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Kolumne Die eine FrageGott sei Dank nicht richtig links

Peter Unfried
Kolumne
von Peter Unfried

Er steht für die neue Kultur der Verantwortung: Frankreichs Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron – zu schön, um wahr zu werden?

„Jung, frisch, anders“: Emmanuel Macron Foto: dpa

I n der Sekunde, da Martin Schulz vom Kollegen Sigmar Gabriel als Vizekanzlerkandidat der SPD nominiert war, kamen schon die Ersten und fragten streng, ob er denn auch „richtig links“ sei oder werden könne. Nein, ist er nicht, kann er nicht. Keiner kann richtig links sein, im existenziellen oder phänomenologischen Sinn. Außerdem gibt es politisch kein richtig links.

Man kann nur davon leben, zu beklagen, dass andere nicht richtig links sind, wie die Linkspartei. Also nationallinks. Antikapitalisten wählen derweil jetzt gern auch Autoritäre. Kurzum, die Spaltung der westlichen (Post)industriegesellschaften hängt stark mit der sozialen Frage zusammen und ist doch nicht mehr mit links und rechts zu beschreiben.

Und damit ist man bei Emmanuel Macron, dem französischen Präsidentschaftskandidaten. Macron, 39, ist erstens überzeugter Europäer, und zweitens ist er – im alten Denken, müsste man sagen – links und rechts.

Die Frage lautet: Ist auch Frankreich reif für einen kulturell-politischen Denkwechsel, um damit die offene europäische Gesellschaft gegen Nationalismus und die autoritäre Bedrohung zusammenzuhalten? So hat bereits der Grüne Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg SPD und CDU abgelöst, so wurde der Grüne Alexander Van der Bellen Bundespräsident von Österreich.

Jung, frisch, anders

Und jetzt Macron? Die Inszenierung ist nicht neu. Jung, frisch, anders. Gegen „verkrustete“ Parteien, gegen das politische Establishment, obwohl er selbst von der Eliteschule kommt, Banker und Hollandes Wirtschaftsminister war. Aber in diesem Moment steht er für die Möglichkeit eines Wandels, der ein anderer Wandel ist, als ihn Le Pen verspricht. Er steht für die neue Kultur der Verantwortungsübernahme als demokratische Revolte – die in Deutschland bisher nur der Grüne Robert Habeck vertritt.

Ein Ökosozialliberaler ist Macron aber nicht. Er ist radikal proeuropäisch, das ist zentral. Gesellschaftsliberal. Jenseits von linksnationalistischem Protektionismus, für eine Umgestaltung des Arbeitsmarktes. Verkürzt gesagt, Priorität hat das Zurückkommen in Anstellung und nicht mehr nur das Bleiben in Festanstellung.

taz.am Wochenende

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Er scheint ein intellektueller Populist zu sein. Einer, der gerade in Zeiten des antiintellektuellen Ressentiments nicht verbirgt, dass er Philosophie studiert hat. Macron schätzt die Deutschen und Merkels Flüchtlingspolitik, er spricht perfekt Englisch, er zitiert nicht nur Habermas aus dem Kopf. Er sei wahnsinnig schnell im Denken, sagt einer, der ihn kennt. Er ist vermeintlich viel zu jung für das Amt. Und dann hat er auch noch eine 20 Jahre ältere Frau, seine frühere Französischlehrerin. Wow.

Auf eigenem Ticket

Nach dem französischen Wahlrecht kommen die beiden führenden Kandidaten in eine Stichwahl. Dass Marine Le Pen dort vertreten ist, gilt als wahrscheinlich. Genauso, dass ihr Gegner dann gewinnt. Favorit war bisher der Konservative François Fillon (Les Repu­blicains), auch auf dem Erneuererticket, der nun aber durch einen Nepotismusvorwurf beschädigt wird.

Bei der sozialistischen Vorstichwahl an diesem Sonntag läuft es auf Benoît Hamon hinaus, einen linken Linken, der als nicht mehrheitsfähig gilt. Aber vielen Linken immer noch lieber ist als der rechte Linke Manuel Valls. Dann gibt es noch – auf eigenem Ticket – einen lafontaineschen Linkspopulisten, das ist Jean-Luc Mélenchon. Kurzum, sie sind mit dem beschäftigt, was ihnen wirklich wichtig ist – mit sich selbst.

Heißt, wenn es Macron gelingt, so viele zu faszinieren, dass er hinter Le Pen in den zweiten Wahlgang kommt, dann wird der Präsident von Frankreich.

Es klingt alles zu schön, um wahr zu werden. Oder nicht?

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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12 Kommentare

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  • Ob wirklich der 11. Sept. 1958 der Beginn einer langen Katharsis war ?

    Charles de Gaulle schafft mit Unterstützung der Sozialisten die IV. Republik ab und man gründete ein Präsidialsystem.

    Paradox, dass ausgerechnet Mitterand (der in den 30ern mit dem Oberlippenbärtchen kurzfristig die Ermordung von 300 Nordafrikanern goutierte) 1981 den Wiedereinzug der Sozialisten ermöglichte.

    Dem politischen Gegner die Absolution dafür zu geben, die Demokratie einzuschränken. Quelle chance il à!

     

    Die PS braucht eine Reha, eine Kur.

    Ob Macron der Oberarzt sein wird, das ist hier die Frage. Vieille Maison ?

     

    Eine stringent sozialistische Politik würde auch Jean-Paul Sartre im Namen des Humanismuzs begrüßen.

     

    Oder nicht ?

    • @Pink:

      Upps, sollte Humanismus sein ...

