Debattenserie: Schauspiel ohne Autor (3): Für ein selbstbestimmtes Theater
Ein verantwortungsbewusstes Theater muss auch sein eigenes Verhältnis zu DramatikerInnen finden dürfen, sagt die Direktorin der Theaterakademie Hamburg Sabina Dhein
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S ie hatten die Wahl.
In diesen Wochen zeigen sechs zukünftige Absolventen des Studienganges Regie der Theaterakademie Hamburg ihre Abschluss-Inszenierungen auf Kampnagel. Für Stück oder Stoff konnten sie sich gemäß der Prüfungsordnung frei entscheiden.
Zwei haben einen dramatischen Text gewählt: Katja Brunner, „Von den Beinen zu kurz“ und Hanns Henny Jahnn, „Der gestohlene Gott“.
Zwei dramatisieren eine Romanvorlage: Iwan A. Gontscharow, „Oblomov“ und Miguel de Cervantes, „Don Quichotte“.
Sterben DramatikerInnen aus? Mindestens scheinen sie verzichtbarer geworden. Auf AutorInnen verzichtet wird oft im Ensemble und/oder mit sich selbst darstellenden ExpertInnen des Alltags entwickelten Performances.
Andererseits richten die Dramaturgien der Theater zunehmend selbst Romane und Filme für die Bühne ein: Allein in Norddeutschland spielen in dieser Saison fünf Theater von Osnabrück bis Hamburg je ihre hauseigene Fassung von Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“.
Beim Regie-Nachwuchs ist der Trend weniger klar: Noch bis 26. 2. zeigen Absolvierende der Theaterakademie Hamburg auf Kampnagel ihre Abschlussarbeiten, darunter zwei klassische Stück-Inszenierungen, zwei Adaptionen und die Szenenfolge „Blutmond“ basierend auf den Ereignissen des Hamburger Aufstands von 1923.
Haben Theater-AutorInnen noch eine Chance? Oder ist das DramatikerInnensterben Programm? In der taz formulieren norddeutsche AkteurInnen des Sprechtheaterbetriebs ihre Position
Eine nimmt Federico García Lorcas Stück „El Público“ zur Grundlage einer szenischen Collage, und einer entwickelt einen Abend über den Hamburger Aufstand von 1923.
Einem strengen Plan folgen dagegen die drei Studienprojekte, die Studierende im Laufe des Studiums erarbeiten. Zweimal steht ein dramatischer Autor im Zentrum wie William Shakespeare, Friedrich Schiller, Heinrich von Kleist, Arthur Miller, Heiner Müller … Erforscht werden im ersten Studienprojekt die Fragen: Wie baue ich eine Figur, aus welcher Situation heraus agiert die Figur, wo liegt der Konflikt, wie erarbeite ich mit Schauspielern einen Dialog?
Nur im zweiten Studienprojekt sind die Studierenden nicht an eine dramatische Vorlage gebunden, sondern arbeiten mit einem freieren Theaterbegriff. Vorgegeben ist lediglich ein gemeinsames Thema wie zum Beispiel „Mythos – wie begegnen uns archaische Stoffe im 21. Jahrhundert?“. Die Studierenden entscheiden, ob sie eine epische Vorlage dramatisieren oder ob sie selbst szenisches Material generieren wollen durch Recherche, Textcollagen, Improvisation. Einige unserer Studierenden sind selbst Autoren.
Im Lehrplan stehen Seminare zu Moderner Dramatik. Gelesen und diskutiert werden Stücke der letzten zehn, fünfzehn Jahre. Oft werden die Autor*innen persönlich dazu eingeladen. Dank der Kooperation mit verschiedenen Stadttheatern gibt es auch direkte Arbeitskontakte mit Autor*innen durch kleine Uraufführungen.
Der Dramatiker, auch der zeitgenössische, ist also für die Studierenden kein Unbekannter. Dennoch gibt es bei vielen ein Unbehagen gegenüber seinen Texten. Denn der eigene Gestaltungswille ist erst mal groß.
