie etwa in seinem Programm „Swingende Notwendigkeit“, wo er tanzend mit Orchester auftritt. Einem größeren Publikum ist Bodo Wartke auch über YouTube bekannt geworden. Er fliege jedoch immer noch unterm Radar. Trotz Videos, die mehrere Millionen Aufrufe haben, gab es um ihn oder seine Lieder nie einen Internethype.
Große Spielstätten sind bei Wartke dennoch schnell ausverkauft. Kleine, gemütliche Konzerte spielt er nur noch selten. Dabei liebt er das Familiäre seiner Auftritte. Im aktuellen Programm „Was, wenn doch?“ versucht er durch Bühnenutensilien eine Wohnzimmeratmosphäre zu kreieren – Tee gibt’s auch.
Durch seine Konzerte führt Bodo Wartke locker moderierend, tritt immer wieder mit dem Publikum in Interaktion. Seine Komik transportiert er dabei häufig über Gesichtsmimik, sein kurzes Auflachen bei Texthängern wirkt authentisch. Humor sei „ein tolles Mittel der Erleichterung“, das ihm und seinem Publikum einen zwangloseren Zugang zu Themen ermögliche, sagt Wartke.
geboren 1977 und aufgewachsen im norddeutschen Bad Schwartau, gab am 16. November 1996 sein erstes abendfüllendes Konzert in seiner früheren Schule. Inzwischen hat er fünf Solo-Klavierkabarettprogramme sowie das Programm „Swingende Notwendigkeit“, in dem er gemeinsam mit dem Capital Dance Orchestra auftritt.
Wartke schrieb auch eine Neuadaption des Dramas „König Ödipus“ von Sophokles, das er in einem Solotheaterstück spielt.
Zu seinem aktuellen Klavierprogramm „Was, wenn doch?“ ist im Dezember der Konzertfilm „Bei dir heute Nacht“ erschienen. Am 8. Februar tritt er mit seinem aktuellen Programm im Kulturhaus Stadtgarten in Neuruppin auf, in Berlin ist er am 30. März in der Kunstfabrik Schlot.
Zur Komik auch Empathie
Sorgte er dabei allerdings in frühen Auftritten noch für ein Dauerlachen, hat er inzwischen auch mehrere ruhige Stücke. Für ihn eine natürliche Entwicklung: „Wie das Leben so spielt. Man erlebt Dinge, für die Komik nicht die richtige Verarbeitungsform ist, sondern Empathie.“
Dass er auch da die richtigen Worte findet, zeigt er in einem Lied über seine früh verstorbene Schwester Christine. „Das Feedback, was ich zu dem Lied bekommen habe, war sehr berührend. Menschen, die was Ähnliches erlebt haben, fühlten sich dadurch verstanden“, erzählt der Kabarettist. Doch für solche Lieder, so Wartke, brauche es auch mehr Mut: „Ich dachte früher, dass lustige Lieder schreiben leicht ist. Ernste Lieder zu schreiben, habe ich mich erst nicht getraut. Inzwischen finde ich es wichtig, dass beides seinen Platz hat.“
Kabarettist zu sein, erfüllt ihn. Das merkt sein Publikum. Im Gespräch erzählt er aber auch offen von einer Situation, in der er sich nicht in der Lage fühlte, auf die Bühne zu gehen und zu unterhalten. Verheult war. Trotzdem funktionieren musste. Dieses Dilemma zwischen Berufs- und Privatperson beschreibt er in „Der Clown“ einfühlsam. Wie reagiert ein Clown, wenn er privaten Frust hat? „Ein wahrer Clown kann dann trotzdem lustig sein, denn in der Manege zählt alleine der schöne Schein. Er würde zwar manchmal statt zu lachen lieber weinen, aber nein, er muss lustig sein“, resümiert Wartke.