  • Liebe taz, sehr geehrter Herr Unfried,

    wo haben sie jene gehört, die nach Nominierung von Martin Schulz gefragt haben sollen, ob er denn auch „richtig links“ sei? Ich habe alles mögliche gehört und gelesen, nur eben dies nicht. Die Linken in der SPD haben ihn unterstützt. Aus Reihen der Grünen hörte man diese Frage schon gar nicht. Und auch aus der Partei „die Linke“ kamen zwar ein paar kritische Hinweise, so auf seine Haltung zur griechischen Regierung, sein Verhalten zu TTIP und anderes, die Frage nach „richtig links“ habe ich auch dort nicht gelesen. Mir hier werden ein paar Wächter der reinen Lehre herbeifantasiert, um dem eigenen Ressentiments mal richtig Futter zu geben. Auch den „linksnationalistischen Protektionismus“ kann ich allenfalls in vereinzelten Stimmen erkennen; weder in den Gewerkschaften, noch bei der Partei „die Linke“ scheint er mir mehrheitsfähig. Im Gegenteil, überwiegen bei beiden doch eher die Forderungen nach einer solidarischen Politik für Europa und darüber hinaus.

    Ich schätze die taz sehr für die Bereitschaft zur Kontroverse. Mir wäre es ein Graus nur noch linkes, womöglich „richtig linkes“ in der taz zu lesen! Peter Unfrieds Kommentare allerdings empfinde ich nicht zum ersten Mal als Ressentiment-geladenes Linken-bashing.

    • @Peter Herholtz:

      Peter Unfried ist ein hervorragender Kommentator. Und wenn er einen Kommentar mit einem Fragezeichen beendet denke ich, wer fragt der führt. Also, ich empfinde ihn, Unfried, nicht als Klinkenputzer. Ganz im Gegenteil.

    • @Peter Herholtz:

      Jau. & trotz des dabei atemberaubenden Niveaus -

      Das Klinken-putzen nicht vergessen.

      vllt. kommt ja zudem gerade beides&in combi -

      Dorten bei Schwatz-grün gut an - an Beilage!

      Geladen werden wir ja alle - mal gern! Gell!

  • NEIN - Das ist nicht zu schön! Damit etwas sozial wird, auch in unserer Gesellschaft, bringt es Martin Schulz bei weitem nicht.

    Da genügt ein Blick auf Griechenland, der Geburtsstätte der Demokratie und des Namens Europa. Diese Erkenntnis zeigt uns die Schande Europas (G. Grass) und das Versagen der EU Verwaltung in Brüssel (M. Schulz).

    Der Bedarf an Sozialem ist weltweit, siehe USA Bernie Sanders, Deutschland "Markt konforme Demokratie". Der Text dazu ist unter dem Titel "Neben uns die Sintflut" zu finden.

    Der richtige Kandidat für Frankreich wäre Benoit Hamon. Er fordert eine Steuer auf Industrie Roboter und ein Bedingungsloses Grundeinkommen für Alle.

    Wir sollten hinschauen um etwas menschliches zu erkennen (KRABAT). Asta-Wossen Asservate beschreibt es so:

    Die neue Völkerwanderung - Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten!. Ich zweifle, dass Herr Schulz den Blick dafür hat?

    • @Peter Meisel:

      "Bedingungsloses Grundeinkommen"

       

      Realitätsferne linke Spinnereien zu fordern ist kein Heilmittel.

       

      Das man jedoch einen Kanzler Schulz um jeden Preis verhindern muss, sehe ich ähnlich.

      • @IL WU:

        "Realitätsferne linke Spinnereien..."

         

        Da hat sich jemand anscheinend ausführlich mit dieser Thematik befasst... oder doch nicht?

  • Ha noi. Lasse mer den "da "-Relativsatz gnädig als elaboriertes Honoratiorengeschwäbtisch durchgehe.

     

    Aber der eingesprungene Adorno mit lockerer Schraube - ¿!;)

    "…kamen schon die Ersten und fragten streng, ob er denn auch „richtig links“ sei oder werden könne. Nein, ist er nicht, kann er nicht. Keiner kann richtig links sein, im existenziellen oder phänomenologischen Sinn. Außerdem gibt es politisch kein richtig links.…" Eijeijeijeijei! &

    Pooh. - Jau. So kann Sündach warrn!

    Herrlich. Danke. - Oder doch anders - ¿

     

    Isses doch eher ein regional - a weng Verhusserlter Todtnauer - martelnd

    Auf den SeinsphänomenWegen - wa!)

    kurz - Kann einem glatt Schwatzgrün. -

    Vor Augen werden!

  • Vielleicht ist ein Vergewaltiger kein guter Berater:

     

    Les rendez-vous secrets entre Macron et Dominique Strauss-Kahn

    http://www.tvlibertes.com/2017/01/20/13667/rdv-macron-dsk

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Wow, ein Chefreporter der taz schreibt ein Loblied auf das neoliberale Aushängeschild der französischen Sozialisten.

     

    Man kann natürlich versuchen den Widerstand gegen Brexit, gegen Trump, gegen Konservative in Osteuropa auf mehr Gesellschaftsliberalität und mehr Europa aufbauen. Versucht man es allerdings ausschließlich damit, ist die Bruchlandung vorprogrammiert.

     

    "Jenseits von linksnationalistischem Protektionismus, für eine Umgestaltung des Arbeitsmarktes."

    Einfach nur herrlich, wie Herr Unfried hier mit hehren Idealen der französischen Agenda 2010 Wort redet. Oh Gott.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @10236 (Profil gelöscht):

      "Wow, ein Chefreporter der taz schreibt ein Loblied ..."

       

      Es gibt nur den Einen...