Man wolle sich nicht versklaven lassen, sich nicht dem Text unterordnen. Die Kreativität des Teams werde eingeschränkt, brauche Raum. Die Qualität der Texte leide, weil die Dramatiker*innen auf einem Markt bestehen müssten, der sie zwinge, schnell Stücke für presserelevante Uraufführungen zu produzieren, und der ihnen keine zweite Aufführungs-Chance gewähre. Politische Autoren wie Heiner Müller, Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard gebe es nicht mehr.
Aber hätten Heiner Müller, Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard oder Peter Handke und Botho Strauß ihren literarischen Zugriff auf die Welt, die Dichte ihrer Sprache so meisterlich zuspitzen können ohne die fördernde Beharrlichkeit von Dramaturgen wie Dieter Sturm, Hermann Beil, Wolfgang Wiens, Joachim Lux, Stephanie Carp und ohne die richtungsweisenden Inszenierungen von B.K. Tragelehn, Claus Peymann, Peter Stein, Dimiter Gotscheff, Nicolas Stemann und anderen?
Was die szenische Phantasie der Studierenden heute freisetzt, ist zu allererst „das Thema“. In welchem Genre sich das Thema anbietet, ob als Drama, Roman oder Film, oder ob es, wie der Hamburger Aufstand, nur als historisches Archivmaterial existiert, ist erst in zweiter Linie wichtig. Das Theater hat sich vom dramatischen Autor emanzipiert, und die Regiestudierenden wagen sich mit großer Ernsthaftigkeit und selbstbewusst ins Abenteuer – ohne Netz. Und häufig stürzen sie ab.
Aber dafür studieren sie: um scheitern zu dürfen. Um scheiternd in der Vielzahl der möglichen Theaterformate ihre individuellen Themen und ihre Gestaltungsmittel zu finden und zu schulen.
Spätestens gegen Ende des Studiums stellt sich dann aber doch die Frage, ob Handwerk und künstlerische Begabung reichen, um nur aus sich und dem Team heraus eine Inszenierung zu erarbeiten, die nicht in selbstreferentieller Beliebigkeit stecken bleibt. Selten gelingen Regieteams frei entwickelte Theaterabende, in denen sich nicht nur die eigene „Community“ feiert. Bietet ein dramatischer Text nicht auch produktiven Widerstand, erreicht man in der Auseinandersetzung mit einem Autor nicht doch eine andere inhaltliche Tiefe?
Der Dramatiker ist heute nicht mehr alleiniger Dreh- und Angelpunkt der Szene. Die Fülle der unterschiedlichen Formate, Erzähl- und Spielweisen, die in einem Haus, manchmal sogar in einer Inszenierung nebeneinander stehen, spricht für die Lebendigkeit des Theaters.
Doch die Dramatiker*innen werden die Bühne nicht verlassen. Wie sehr wir sie brauchen, ahnt Kathrin Röggla in ihrer Saarbrücker Poetik-Vorlesung:
„Vielleicht aber ist das „Theater ohne Drama“ auch etwas übergelaufen, brandig geworden in Zeiten der Krise? Vielleicht reicht es nicht aus, im Theater über Kommunikationsformen nachzudenken, über Arten des Sprechens? Der Konflikt und der gesellschaftliche Widerspruch drängen ja nach vorne, nach all den Jahren, in den man ihn an die Ränder Europas erfolgreich outgesourct und so unsichtbar und scheinbar unerfahrbar gemacht hat.“
Eine Ausbildungsinstituation kann Angebote machen, begleiten, auf das Berufsfeld Theater vorbereiten. Gestalten werden die Studierenden die Zukunft des Theaters selbst. Vielleicht schmieden sie mit den Autoren Allianzen wider den Mainstream der inhaltlichen Vereinfachung und für eine Präzision der Sprache. Ganz sicher werden sie für ein Theater eintreten, das seine Verantwortung ernst nimmt.
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