In dem Lied „Das Motiv“ singt Wartke dann: „Tu was du tust aus Liebe, tu es nicht aus Angst.“ In seinem Beruf ist er zuversichtlich, dieses Prinzip umzusetzen. „Ich wünsche mir manchmal, dass ich diese Haltung auch auf mein restliches Leben übertragen kann“, sagt er. Viel Öffentlichkeit zu erwirken, sich in Talk-Shows zu profilieren oder sich in sozialen Medien zu äußern wie einige seiner Kollegen, gehöre für ihn nicht dazu: „Ich glaube, dass ich in meinen Liedern wirkungsvoller sein kann als in einem Facebook-Post.“ Im Fernsehen dürfe er jedoch selten seine Lieder singen. „Musik – auf deutsch – ist schlecht für die Quote“ sei die Begründung.
Trump trotzen
Politisch äußert sich Wartke meist in Liedform, doch das Reizthema Trump beschäftigt auch ihn. Im Interview spricht er nie hastig, nimmt sich Zeit vor den Antworten. Trump, sagt Wartke, sei ein Mensch, der „öfter mal über seine Äußerungen nachdenken sollte“. In Sachen des neuen US-Präsidenten wird seine Stimme bestimmter: „Donald Trump ist in meinen Augen nicht das Problem, sondern das Symptom.“ Kopfschüttelnd sagt er: „Jemand der so viel Scheiße verzapft, sich über Behinderte lustig macht, sexistisch, rassistisch und narzisstisch ist – dass der Typ so weit kommen konnte, liegt auch daran, dass nicht genügend Menschen ‚Stopp‘ gesagt haben. Das finde ich beängstigend.“
Wartke versucht trotzdem, das Positive zu sehen. Jetzt könne gegen ihn demonstriert werden. „Mein Kampfgeist ist geweckt.“ In seinen neuen Liedern kritisiert er den US-Präsidenten scharf.
Seine Meinung in kreativer Sprache zu artikulieren, gefiel dem Sohn eines Ärzteehepaares schon früh. In der Schule ist er vom Spiel mit den Worten fasziniert. „Reime wecken die Musik der Sprache“, sagt er. Doch in der Kleinstadt Bad Schwartau hatte er das Gefühl, nicht hineinzupassen. Erst in Berlin hätte er „in Ruhe anders sein“ können. Vielleicht entscheidet sich Wartke deshalb, trotz Ratschlag vom Vater, auch mal Mainstream zu machen, sich selbst treu zu bleiben. „Je nach Lebensphase interessieren mich auch ganz andere Themen“, sagt er über die Unterschiede seiner Programme.
Physik und bunte Hemden
Sieht man den mittlerweile 39-Jährigen heute auf der Bühne, ist der Kontrast zu seinem Karrierebeginn nicht nur hör-, sondern auch sichtbar. Mit bravem Nerdlook und bunten Hemden konnte man ihm anfangs äußerlich durchaus seinem Erststudienfach Physik zuordnen. Wie er mit leicht kieksender Stimme, aber voller Enthusiasmus, Lieder über unbedachte Wetten oder Probleme mit Microsoft sang, machte jedoch ebenso klar, wieso er das Studium zugunsten der Musik abbrach. Seine Mode hat sich verändert. In schicken Anzügen, swingend auch mal mit Hut, verkörpert Wartke heute auf der Bühne den Kavalier aus seinen Liedern.
Gleich geblieben ist die Leidenschaft für kreative Reime. Seine Lieder schreibe er nie aus Kalkül, sondern „wie sie aus mir herauskommen“.
In seinem Lied „Nicht in meinem Namen“, in dem er Verbrechen durch religiösen Extremismus anspricht, wählt er eindringliche Worte. Durch die Häufung der Terroranschläge überwiegen bei ihm Wut, Verzweiflung und Trauer. Beim Schreiben als auch bei der Uraufführung des Liedes im Mai 2016 hatte er „keinen Abstand zu der Sache“. Das Stück das erste Mal zu singen beschreibt er als „heftige Erfahrung“, denn normalerweise spiele er seine Lieder zunächst einem kleinen Publikum vor. Das Lied brannte ihm jedoch unter den Nägeln. Er hatte an dem Abend einen Auftritt vor über tausend Leuten. Er sang, erzählt er, am ganzen Körper zitternd und mit bebender Stimme. Nach dem Lied stand das Publikum mitten im Konzert auf. Etwas, was ihm noch nie passiert sei.
Wieder einmal hat Bodo Wartke einen Nerv getroffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr