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Kommentar SPD und GerechtigkeitMut zum Risiko

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Sich bei den Mittelschichtmilieus über die Maßen beliebt machen? Das sollte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gar nicht erst nicht versuchen.

Auf der Suche nach Identität, für sich und die SPD: Martin Schulz Foto: dpa

S PD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will „soziale Gerechtigkeit“ in den Mittelpunkt des kommenden Wahlkampfes stellen. Aber welche Gerechtigkeit ist damit gemeint? Früher, vor Hartz IV, gehörte es zum Identitätskern der SPD, den ArbeitnehmerInnen eine Art kollektiven Verarmungsschutz zu garantieren. Das ist vorbei. Doch statt dem nachzutrauern, wird es Zeit, dass die SPD mutiger wird im Kampf um eine neue Identität.

Schulz muss an die bislang bekannt gewordenen Pläne für den SPD-Wahlkampf anknüpfen. Die Partei will Eltern eine Art subventionierte reduzierte Arbeitszeit gewähren, wenn beide arbeiten. Die Mietpreisbremse soll verschärft werden. Eine Solidarrente für KleinrentnerInnen soll kommen. Die SPD plant, mittlere Einkommen von der Steuer zu entlasten und die Sozialabgaben der unteren Einkommen zu subventionieren. Nur sehr hohe Einkommen sollen mit einem höheren Spitzensteuersatz belegt werden.

Man merkt bei den Vorschlägen, wie die SPD herumeiert: Man will einer Mehrheit geben und dabei möglichst nur von einer Minderheit nehmen, den besonders Reichen. Doch mit Fetischpolitik, nur für wenige eine „Reichensteuer“ einzuführen, sind die Gerechtigkeitsfragen nicht gelöst. Und es ist gefährlich, den Mittelschichtmilieus steuerliche Entlastungen zu versprechen. Das Geld fehlt anderswo.

Genau hier liegt der Auftrag an den SPD-Kanzlerkandidaten: Er muss Risiken eingehen. Mehr Mieterschutz – auch wenn die Immobilienbranche jammert. Mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau, eine Solidarrente für KleinrentnerInnen – auch wenn das kostet. Die Erbschaftssteuer rauf – auch wenn einige Mittelschichtmilieus aufheulen. Nicht zu viel Entlastungen versprechen.

Mit der Fetischpolitik einer Reichensteuer sind die Gerechtigkeitsfragen nicht gelöst

Schulz darf nicht den Fehler machen, sich besonders beliebt machen zu wollen, nur weil Sigmar Gabriel so unpopulär war. Die SPD hat nichts zu verlieren. Genau das ist seine Chance.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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10 Kommentare

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  • „Man merkt bei den Vorschlägen, wie die SPD herumeiert: Man will einer Mehrheit geben und dabei möglichst nur von einer Minderheit nehmen, den besonders Reichen. Doch mit Fetischpolitik, nur für wenige eine „Reichensteuer“ einzuführen, sind die Gerechtigkeitsfragen nicht gelöst.“

     

    NEIN. Das betrifft genau den Kern der Gerechtigkeitsfrage, die aufklaffende Schere zwischen Armut und Superreichtum.

     

    „Genau hier liegt“ die Lösung der Finanzierungsprobleme, und es ist ebenso hervorragender Anknüpfungspunkt an grüne und linke Steuer- und Sozial-Konzepte.

     

    „Die SPD hat“ eine Wahl zu gewinnen und an der positiven Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken.

  • SPD - Gerechtigkeit + Mut ?

    3 Dinge, die irgendwie wie gegensätzliche Elemente sind und nach den gemachten Erfahrungen Lippenbekenntnisse sind.

    Kein rationaler Mensch braucht eine SPD, denn es gibt schließlich die Linke, wo die echten Sozialdemokraten sitzen.

  • Die Frage für mich ist recht einfach: WER IST die SPD jetzt - und kann sie etwas anderes werden? JETZT ist sie eine Partei, die das wichtige Kapital Glaubwürdigkeit m.E. verspielt hat - lange und intensiv. Eine Partei, die in ihrem Machtkalkül die Inhalte vergessen hat und m.E. unerkennbar geworden ist. Die Leute, die das jahrelang praktiziert haben sind m.E. kraft der Gewohnheit gar nicht mehr in der Lage etwas anderes zu werden. Für die SPD gibt es keinen Platz mehr - selbst wenn sie sich vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit noch so wehrt - ich glaube er ist unvermeidbar, weil vorprogrammiert von der SPD selbst.

  • Jetzt werfen sie der SPD vor, nur herumzueiern, um dann selbst herumzueiern. Die SPD muss sich vom Arbeitsfetisch verabschieden, denn in einer zunehmend durchtechnisierten Welt wird nicht jeder Bürger Vollzeit arbeiten können/müssen. Anstatt also, wie derzeit dank der Agenda 2010, die sozial Schwächsten in widrige Arbeitsverhältnisse zu drängen, sollte die SPD, wenn sie denn sozial und progressiv sein will, das bedingungslose Grundeinkommen in Angriff nehmen.

  • „Man will einer Mehrheit geben und dabei möglichst nur von einer Minderheit nehmen, den besonders Reichen. Doch mit Fetischpolitik, nur für wenige eine „Reichensteuer“ einzuführen, sind die Gerechtigkeitsfragen nicht gelöst.“

     

    Widerspruch !

    Kleines Rechenbeispiel zur Einkommensteuer: Um die 70% einkommensschwächsten Steuerzahler um 5% zu entlasten müssen die 10% einkommensstärksten (Einkommen ab 66.900 Euro) nur 1,7% mehrbelastet werden.

    Das liegt daran, daß 54,6% des Steueraufkommens von den oberen 10% geleistet wird und nur 18,6% von den unteren 70%.

    (Zahlen zum Steueraufkommen von 2011. Wenn ich die Zahlen von 2016 gehabt hätte, wäre die Sache wohl noch eindeutiger.)

    http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61772/einkommensteueranteile

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Die SPD sollte sich an der Sozialpolitik der Zeiten von Helmut Kohls Kanzlerschaft orientieren. Schon das zeigt, wieviel Schlamassel seitedem von (neo)liberalen (Sozial)Demokraten angerichtet wurde.

  • "Nur sehr hohe Einkommen sollen mit einem höheren Spitzensteuersatz belegt werden."

     

    Blinder Umverteilungswahn auf Kosten der Leistungsträger. Das wird der Wähler schnell durchschaut haben.

    • @IL WU:

      Hach Gottchen, Sie nun wieder.

       

      - "Leistungsträger", lol. Genau, weil die, die tausendfach mehr verdienen als Krankenschwestern, Bandmalocher oder Unidozenten alle tausend mal weniger leisten als Investmentbanker und Erben.

       

      - "Umverteilungswahn": LOL. Komisch, gegen den Umverteilungswahn von unten nach oben haben Sie nie was einzuwenden.

      • @kami:

        Whoops, das sollte natürlich hießen: "Genau, weil die Investmentbanker und Erben, die tausendfach mehr verdienen als Krankenschwestern, Bandmalocher oder Unidozenten, auch alle tausendfach mehr leisten."

         

        Was für ein "Leistungsträger" sind Sie eigentlich, Herr Wu?

        • 6G
          61321 (Profil gelöscht)
          @kami:

          Den geschwollenen Augen nach zu urteilen arbeitet Wu viel nachts.

          Vielleicht noch Student?